Jetzt: Geschenke auspacken…!
Ein Rückblick auf das vor einer Woche zu Ende gegangene
„Dancescreen 2019 +TANZRAUSCHEN Festival Wuppertal“
von Klaus Dilger
Vor genau einer Woche ging das „Dancescreen 2019 +TANZRAUSCHEN Festival Wuppertal“ zu Ende. Vier prall gefüllte Tage, so lang, so komplex, so vielschichtig und heterogen wie der Titel der Veranstaltung selbst.
Wir haben das Festival zusammen mit „dance&dare“, unserem Nachwuchslabor für eine neue, zeitgenössische Tanzsicht und Sichtbarmachung des Tanzes, begleitet, und noch längst sind nicht alle Ergebnisse und Beiträge der vier schreibenden und filmenden Teilnehmerinnen, die allesamt nach einer internationalen Ausschreibung vom Anfang des Jahres ausgewählt wurden und die selbst aus der Tanzkunst stammen, veröffentlicht.
Eine gewaltige Leistung, die das kleine „tanzrauschen e.V.“ – Team und die Vorstände Kerstin Hamburg, Marc Wagenbach, Felicitas Willems und Zara Gayk, da vollbracht und der Stadtgesellschaft Wuppertal geschenkt haben, zu der sie natürlich auch selbst gehören.
Doch was ist drin in diesem Geschenk-Paket, das noch nicht einmal von irgend jemandem wirklich ausgepackt wurde, anstatt „Juhuuu, wir sind Tanz-Berlinale“ zu rufen? (wir haben darüber berichtet)
Wettbewerb „Dancescreen 2019
Wuppertal war die neunzehnte Ausgabe dieses IMZ – Wettbewerbs (IMZ steht für Internationales Musik und Media Zentrum – mit Sitz in Wien).
Nach dessen eigener Darstellung ist „…Dancescreen (…) einer der weltweit wichtigsten internationalen Tanzfilmwettbewerbe und wird vom IMZ International Music + Media Center initiiert und organisiert. Als größtes internationales Business-Netzwerk für die Förderung der darstellenden Künste durch die audiovisuelle Medienbranche bietet das IMZ exklusive Geschäfts- und Networking-Möglichkeiten für angehende und etablierte Filmproduktionen, die an Dancescreen teilnehmen. Das Angebot solch seltener Gelegenheiten, Branchenexperten für professionelles Coaching zu gewinnen, bedeutet einen starken Einfluss auf Karriere und Professionalisierung aufstrebender Talente im Tanzfilm…“ und weiter „… Der Dancescreen-Filmwettbewerb würdigt herausragende Leistungen in der Tanzfilmproduktion: Die Jury bewertet eingereichte Filme zu Originalität, Choreografie und Dramaturgie, technischer Umsetzung, Produktionsdesign sowie Sinn und Aussagekraft…“
In 25 Präsentationen, oder besser Kinovorführungen, waren insgesamt 67 ausgewählte Tanz-Filme zu sehen. Nach (inoffiziellen) Angaben des IMZ war jede dieser Vorführungen im Durchschnitt mit 64 Zuschauern besucht. Nicht eingerechnet sind hier die Filminstallationen im Schauspielhaus Wuppertal, die Möglichkeit, in der Börse die sozialen Filmprojekte von Jo Parkes an den Bildschirmen zu betrachten und die Installation „Das Totale Tanztheater“ im Neuen Kunstverein Wuppertal zu erleben.
Bemerkenswert hierbei, dass es „tanzrauschen e.V.“ gelungen ist, eine neue Wettbewerbskategorie zu initiieren, nämlich den „Social Movers Award“.
„… Der Social Movers Award ist eine neue Auszeichnungskategorie im Tanzfilmwettbewerb mit besonderem Schwerpunkt auf sozialen Themen. Die Kategorie begrüßt Filmbeiträge die die gezielte Auseinandersetzung mit gesellschaftskritischen Themen oder die strukturelle Einbindung unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen zum Ziel haben und die verschiedene soziale Gemeinschaften in den Prozess der Tanzfilmproduktion einbinden.
