KOMMENTAR: ZEHNTES JAHRESTREFFEN DER FREIEN SZENE WUPPERTAL

Ein Kommentar von Klaus Dilger

 

Am 22.Juni fand auf Einladung des Oberbürgermeisters der Stadt Wuppertal, Andreas Mucke, zum zehnten Mal das „Jahrestreffen der Freien Kultur“ statt. Mehr als einhundert Künstler, Kulturschaffende, Vertreter der Stadt und der Verwaltung, Politiker und interessierte Bürgerinnen und Bürger versammelten sich bei schwül tropischen Temperaturen jenseits der 35 Grad Marke für mehr als zwei Stunden im gastgebenden Café Ada, um schwerpunktmäßig über das Thema und die These „Kultur in Wuppertal: Aufbruchstimmung“ zu diskutieren.

Absolut bemerkenswert und für eine Stadt der Grösse Wuppertals wohl ziemlich einmalig und von hoher Wertschätzung gegenüber Kunst und Kultur und ihren Machern zeugend, ist die Tatsache, dass sich sowohl der Oberbürgermeister, der Kulturdezernent, die Leiterin des Kulturbüros als auch Referatsleiter, insbesondere bei solchen klimatischen Bedingungen, alle die Zeit genommen haben, sich mit den Protagonisten über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Kunst und Kultur in Wuppertal auszutauschen.

Die Hoffnung, dass hierbei programmatisch nicht in der Position „Freie Kultur und Kunst“ versus „Hochkultur“ gedacht und verharrt werden wollte und sollte, leitete sich aus dem Thema und der Besetzung des Podiums ab, auf dem Kulturdezernent Matthias Nocke, die Leiterin des Kulturbüros Monika Heigermoser, die Musikerin Gunda Gottschalk, Musiker und Jazz Club Initiator Maik Ollhoff, Theatermacher und Vorstand des „Freies Netz Werk Kultur“ Lars Emrich, Opernintendant der Wuppertaler Bühnen Berthold Schneider, sowie Projektgeschäftsführer des Pina Bausch Zentrums Christian Koch Platz genommen hatten. Leider fehlten auf dem Podium der designierte Intendant des Wuppertaler Schauspiels Thomas Braus und die Intendantin des „Tanztheater Wuppertal Pina Bausch“ Adolphe Binder, beides Kräfte, die der Stadt in ihren Positionen neue Impulse verleihen dürften und die wohl sehr Wesentliches hätten beitragen können, wenn es denn tatsächlich um Zukunft und Aufbruch gegangen wäre, beides Kategorien zu denen solche Trennungen („Freie- versus Hochkultur“) nicht mehr passen mögen und die die gesellschaftliche Relevanz von Kunst und den möglichen fruchtbaren Diskurs, der aus ihr entstehen kann, nicht befördern.

 

Nach den, („wegen der tropischen Temperaturen“ – Mucke) sehr knappen Begrüssungs- und Dankesworten von Oberbürgermeister Andreas Mucke, fasste der Moderator des Abends, Thomas Mau, Kulturjournalist und ausgewiesener Kenner des Kulturschaffens und der Kulturpolitik in Wuppertal, kurz die gravierendsten Ereignisse der vergangenen zehn Jahre, im Positiven wie im Negativen, zusammen und hob den erstaunlichen Ruck hervor (Roman Herzog hätte seine Freude daran gehabt), der in den letzten Jahren durch die Stadt gegangen sein muss (hier spricht der Neu-Wuppertaler) und der zu der Aussenwahrnehmung einer „Aufbruchstimmung in der Wuppertaler Kulturlandschaft“ geführt haben soll.

