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Zur Wiederaufnahme der Wiederaufnahme noch einmal die Besprechung von Norbert Servos aus 2020:

Auf dem Schlachtfeld

Zur Wiederaufnahme von Pina Bauschs Blaubart. Beim Anhören einer Tonbandaufnahme von Béla Bartóks Oper „Herzog Blaubarts Burg“

von Norbert Servos

Es ist ein Klassiker aus der Frühphase des Tanztheaters, das Stück mit dem langen Titel Blaubart. Beim Anhören einer Tonbandaufnahme von Béla Bartóks Oper „Herzog Blaubarts Burg“. Pina Bausch hat diesen langen Titel erfunden, um sich abzeichnenden Problemen mit den Rechte-Inhabern der Musik aus dem Weg zu gehen. Hier handelt es sich, will der lange Zusatz besagen, nicht um eine werkgetreue Umsetzung eines in sich geschlossenen musikalischen Werkes. Im Gegenteil. Das Werk wird zerlegt und zum Bestandteil einer eigenen Dramaturgie. Abgespielt von einem rollbaren Tonbandgerät hält Blaubart die Musik immer wieder an, spult zurück, hört die gleichen Passagen immer wieder an – bis an die Grenze des Erträglichen. Es ist wie eine Selbstfolter, als versuche er die eigenen Taten zu begreifen, verstehe sich selber nicht. Dabei hält sich Pina Bausch durchaus an die Grundzüge des Opernlibrettos, wonach Judith bei ihrer Ankunft im sagenumwobenen Märchenschloss von Herzog Blaubart einen Bund mit sieben Schlüsseln erhält. Nach und nach entdeckt sie hinter den Türen eine Folterkammer, das Waffenarsenal, eine Schatzkammer, einen blutigen Garten, ein riesiges Reich, ein Tränenmeer. In der letzten Kammer, die Blaubart nur unwillig freigibt, findet sie die kostbar gewandeten Leichen der früheren Frauen, die der Herzog ermordet hat. Auch sie wird, das begreift sie, bald sterben.

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„Blaubart.-Beim-Anhören-einer-Tonbandaufnahme-von-Béla-Bartóks-Oper-„Herzog-Blaubarts-Burg©Klaus-Dilger – hier mit Tsai-Wei Tien und Michael Carter in den Titelrollen

Pina Bausch verlegt die märchenhafte Parabel radikal in eine düstere Gegenwart. Schauplatz ist kein Schloss sondern ein geräumiges, wenn auch etwas verwohntes Altbauzimmer mit hohen Fenstern. Welkes Laub liegt auf dem Boden – ein Ort der Vergänglichkeit und der Trauer. Leise raschelt es in den stillen Passagen des 1977 entstandenen Stücks, zeichnet die Schritte und Wege der Tänzer als bewegte Spuren auf. Die kostbaren Gewänder sind alte Theaterkostüme aus dem Fundus quer durch die Epochen, ansonsten tragen die Tänzer Alltagskleidung. Alle Männer sind Blaubart, alle Frauen spiegeln das Schicksal Judiths. Pina Bausch konzentriert sich ganz auf deren Kernkonflikt: die Unfähigkeit liebe- und respektvolle Nähe miteinander herzustellen. Die erlernten Konventionen erweisen sich als leer, zuweilen lächerlich. Beide Geschlechter sind hoffnungslos in ihren Rollenklischees gefangen, aus denen es scheinbar keinen Ausweg gibt. Ein Machtkampf tobt, in dem es, obwohl die Männer vordergründig dominieren, letztlich keine Sieger gibt. Denn ihre Sehnsucht erfüllt sich für beide Geschlechter nicht. Was also bedeuten da Siege?

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„Blaubart.-Beim-Anhören-einer-Tonbandaufnahme-von-Béla-Bartóks-Oper-„Herzog-Blaubarts-Burg©Klaus-Dilger hier mit Tsai-Wei Tien und Michael Carter in den Titelrollen

In keinem anderen Stück hat Pina Bausch derart radikal die Schutz-und Hilflosigkeit der menschlichen Natur angesichts einer schlecht eingerichteten Wirklichkeit bloßgelegt. In keinem anderen Stück hat sie mit bis an die Schmerzgrenze ausgereizten Wiederholungen die Dringlichkeit der Not aufgedeckt. Nicht nur für die Protagonisten auf der Bühne, auch für die Zuschauer gibt es in den fast zwei Stunden pausenloser Spieldauer kein Entrinnen. Sie werden konfrontiert mit einer unhaltbaren Situation. Etwas, will das sagen, muss sich ändern, unverzüglich, jetzt, und nicht erst in ferner Zukunft.

