„Malerei ist mein Leben“
Gestern Premiere der Uraufführung des Tanzstücks „Das eXXperiment
– Skizzen einer neuen Gemeinschaft“ –
Von XXTanzTheater Bibiana Jiménez in Kooperation mit Theater der Keller
Von KLAUS KEIL
Erst seit gestern ist es in Nordrhein-Westfalen wieder erlaubt, dass Spielstätten, Theater und Opern – unter Einhaltung der Hygiene-Vorschriften wieder öffnen. Hoffentlich ist es ein gutes Omen für den Tanz in NRW, dass dieser Neu-Einstieg, zumindest in Köln, mit der Uraufführung eines Tanztheaterstückes der freien Kölner Tanzszene erfolgt ist.
„Malerei ist mein Leben“. Die Frau, die sich so emphatisch zur Malerei bekannt hat, ist Marta Hegemann. Sie lebte von 1894 bis 1970. Marta war eine bemerkenswerte Frau. Selbstbestimmt vertrat sie als „Neue Frau“ in den 1920er-Jahren den Unabhängigkeitsgedanken der Frauenbewegung. Und als Künstlerin behauptete sie sich im Kreis von Männern wie Franz Wilhelm Seiwert, Heinrich Hoerle, Hans Arp, oder Anton Räderscheidt (den sie heiratete) die als „Kölner Progressive“ über Köln und Deutschland hinaus bekannt wurden.
Diese ungewöhnliche Frau hat die Kölner Choreografin Bibiana Jiménez jetzt in ihrem neuen Tanztheater „Das eXXpermient – Skizzen einer neuen Gemeinschaft“ auf die Tanzbühne geholt, nicht solistisch, sondern in dramaturgischer Doppelung durch zwei Tänzerinnen. Die eine, Daniela Riebesam, in schwarz, die andere, Florencia Martina in weiß, offensichtlich um der Vielfalt der Persönlichkeitsaspekte von Marta Hegemann gerecht zu werden. Beide Tänzerinnen sitzen sich eingangs an einem Tisch gegenüber, aber getrennt durch eine mittig angebrachte hohe transparente Folie, von der auch die nach allen Seiten offene Bühne eingepackt ist. Verschwommen können so die zeitgleichen Aktionen der beiden Protagonistinnen verfolgt werden. Zwar ist das Publikum aufgefordert, auch mal seine Plätze und damit die Perspektive zu wechseln, doch das wird kaum wahrgenommen. Dabei gewährt dieser Perspektivwechsel ganz erstaunliche Einblicke. Dramaturgisch geschickt werden in der Inszenierung die beiden Protagonistinnen antagonistisch einander entgegen gesetzt. Sie ahmen sich nach, tauschen sich aus, doppeln die Bewegungen der anderen. Und sie widersprechen sich im Ausdruck. Daniela Riebesam ist die klare, noch in der letzten Bewegung präzise; Florence Martina ist die emotionale, die der auslaufenden Bewegung noch ein flüchtiges Aperҫu hinterher schickt.
Beide Tänzerinnen sind ein großer Gewinn für die Inszenierung. Schon in der Eingangsszene zeigt sich, wie eng aufeinander bezogen ihre Bewegungen sind. Schließlich sind sie ja Teil eines Ganzen, verknüpft in den Möglichkeiten einer Person. Harmlos beginnt am Tisch das antagonistische Spiel mit dem Falten von Papierschiffchen, die aber bald mit einem Handstreich vom Tisch gefegt werden, als wolle man sich neuen Horizonten zuwenden. Ganz wie Marta Hegemann, die sich weg von der Zeichen- und Sportlehrerin zur „Neuen Frau“ verändert, auch wenn sie mit ihrem Ehemann Anton Räderscheidt die Politisierung der Progressiven nicht nachvollzogen haben. Man muss wohl ein Stück weit den Lebensweg von Marta mitgehen, um in den Körperstreckungen der Tänzerinnen, ihren weiten Armausschlägen, den tollen Drehungen und Überschlägen die neue Marta zu erkennen. Eine Hilfe bei der Einordnung des tänzerischen Geschehens geben die aus dem Off (Stimme: Valeria Risi) erfolgenden kurzen Kommentare und Zitate von Marta, für die die „Taubenschwärme“ den Raum öffnen oder – welch „Wunder, aus Trauer Farbe“ wird. Dazu passt, dass der mal dumpfe, dann wieder kreischende dissonante Klangteppich ganz im Off verschwindet und dem Swing der 1920er-Jahre Platz macht. An entscheidenden Stellen des Tanztheaters aber schwingt im Hintergrund immer wieder „La Paloma“ mit, ein Song, der schon damals Freiheit und Emanzipation suggerierte: „Unsere Utopie von der Gesellschaft zur Gemeinschaft“.
Dass dieser Traum bald ausgeträumt war, betraf alle Bereiche des Lebens – und nicht nur des deutschen Lebens. Doch gerade die Kunst traf es besonders arg. Von Marta Hegemann haben die Nazis als erstes die Bilder „Frauenberufe“ zerstört, denn: „Marta ist entartet“. Die beiden Tänzerinnen sind inzwischen auf den Boden gefallen, liegend oder auf den Knien rutschen sie auf dem Boden, dann wieder schieben sie sich liegend mit den Füssen durch den Raum. Die Angst vor „äußerer oder innerer Isolation“ führt die beiden Protagonistinnen im engen Körperkampf vereint auf dem Tisch zusammen. Wie aufgegeben hängen sie in der trennenden Folie zwischen schwarz und weiß, ritzen sich die Körper, bis Blut fließt. Der Tisch wird zum rettenden Floss auf dem sie zum Rauschen des Meeres wieder Schiffchen falten, während im Hintergrund leise ein Schifferklavier spielt.
„Das eXXperiment“ ist ein vielschichtiges und nicht immer leicht zugängliches, aber auf jeden Fall ein großes Stück Tanztheater. Mit großem Gespür für interessante Frauen der Kölner Geschichte hat die Choreografin Bibiana Jiménez mit Marta Hegemann eine bedeutsame „Neue Frau“ zu Recht auf die Tanzbühne gebracht.