 

Mau lieferte in seiner Anmoderation bereits die Kernthemen, über die es sich gelohnt hätte, strukturiert und detailliert zu diskutieren: wie etwa die Deckelung des Etats für Oper und Schauspiel, die allein durch die jährlich zu erwartenden Tariferhöhungen zu einem absehbaren künstlerischen und inhaltlichen Kollaps in zwei bis drei Jahren führen wird und wo die jüngsten Koalitionsvereinbarungen auf Landesebene zu diesen Tariferhöhungen ein Entkommen aus diesem „Tod auf Raten“ (Thomas Mau) bedeuten könnten. Was müsste und muss also schnellstmöglich seitens der Stadt getan werden und welche Auswirkungen hätte eine Schliessung von Oper und Schauspiel auf die so betitelte „Freie Szene“?
Welche Auswirkungen hat ein Leuchtturmprojekt mit internationaler Strahlkraft wie das Pina Bausch Zentrum, das in spätestens 2024 eröffnen soll und das viele neue Künstler temporär und wohl auch dauerhaft nach Wuppertal locken wird, für die Stadt und seine Kulturschaffenden – auch jenseits einer direkten Partizipation?
Wo sind die Schnittstellen und wie definiert sich „Augenhöhe“ bei gemeinsamen Projekten der Institutionellen und Nichtinstitutionellen, von denen es in jüngerer Vergangenheit einige positive Beispiele gegeben hat?
Wie lassen sich neue Wege finden zur strukturellen und finanziellen Verbesserung der Arbeitsbedingungen für freiberufliche Künstler („Es fehlen Räume und Geld um Kunst zu schaffen und zu zeigen“ – Mau)?

 

Vielleicht hätte der Diskussionsleiter gut daran getan, einer Agenda bei der Behandlung seiner klar angerissenen Themen zu folgen, anstatt die Podiumsteilnehmer zunächst an Hand ihrer zufälligen Sitzordnung zu Wort kommen zu lassen. Dies eröffnete ein Themen-Ping-Pong, das es schwer machte, den teilweise hochinformativen Interventionen auf den Grund zu gehen und sie kollektiv verwertbar zu machen.

Am klarsten gelang dies noch dem Kulturdezernenten Matthias Nocke und vor allem der Leiterin des Kulturbüros Monika Heigermoser, die verdeutlichten, wie Kulturförderung funktionieren kann, wenn ausserordentlich wenig finanzielle Ressourcen vorhanden sind: zuhören, begleiten, Partner und Drittmittel gemeinsam mit den Künstlern finden. Nocke verwies darauf, dass die eingesetzten Mittel der Stadt zur Förderung freifinanzierter Kunst- und Kulturprojekte statistisch gesehen mit sogenannten Drittmitteln achtfach bis zehnfach erweitert werden können. Eine kulturpolitische Vision wird dadurch natürlich noch nicht manifestiert, aber allen Protagonisten eine praktische und pragmatische Handlungsempfehlung zur Realisierung ihrer eigenen künstlerischen Visionen (wenn sie nicht allzu hochfliegend und teuer sind) an die Hand gegeben.

 

Christian Koch hatte für das Pina Bausch Zentrum kaum Spannendes und Konkretes beizutragen, zu neu ist er noch im Amt, zu unkonkret noch sind Inhalte, Rollen und Personen, noch ist nichts verabschiedet und zu sehr verfiel er in eine abwehrende Distanz, die gefühlt auf der Erwartung zu beruhen scheint, alle „Freien“ wollten etwas vom Kuchen abhaben, der noch gar nicht gebacken wurde.

 

Lars Emrich, der Theatermacher, der hier als neu gewählter Vorstand eines breit angelegten Bündnisses in Vereinsform, namens „Freies Netz Werk Kultur“ teilnahm und wohl der Breite wegen, die er zu vertreten hatte, kaum in eine Diskussion fand, die zudem dringend von irgend jemandem hätte thematisch angestossen und strukturiert werden müssen. Emrich sieht in dem Zustandekommen des neuen Vereins „Zeichen für eine Aufbruchstimmung aber noch lange keine Goldgräberstimmung in Wuppertal“. Seiner Ansicht nach müssten die freiberuflichen Künstler und Kulturschaffenden zunächst in behutsamen Prozessen lernen, aufeinander zu zu gehen, miteinander zu sprechen und Gemeinsamkeiten zu entdecken, damit sie lernen, miteinander zu arbeiten.