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„Blaubart.-Beim-Anhören-einer-Tonbandaufnahme-von-Béla-Bartóks-Oper-„Herzog-Blaubarts-Burg©Klaus-Dilger – Emma Barrowman

Gleich zu Anfang steht das Motiv der Erinnerungsfolter. Blaubart sitzt am Tonband, lauscht den ersten Takten der Oper, bricht ab, spult zurück, hört erneut – wieder und wieder. Dazwischen läuft er zur leblos am Boden liegenden Judith, wirft sich auf, birgt seinen Kopf in ihren Händen. Mühsam rückwärts robbend zerrt sie ihn keuchend mit sich – der Mann eine kindliche Lebenslast, die Liebe sucht, aber nicht geben geben kann. Es ist der Auftakt zu einer erbarmungslosen Erkundung über die Unmöglichkeiten der Liebe. Nichts geht mehr zwischen den Männern und Frauen. Da posieren die Männer mit aufgesetztem Lächeln als Bodybuilder, lassen in knappen Höschen ihre Muskeln spielen, wollen bewundert werden – und machen sich damit nur lächerlich. Am Ende absolviert Blaubart den Muskelmann einsam vor einer Kinderpuppe. Wo Imponiergehabe nicht hilft, führt Gewalt vielleicht zum Ziel. Mit einem Bettlaken fängt Blaubart eine Frau nach der anderen ein, wirbelt sie durch die Luft und stapelt seine Beute auf einem Stuhl als wären es Jagdtrophäen. Unterdrückung geschieht im Wortsinn: Sucht Judith vorsichtig tastend Zärtlichkeit, wird sie gewaltsam zu Boden gedrückt, wieder und wieder. Später wiederholt sich die Szene in der Gruppe.

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„Blaubart.-Beim-Anhören-einer-Tonbandaufnahme-von-Béla-Bartóks-Oper-„Herzog-Blaubarts-Burg©Klaus-Dilger hier mit Tsai-Wei Tien und Michael Carter in den Titelrollen

Längst ist das Verhältnis der Geschlechter vergiftet oder einfach entgleist. Das Altbauzimmer entdeckt sich als Arena in einem endlosen Zirkel von Machtkämpfen und Missverständnissen. Suchen die Paare nach Zärtlichkeit, greifen die streichelnden Hände ins Leere. Umarmungen rutschen am Partner ab, einer sinkt zu Füßen des anderen und wird – im Wortsinn – übergangen. Versuchte Anlehnungen enden im lauten schmerzhaften Sturz zu Boden; Anklammern misslingt mit kraftlosen Armen. Die Kontrahenten reißen aneinander, ihre Körper prallen aufeinander, sie schieben, reißen, stoßen einander. Panisch rennen sie in ihrem Gefängnis, schreien, keuchen, stöhnen, weinen. Mitunter gehen sie buchstäblich die Wände hoch, krallen sich in kleinen Auslässen fest, um einen Moment der Ruhe zu erobern. Dann wieder sinken sie erschöpft zu Boden. Es ist dieser Rhythmus aus Kampf und Erschöpfung, untermalt von einer nur bruchstückhaft zu hörenden Musik, der die Akteure bestimmt. Es ist, als könnten, wollten sie nicht glauben, dass es eine vorsichtige, liebevolle Annäherung und ein gleichberechtiges Miteinander nicht geben könne. Es ist diese unerfüllte Sehnsucht, die sie immer wieder den Kampf aufnehmen lässt.

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„Blaubart.-Beim-Anhören-einer-Tonbandaufnahme-von-Béla-Bartóks-Oper-„Herzog-Blaubarts-Burg©Klaus-Dilger hier mit Silvia Farias Heredia und Christopher Tandy in den Titelrollen

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„Blaubart.-Beim-Anhören-einer-Tonbandaufnahme-von-Béla-Bartóks-Oper-„Herzog-Blaubarts-Burg©Klaus-Dilger hier mit Silvia Farias Heredia und Christopher Tandy in den Titelrollen

Doch immer wieder scheitern sie. Die Konventionen der Annäherung entpuppen sich als inhaltsleere Floskeln, die keine Nähe herstellen. Ihr Befolgen bedeutet nichts weiter als einen blinden Gruppenzwang. Selbst wenn doch einmal Ruhe einkehrt auf dem Schlachtfeld der unerlösten Wünsche, bringt sie keine Erlösung. Wenn Blaubart an seinem Tonband sitzt, wird er von lauter Frauen umringt, die monoton zwei Worte aus der Arie der Judith flöten. „Danke dir“ gurren sie, während sie ihn zudringlich befingern, sein Gesicht, seine Schultern betasten. Die Szene spricht vieles gleichzeitig an: eine Kritik an weibchenhafter Unterwerfung ebenso wie an Besitzgier – und lässt doch zugleich auch die wahren Sehsüchte anklingen.

