BERUFUNGSKLAGE GEGEN ADOLPHE BINDER ABGEWIESEN

ERWARTBARER AUSGANG

Das Landesarbeitsgericht in Düsseldorf hat die Berufung des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch GmbH (mit der Stadt Wuppertal als Trägerin) am 20.August 2019 abgewiesen. Das kann niemanden überraschen, nicht einmal diejenigen, die die Berufungsverhandlung angestrebt hatten, denn schon bei der Erstverhandlung in Wuppertal hatte der vorsitzende Richter haarklein aufgelistet, wie formal falsch (und letztlich dilettantisch) diese vermeintlich fristlose Kündigung vorbereitet und ausgesprochen wurde. Und im Fall des Vorwurfs der fehlenden Spielplangestaltung hatte es die Geschäftsführung des Tanztheaters schlichtweg versäumt, dem Gericht die geforderten Vergleichsunterlagen der Vorjahre vorzulegen, damit es hierüber hätte befinden können.

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Neues Stück II | Eine Kreation von Alan Lucien Øyen | Tanztheater Wuppertal Pina Bausch | UA 2. Juni 2018

ES GING NICHT UM AUFKLÄRUNG

So ging es weder in Wuppertal noch in Düsseldorf letztlich um die Aufklärung der Frage, ob denn die, auf äusserst unrühmliche und geschmacklose Art, bekannt gewordenen Vorwürfe gegen Frau Adolphe Binder zutreffend seien oder nicht, sondern um vorwiegend formaljuristische Abwägungen der hohen Anforderungen an eine ausserordentliche Kündigung.

Wer auch immer diese letztlich verantwortungslose Idee gehabt haben mag, drei ausgesuchten Medien (WZ, Wuppertaler Rundschau und FAZ) eine Liste von Vorwürfen und Anschuldigungen gegen Adolphe Binder „zukommen“ zu lassen, anstatt zu allererst die übergeordneten Gremien, den Beirat des Tanztheaters, mit dieser ausserordentlichen Kündigung zu befassen, hat dabei vollkommen übersehen, dass es fortan in den öffentlichen Diskussionen fast ausschliesslich um das „WIE“ der Durchführung gehen wird und nicht mehr um das „WARUM“ jemand gemeint hat, die Notbremse ziehen zu müssen, um das Tanztheater Wuppertal  Pina Bausch zu schützen, nachdem monatelang versucht worden war, mit Frau Binder zu einer gütlichen Einigung zur Aufhebung ihres (auf Grund der Vorgeschichte unverständlicher Weise „unkündbaren“) Vertrages zu gelangen.

Tanztheater Wuppertal Pina Bausch - Neues Stück II

Tanztheater Wuppertal Pina Bausch – Neues Stück II ©Meyers_Originals

Dies ist umso bedauerlicher, als dadurch auch versäumt wurde, die notwendigen Qualitätsansprüche an die künstlerische Leitung des Tanztheater Wuppertal, auch für die Zukunft, transparent zu machen.

Die Leidtragenden waren und sind in erster Linie natürlich die Künstlerinnen und Künstler, sowie alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Compagnie. Sie wurden durch die Ereignisse beinahe schon traumatisierend ausgebremst in ihrem Mut und Elan, die Zukunft des weltberühmten Tanztheaters, aber auch damit verbunden, ihre Eigene zu gestalten, einschliesslich so vieler Fragen, die seit dem Tod von Pina Bausch einer dringenden Klärung bedürfen.

Tanz Film Tanz Kritik Wuppertal

Tanztheater Wuppertal Pina Bausch GmbH ©Meyers_Originals
Nefés

„Das Kind war schon in den Brunnen gefallen, als der Vertrag unterzeichnet wurde…“ sagte Alexander Schneider, Richter am Landesarbeitsgericht Düsseldorf, anlässlich seines Urteils.

Dieses Scheitern der Intendanz Adolphe Binder offenbart nicht nur menschliche Defizite auf mehreren Seiten, sondern auch systemische, die Fragen hervorrufen wie:

Wer bestimmte ein Beratergremium, das trotz der bekannten Differenzen und Schwierigkeiten Adolphe Binders an ihrem vorausgegangenen Arbeitsplatz, der „GöteborgOperans Danskompani“, diese für eine solch schwierige Aufgabe, wie die Leitung des weitaus bedeutenderen Wuppertaler Tanztheater, als geeignet betrachtete?

