Richard Siegal feiert Premiere in Leverkusen mit

ECTOPIA und einem Teil des Tanztheater Wuppertal

Im Gleitschritt Marsch!

Nachtkritik von Melanie Suchy

Der Choreograph Richard Siegal, dessen eigenes Ballet of Difference inzwischen am Schauspiel Köln residiert, hat für das nur ein paar Kilometer entfernte Wuppertaler Tanztheater Pina Bausch ein Stück geschaffen. Wegen des Hochwasserschadens in der Wuppertaler Oper wurde „Ectopia“ im Forum Leverkusen uraufgeführt. Das Publikum des zweiten Abends wirkte mehrheitlich begeistert. Vielleicht auch, weil niemand zu Schaden gekommen war. Der Schaden, suggeriert das Stück, ist längst passiert. Oder, als Futur II, wird stattgefunden haben.

Auf Tänzer wird geschossen  – knapp vorbeigeschossen

Die lassen das mit sich machen, sie machen ja mit. Acht Mitglieder des Tanztheaters Wuppertal. Das Geschoss besteht aus schwerer Farbe, aus Wachs, und ist dunkelrot. Es kommt in Tönnchen, wird in eine Kanone gestopft, der Verschluss wird zugekurbelt, dann heizt sich das Ding leise zischend auf, jemand drückt heftig einen Hebel, es knallt, es zischt diagonal über die Bühne und gegen die Wand. Fump.

Vom – vermutlich – vielen Schießen ist die Ecke, aus der das Bühnenbild besteht, am Boden schon belegt von einem Haufen dunkler Materie. Klumpen. Die weißen Wände, ebenso Teil der Skulptur namens „Shooting Into the Corner“ von Anish Kapoor, sind befleckt; am Ende sind es die Tänzerinnen und Tänzer auch, an der Haut und an den hellen fluffigen Hosen und Hemdchen. Das ist ein Bild unfassbaren Grauens. Aber es wird präsentiert in unermüdlicher Schönheit von irgendwie automatisierten Tanzmenschen. Die Kontrolliertheit, die sie exerzieren, wird zusätzlich herausgefordert durch den wachsglitschigen Boden.

Die emotionale Tube, auf die „Ectopia“ drückt, das sind der Sound, die elektronische Musik von Alva Noto, die Blutfarbe, die reale Kanonengefahr und auch das Licht im Design von Matthias Singer, das erhellt und sich ergießt und an manchen Stellen aus den Figuren Schatten macht. Aber nicht der Tanz. Das irritiert. Das ist geschickt. Aber ist es mehr als Effekt?

ECTOPIA_Richard-Siegal_Tanztheater-Wuppertal©TANZweb.org_Klaus-Dilger

ECTOPIA_Richard-Siegal_Tanztheater-Wuppertal©TANZweb.org_Klaus-Dilger