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„Blaubart.-Beim-Anhören-einer-Tonbandaufnahme-von-Béla-Bartóks-Oper-„Herzog-Blaubarts-Burg©Klaus-Dilger hier mit Tsai-Wei Tien und Michael Carter in den Titelrollen

Mehr als in allen vorangegangenen Stücken hat Pina Bausch im „Blaubart“ die vieldeutige Ambivalenz der Gefühle als Stilmittel eingesetzt. Es gibt zärtliche Gewalt ebenso wie gewaltsame Zärtlichkeit, und nie kann man sicher sein, wann das eine in das andere umschlägt. Dabei teilt die Choreographin, anders als gerade in der Frühphase oft vermutet, die Welt nicht in Täter und Opfer. Die Wunden im Kampf um das Glück schlagen sich die Partner gleichermaßen. Sie bestürmen einander, fragen, fordern, wollen alles wissen, dem anderen kein Eigenes belassen, um ihn ganz zu beherrschen. Zwar wird mit unterschiedlichen Mitteln gekämpft, zwar scheinen die Männer den Frauen – zumindest physisch – zeitweilig überlegen, aber am Ende verlieren beide Seiten. Denn das Bedürfnis nach Macht, nach Herrschaft über den anderen und wie es sich in den Umgangsformen manifestiert hat, steht jeder Erfüllung des Glücksbedürfnisses im Wege. Wer Macht will, erträgt die eigene Verletzlichkeit nicht, kann sich nicht offen und ehrlich zeigen, so wie er ist. Damit aber ist er auch unberührbar, im Wortsinn unnahbar.

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BLAUBART_TANZTHEATER-WUPPERTAL-PINA-BAUSCH©KLAUS-DILGER hier mit Silvia Farias Heredia und Christopher Tandy in den Titelrollen

Mit einem Pyrrhussieg lässt Pina Bausch ihr Stück denn auch enden. Blaubart zieht der leblosen Judith alle Kleider ihrer Vorgängerinnen über und legt sich die puppenhaft vermummte Frau auf den Bauch. Mühsam robbt er mit ihr rückwärts über den Boden, hält ein, klatscht in die Hände. In wechselnden Standbildern wie im Film repetiert die Kompanie Gesten, Haltungen, Bewegungen des Stücks. Wie im Moment des Todes noch einmal Momente des Lebens aufscheinen, ruft sich Blaubart noch einmal den Gang durch die sieben Kammern seines Schlosses in Erinnerung. Noch lange hallt das Keuchen, Händeklatschen, das Schaben der Motionen im dürren Laub nach: ein Mensch am äußersten Punkt der Einsamkeit angelangt, ein Mörder aus Verzweiflung.

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„Blaubart.-Beim-Anhören-einer-Tonbandaufnahme-von-Béla-Bartóks-Oper-„Herzog-Blaubarts-Burg©Klaus-Dilger hier mit Tsai-Wei Tien und Michael Carter in den Titelrollen

In seiner Entstehungszeit Ende der 1970er war das Stück ein bis dato nicht gesehener Paukenschlag, ein scharf pointierter Weckruf gegen die missratenen Verhältnisse zwischen Männern und Frauen. Mit den Jahrzehnten Abstand jedoch merkt man, dass dieses Werk ein wenig schlechter altert als andere Stücke aus dem Bausch-Oeuvre. Das liegt nicht zuletzt an den ausgedehnten hysterisch überdrehten Lachpassagen, in denen es scheint, als wären die Akteure aus lauter Not in einen abgründigen Wahn gefallen, als versuchten sie noch einmal einen ausgelassenen Tanz auf dem Vulkan, der doch nicht gelingen kann. Das wirkt aus heutiger Sicht ein wenig überzogen und im choreographischen Timing streckenweise überreizt. Vielleicht deshalb präsentiert das durchweg sehr junge Ensemble den Blaubart heute mit größerer Zurückhaltung als in früheren Zeiten. Die zurückgenommene Attacke lässt nicht zuletzt auch die Männer im Stück verletzlicher erscheinen als früher. Sie haben – so spürt man – keineswegs weniger Gefühle und leiden nicht weniger in ihrem Rollengefängnis als die Frauen. Kein schlechter Perspektivwechsel für die fortgeschrittenen 2000er. Das beglaubigen nicht zuletzt die beiden Protagonisten Tsai-Chin Yu (Judith) und Oleg Stepanov (Blaubart), die ihren Rollen ebenso klare Kontur wie emotionale Tiefe verleihen. In ihnen besitzt das Tanztheater zwei in der Tat überragende Darsteller.

Anmerkung: Oleg Stepanov hatte sich kurz vor der erneuten Wiederaufnahme  verletzt und wird in dieser Serie nicht tanzen können – Tsai-Chin Yu wird in Paris die Premiere zusammen mit Michael Carter geben)

Hier in Wuppertal tanzten die Titelrollen abwechselnd Silvia Farias Heredia und Christopher Tandy, sowie Tsai-Wei Tien und Michael Carter.

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„Blaubart.-Beim-Anhören-einer-Tonbandaufnahme-von-Béla-Bartóks-Oper-„Herzog-Blaubarts-Burg©Klaus-Dilger hier mit Tsai-Wei Tien und Michael Carter in den Titelrollen

Von |2022-06-05T10:35:56+01:005. Juni, 2022|

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