Wie geeignet sind die Personen dieses Beratergremiums?

Weshalb wurden nicht zumindest Kündigungsoptionen in den Vertrag mit Frau Binder integriert, nachdem zumindest doch „Probleme aus Göteborg“ bereits in Erwähnung waren?

Wer sind heute, nach dieser leidvollen Erfahrung, die Mitglieder in diesem „Expertengremium“, deren Namen Dr. Slawig vor nunmehr zehn Monaten nur deshalb nicht benennen wollte, weil er deren endgültige Zustimmung abwarten wollte.

Welche Kriterien wurden nach den Erfahrungen mit Frau Binder entwickelt, um ein möglichst präzises Profil einer zukünftigen Künstlerischen Leiterin oder eines Leiters zu entwickeln?

Welche Bedeutung kommt der Leitung des Tanztheaters zu im Hinblick auf das geplante Pina Bausch Zentrum und der damit einhergehenden Zusammenarbeit mit der Pina Bausch Foundation und dem Pina Bausch Archiv?

Diese Fragen sind nur die Spitze des berühmten Eisbergs, der spätestens seit den verhandelten Ereignissen auch die Politik und die Öffentlichkeit zu interessieren beginnt.

WIE WIRD ES NUN WEITER GEHEN?

Wie wird es nach der Teil-Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, das wohl erst im kommenden Jahr über Frau Binders Klage auf Weiterbeschäftigung und Entschädigung entscheiden wird, nun weiter gehen?

Bettina Wagner-Bergelt, als neue künstlerische Leiterin und Intendantin und Roger Christmann als Geschäftsführer, haben einen gültigen Arbeitsvertrag bis Ende der Spielzeit 2020/21 und können sich vorstellen, ihren Vertrag über dieses Datum hinaus weiter zu führen. Ihnen kommt nun die geradezu absurde Aufgabe zu, mit Frau Binder über deren geforderte Weiterbeschäftigung in der Position der Intendantin und künstlerischen Leiterin zu verhandeln, was angesichts der Gemengelage in der Compagnie ein wahrer Eiertanz zu werden droht, weshalb Roger Christmann wohl schon vor Gericht seine Rolle beim „Good Cop – Bad Cop Spiel“ eingenommen hatte.

Auch der vorsitzende Richter hat in der Verhandlung deutlich gemacht, dass er sich eine Weiterbeschäftigung von Frau Binder derzeit kaum vorstellen kann („Es kann nur eine Nummer Eins geben…“) und hat den Beteiligten, auch im Interesse des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, dringend ans Herz gelegt, eine gütliche Einigung zu finden.

ARIEN ©TANZweb.org_Klaus Dilger_Arien

ARIEN ©TANZweb.org_Klaus Dilger_Arien

DIE BEFRIEDUNG DER COMPAGNIE MUSS AUS SICH SELBST HERAUS ERFOLGEN

Ob eine solche Einigung auch die Compagnie in ihrem Inneren befrieden kann, bleibt fraglich. Hier ist die Compagnie selbst gefordert, einen klugen Weg zu finden, der ihr einen solchen in die Zukunft ebnet.

Auch weil es wohl um weit mehr geht, als dass die Tänzerinnen und Tänzer zweigeteilt sind oder wurden, was die Weiterbeschäftigung von Frau Binder angeht. Hier handelt es sich um ein Mehrgenerationenensemble, von denen Viele, vor allem in Italien und Frankreich, als veritable Weltstars gefeiert und behandelt werden. Das Herstellen von Augenhöhe, insbesondere wenn ihnen nicht mit der legendären Bescheidenheit einer Pina Bausch gegenüber getreten wird, entwickelt sich so gesehen möglicher Weise leicht zu einem Problem für das Gegenüber, insbesondere wenn es um Leitungsansprüche geht. Viele von ihnen haben das Gesicht des Tanztheaters geprägt, und auch die Rollen in Pina Bauschs Stücken; sie fühlen sich deshalb nicht selten als Co-Autorinnen und -Autoren der ikonografischen Stücke des Ensembles. Viele von ihnen dürften deshalb auch glauben, die Deutungshoheit über Pina‘s Stücke zu haben, nachdem sie diesen Platz als einzig legitime nicht mehr einnehmen kann, auch was die Besetzung der Rollen und die Probeleitung anbelangt. Wem mag es gelingen, nicht nur das Werk Pina Bausch‘s, das Tanztheater, sondern auch jedes einzelne Künstlerindividuum in die Zukunft zu führen und dabei dennoch das Ganze, also das Werk und das Tanztheater im Auge zu behalten? Klugheit lässt sich nicht verordnen, aber es wäre schon viel erreicht, wenn die Künstler nicht mehr das Gefühl haben müssten, dass andere über ihre Zukunft entscheiden, ohne dass sie dabei maßgeblich beteiligt und zumindest gehört worden sind. – Und dies gilt nicht nur für das Tanztheater Wuppertal.

