„Dreihundert Schritte“ – Peculiar Man zeigt in diesem Jahr bereits ihre zweite Produktion in der Wuppertaler Börse –
Noch einmal am 5.Mai um 20 Uhr in der Börse Wuppertal
Nachtbesprechung von Klaus Dilger | HIER GEHT ES ZU DEN VIDEOIMPRESSIONEN
„Was wäre, wenn dein Leben in einem einzigen Moment vor deinen Augen vorbeiziehen könnte?“ Diese Frage stellt das Programmheft zu Jan Möllmer’s (Peculiar Man) zweiter Produktion in diesem Jahr in der Wuppertaler Börse, die am gestrigen Abend Uraufführung vor ausverkauftem Haus feiern durfte.
Das Kino und andere Bildmedien liefern für solche Situationen, die meist in Verbindung stehen mit einem „near death“, dem nahen Tod also, hinlänglich bekannte Techniken der Zeitrafferrückschauen. Ganz anders Jan Möllmer und Uwe Brauns. Die Bilder die sie erzeugen sind weder digital noch real, sie sind unsichtbar und spielen sich allein in ihrem Inneren, und wenn es gelingt, der Phantasie der Zuschauenden ab. Sie sind Teil einer unsichtbaren Welt, die sich, wie in Peculiar Man’s „THE MAN“, Zutritt und Erinnerung verschafft, indem sie auf toten Telefonen anruft, oder wie hier, die Weckrufe mittels einzelner der zahlreich umherliegenden orthopädischen Fussleisten (Fussmodellen aus Holz) aussendet.
Auch Möllmer’s skurriler Sinn für Humor zieht sich, oft mit sehr eng beieinander liegenden Mitteln, durch seine bisherigen Arbeiten. Das Wechsel-Spiel zwischen Beinen und Füssen aus Holz und Leben vollzieht sich nahtlos und amüsiert, ohne jedoch tiefe bildliche und sinnliche Eindrücke zu hinterlassen. In „Dreihundert Schritte“ wird eine Unentschlossenheit spürbar zwischen Erzählerischem, Erinnerndem und Phantastischem. In „THE MAN“ waren die zeitlichen Verbindungen noch klar mit Jan Möllmer und Tsai-Wei Tien als den Protagonisten verbunden und in „Try to Remember“ in Form von Gegenwart und Erinnerungsschlaufen der drei Performer greifbar. Deshalb konnten alle Bilder und das Geschehen sich Zutritt in die Phantasie und Sinne der Zuschauer verschaffen. Hier in „Dreihundert Schritte“ dominiert das, die, der Abwesende, symbolisiert und metaphorisiert durch hölzerne Modelle von menschlichen Füssen, von Anbeginn an die Bühne. Dass damit bei manchen Zuschauern auch Bilder evoziert werden, die an Berge von Schuhen erinnern, die sich in deren Gedächtnis eingebrannt haben, ist sicher nicht gewollt.
Die im Programmheft angekündigte „Lebensbilderschau“ war ein hoch, vielleicht zu hoch, angesetztes Ziel und Versprechen. Hierzu hätte es eben doch des (im Programmheft verworfenen) Raums und der Zeit bedurft, um diese mit den jeweiligen hölzernen Platzhaltern zum Leben erwecken zu können. Dennoch ist es lohnend, sich diesen Abend anzusehen; auf der Bühne tanzen zwei ehrliche, unprätentiöse und sympathische Tänzer, die ihr Handwerk in der Folkwang Schule gelernt haben und es beherrschen. Im Folkwang Tanz Studio und bei Gastauftritten im Tanztheater Wuppertal Pina Bausch durften sie es zudem verfeinern.
Der Börse ist für die Koproduktion mit diesen jungen Künstlern zu danken und sie soll hier ausdrücklich in ihrem Engagement für den Tanz in Wuppertal bestärkt werden, das eine grossartige Freie Tanzszene besitzt, die leider mangels entsprechender Aufführungsmöglichkeiten viel zu selten hier zu sehen ist und deshalb in der Stadt nicht adäquat wahrgenommen wird.