Der Social Movers Award würdigt die filmische Auseinandersetzung mit einer vielschichtigen Gesellschaft, die andere Formen der gesellschaftlichen Teilhabe fordert und in der Tanz – in all seinen Möglichkeiten – als Ausdruck des Lebens in seiner Vielfalt verstanden wird.“, so die IMZ.
Dass hiermit natürlich auch ein ganz eigenes „tanzrauschen e.V.“ – Projekt mit aufgewertet wird, nämlich das, mit Europageldern finanzierte „mAPs“ – (mAPs – Migrating Artists Project – When art meets life and trust), mindert diese Leistung keineswegs, sondern unterstreicht das strategisch kluge Handeln dieser kleinen Veranstaltergruppe, dessen Netzwerk aus der ersten grossen Veranstaltung, die 2016 in der Wuppertaler Börse stattgefunden hatte, fein und effizient weitergesponnen wurde. Die Partner dieses Projektes: Stéla – DAN.CIN.LAB (FR), BELLEVILLE – Athens Video Dance Project (GR), COORPI (IT), MALAKTA Films (FI) und TANZRAUSCHEN e.V. (DE). Bei „mAPs“ , „… das darauf abzielt, professionelle Künstler*innen bei der Produktion und Verbreitung qualitativ hochwertiger Dance on Screen-Projekten zu unterstützen und zu betreuen. Dabei setzen wir uns für starke ethische Werte ein, reflektieren aktuelle gesellschaftliche Fragen und involvieren unterschiedlichste gesellschaftliche Gruppen bei jedem Schritt des kreativen Prozesses…“ (Zitat Tanzrauschen), werden Erfolg und Akzeptanz entscheidend davon abhängen, wie offen die Beteiligung ALLER interessierten Künstler tatsächlich angelegt und möglich ist.
Dass wir die Präsentation eines Films eines der Veranstalter in der Eröffnungsfeier, auch wenn er selbstverständlich ausser Konkurrenz lief, für äusserst unglücklich halten, ebenso wie die Teilnahme des Finnen Jukka Rajala-Granstubb am Wettbewerb (MALAKTA Films – siehe Netzwerk „mAPs“ und der auch beim Eröffnungsfilm beteiligt war), hatten wir bereits dargelegt.
Dies sind eigentlich Selbstverständlichkeiten, um den Eindruck „La Familia“ erst gar nicht entstehen zu lassen, auch wenn der Kreis der Beteiligten im Bereich des Tanzfilm-Wettbewerbs noch klein und familiär ist.
Screen Dance Market
Zwölf Meetings und Panel – Diskussionen rund um die Themen der Tanzfilm-Produktion, ihre Bedeutung für die Tanzkunst und für die Gesellschaft und um die ÜBER-Setzbarkeit von Tanz (-Sprache in ein neues Medium und zu neuen „Ufern“) , fanden unter dem Oberbegriff des „Screen Dance Market“ im ehemaligen Schauspielhaus statt, sowie die Behandlung des Themas „Transforming Cities – Tanzfilm als Motor des Wandels von Stadtgesellschaften“, das passender Weise im Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie behandelt wurde.
Nicht alle Diskussionen und Meetings waren für Jeden spannend, was wenig überrascht auf Grund der unterschiedlichen Thematiken und Interessenslagen.
Märkte sind Orte der Begegnung, des Austauschs und auch des Kaufs und Verkaufs. Ob und wieviel verkauft wurde, darüber gibt es keine Informationen (bisher), Austausch und Information gab es vor allem dann, wenn Künstler, Tänzer, Choreografen und Filmemacher direkt beteiligt waren, insbesondere dann, wenn das Anschauungsmaterial, die künstlerischen Ergebnisse, räumlich unmittelbar erfahrbar waren, wie bei der Diskussion „UNDERGROUND meets TANZRAUSCHEN“.