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Tanztheater Wuppertal Pina Bausch GmbH ©Meyers_Originals
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(Veröffentlichung Justiz NRW 15.08.2019)

Verhandlung am 20.08.2019 um 10.30 Uhr in Saal 103 des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf:

Die Klägerin (Adolphe Binder_Anm. Red.) war bei der Beklagten (Stadt Wuppertal – Tanztheater Wuppertal Pina Bausch GmbH_Anm. Red.), die ein weltweit bekanntes Tanztheater mit mehr als 50 Mitarbeitern betreibt, seit dem 01.05.2017 als Intendantin beschäftigt. Der Arbeitsvertrag der Parteien ist bis zum 31.07.2022 befristet und sieht die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht vor.

Nach monatelangen Unstimmigkeiten zwischen den Parteien kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 13.07.2018 außerordentlich fristlos. Sie warf der Klägerin in erster Linie vor, keinen umsetzbaren Spielplan für die Spielzeit 2018/2019 vorgelegt zu haben. Außerdem hat die Beklagte den Arbeitsvertrag angefochten, weil die Klägerin sie vor ihrer Einstellung nicht darüber informiert habe, dass sie – was nach jetzigen und von der Klägerin bestrittenen Informationen der Beklagten angeblich der Fall sein soll – bei ihrem vorherigen Arbeitgeber fristlos gekündigt oder zumindest suspendiert worden sei.

Das Arbeitsgericht Wuppertal hat der Klage der Intendantin stattgegeben. Die Anfechtung des Arbeitsvertrags sei unwirksam, weil die Klägerin die Beklagte bei ihrer Einstellung nicht getäuscht habe. Insoweit komme es nicht darauf an, ob und ggf. welche Konflikte es zwischen der Klägerin und ihrem früheren Arbeitgeber gegeben hatte. Jedenfalls habe sie sich damals mit ihrem vorherigen Arbeitgeber geeinigt und müsse deshalb nichts Weiteres offenbaren. Auch die fristlose Kündigung des Arbeitsvertrags sei unwirksam. Im Zusammenhang mit der Erstellung des Spielplans könne keine Verletzung der vertraglichen Pflichten der Klägerin festgestellt werden. Den vorgelegten Spielplänen habe das Arbeitsgericht nicht entnehmen können, welche Fehler und Ungenauigkeiten der Spielplan der Klägerin für 2018/2019 im Vergleich zu den Vorjahren aufweise. Es sei widersprüchlich, wenn die Beklagte einen Tag vor dem Verhandlungstermin zusätzliche Anforderungen aufstelle, welche sich weder in ihrem bisherigen Vorbringen noch in der an die Klägerin gerichteten Abmahnungen oder Ermahnungen wiederfinden. Soweit der Vorwurf dahin gehe, dass die Klägerin nicht spielbare Stücke aufgenommen habe, sei zu berücksichtigen, dass sie als künstlerische Leiterin entscheide, welche Stücke gespielt werden. Schließlich habe die Beklagte einen großen Teil des Spielplans der Klägerin tatsächlich umgesetzt. Die Voraussetzungen einer sog. Druckkündigung seien nicht erfüllt. Selbst unterstellt, dass einige Mitarbeiter die Kündigung der Klägerin verlangt hätten, habe die Beklagte es – wie von der Rechtsprechung gefordert – versäumt, zunächst ausreichend zu vermitteln und sich schützend vor die Klägerin zu stellen.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte die Abweisung der Klage weiter. Im Wege der Anschlussbeschäftigung begehrt die Klägerin die Zahlung von Vergütung aus Annahmeverzug für die Zeit nach Ausspruch der Kündigung, ihre tatsächliche Weiterbeschäftigung bis zum Abschluss des Verfahrens sowie die Entfernung von Abmahnungen.

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 8 Sa 99/19

Arbeitsgericht Wuppertal, Urteil vom 13.12.2018 – 5 Ca 1714/18