 

Gunda Gottschalk, Maik Ollhoff und Berthold Schneider einte nicht nur die Musik, sondern auch gemeinsame und erfolgreiche Projekte, ohne dass es ihnen jedoch gelang, analytisch das Exemplarische für diese Erfolge heraus zu arbeiten. Zu schnell drängten sie die Defizite und Mangelverwaltung in den Vordergrund, die ein Nachdenken über Visionen an der Wand aus Mindestgagen, die nicht bezahlt werden können und anderen Defiziten, die sich als Realitäten nicht wegdiskutieren lassen, aber auch nicht zwingend angesteuert werden müssen und mussten, zerschellen liessen.

Als dann nach eineinhalb Stunden die Publikumsdiskussion in dieser „Unfallstimmung“ eröffnet wurde, liess die symptomatisch geäusserte Kritik aus den Reihen der Diskutanten im Publikum (und zuvor von Gunda Gottschalk vom Podium aus angesprochen), die wohl gerne nur Vertreter der „Freien Szene“ in der Diskussionsrunde mit den beiden Repräsentanten der Stadt gesehen hätten und denen schon zwei Vertreter von Institutionen zu viel des Guten zu sein schienen, in dem überhitzten Raum wenig Erwartung auf einen fruchtbaren Ausgang der Veranstaltung aufkommen. Spürbar auch der Unmut der zahlreich anwesenden bildenden Künstler, die sich in der Gesprächsrunde vollkommen ausgeschlossen und übergangen gefühlt hatten, obwohl sie doch eigentlich von Lars Emrich und dem „Freies Netz Werk Kultur“ auf dem Podium vertreten wurden. Ihnen wurde seitens der Verwaltung spontan und unmittelbar ein zeitnahes Arbeitstreffen versprochen.

 

Natürlich ist es in dieser Art der Veranstaltungen unvermeidlich, dass auch Einzelerfahrungen und Einzelschicksale in die Runde getragen werden, als könnte daraus Heilung erfolgen, denn schliesslich ist Kunst immer auch etwas sehr Persönliches.

Dennoch klangen in der knapper werdenden Zeit auch Ansätze an, die es verdienen, weiter verfolgt zu werden. Etwa die Überlegung, ob nicht die Hälfte der jährlich drei Millionen an Ausgaben für externe Berater eingespart und der Kultur zugeführt werden könnten. Oder die Frage von Wert und Werten für eine Stadtgesellschaft. Oder die Forderung nach einem Kultur-Entwicklungsplan für Wuppertal. Letztendlich auch, ohne dass dies ein reines Wuppertaler Thema wäre, und es so auch nicht wörtlich formuliert wurde, es ist die Frage nach dem „Bedingungslosen Grundeinkommen“ (nicht nur) für Künstler.

Echte Misstöne kamen nur kurz auf, als ein wohl freischaffend arbeitender Schauspieler recht aggressiv und oberlehrerhaft von einer „Kriegserklärung an die Freie Szene“ seitens der Wuppertaler Oper sprach, nur weil diese sich ergänzend um Sponsoren-Gelder für ihre künstlerische Arbeit bemühen (müssen, so der Intendant). Mit dieser, doch sehr kurzsichtigen, Einstellung wird nicht nur eine Diskussion sehr klein…

Zurück blieben nach der Veranstaltung gemischte Gefühle, dies war deutlich spürbar bei allen Anwesenden, vielleicht auch deshalb, weil die Frage im Raum stand, weshalb es weder den Podiumsteilnehmern, noch den anwesenden Teilnehmern im Publikum gelungen ist, die Themen strukturiert anzupacken, die Thomas Mau eingangs in den Raum gestellt hatte, oder, was noch bedrückender wäre, sie diese gar nicht behandeln wollten.

Vielleicht sollte im kommenden Jahr nicht das „11.JAHRESTREFFEN FREIE SZENE WUPPERTAL“ stattfinden, sondern das „1. JAHRESTREFFEN KUNST UND KULTUR WUPPERTAL“? – weder „frei“ noch „hoch“, sondern einfach spannend, klug und gemeinsam.