Letztere steht gleichzeitig für mehrere überaus positive Öffnungen, die eine wohltuende und hoffnungsvolle Neuerung beim Tanztheater Wuppertal Pina Bausch signalisieren sollte, und dies an jenem überaus inspirierenden Ort, aus dem in naher Zukunft das „Pina Bausch Zentrum“ werden soll: bei UNDERGROUND VII kreierten Tänzerinnen und Tänzer überaus erfolgreich Neue Stücke und Filme gemeinsam mit internationalen Künstlerinnen ausserhalb des Tanztheaters Wuppertal, darunter auch das durchaus „systemkritische“ New People Projekt von Michael Carter und Gala Moody, das als Film weitaus besser funktionierte, als ein paar Tage später auf der Bühne bei UNDERGROUND VIII. Bettina Wagner-Bergelt, Intendantin und Künstlerische Leiterin des Tanztheaters stand auch als Partnerin und Expertin bei der „Pitching Session“ zur Verfügung, in der Filmschaffende versuchen konnten, Partner und Financiers für ihre neuen Projekte zu gewinnen.
©Tero Saarinen
Auch hier zeigte sich deutlich, was und wieviel durch Zusammenarbeit, neudeutsch „networking“, zu erreichen ist (oder wäre). Mehr Präsenz hätte man sich in diesem Zusammenhang aber von der „Pina Bausch Foundation“ gewünscht, gerade im Hinblick auf den Ort und die Tatsache, dass Tanzfilm und Tanzfilmdokumentation eine wesentliche Säule des Archivs der Stiftung sind, auch wenn es dezidiert um das Werk von Pina Bausch geht und um das es auch in mehreren Beiträgen des Festivals ging: nicht zuletzt beim Vortrag von Prof.Dr. Gabriele Klein: „Pina Bausch und das Tanztheater. Die Kunst des Übersetzens“, das von Robert Sturm, dem Künstlerischer Betriebsdirektor des Tanztheaters moderiert wurde und bei dem Anne Linsel dabei sein durfte, deren Film „Das Erbe der Pina Bausch“ ebenfalls im Festival gezeigt wurde (und keinesfalls überzeugen konnte).
Ausserdem: Chrystel Guillebeaud, Choreographin aus Wuppertal präsentierte in einer Art „Offenes Atelier“ eine Installation über ihre Produktion: DEIN FEMUR SINGT, das wir auf TANZweb.org HIER bereits besprochen haben.
Und: Geplant waren zudem mehrere Workshops, die allesamt mangels Interesse ausfallen mussten. Dass dies bedauerlich war, können wir zumindest für den Workshop der transatlanticbirdscrew / Camille Käse & Florence Freitag, „camera-body-eye / eine Einführung in Video-Performance“, mit Sicherheit sagen, denn diese hatten sich bereit erklärt, für „dance&dare“ einen Kompaktworkshop abzuhalten, der die Teilnehmerinnen begeisterte, wie sie in ihren Beiträgen auf TANZweb.org deutlich dokumentiert haben.
Was zeichnet einen guten Tanzfilm aus? Was macht ihn gar zu einem Kunstwerk?
Archiv und Sichtbarkeit
Die meisten künstlerischen Tanzfilme werden nicht „für die Oma“ gemacht, sondern wollen ein breiteres Publikum finden, doch wie sichtbar und bemerkt werden sie in der Flut der täglich neu entstehenden und auf YouTube Kanälen hochgeschwemmten Fülle von Filmen jedweder Qualität und Ansprüche?
Was zeichnet einen guten Tanzfilm aus? Was macht ihn gar zu einem Kunstwerk?
Wann haben Sie das letzte Mal eine qualitativ hochwertige, kritische und kompetente Besprechung eines Tanzfilms gelesen? – Noch nie, werden die Meisten hierauf antworten müssen und damit auch eines der grossen Probleme dieser Kunstform benennen, den Mangel an Wissen und Expertentum, wie er sich in vielen der anderen Kunstformen durch die Meinungs-Pluralität der Macher, des Publikums, der Veranstalter und der kritischen Journalisten manifestiert.
In dieser Mangellage ist es ein herausragendes Verdienst, dass alle zum Wettbewerb eingereichten Filme potentiell im Deutschen Tanzarchiv zu sehen sein werden (gesichtet werden können), dass der WDR ein Jahr lang (leider nur) die Siegerfilme auf seiner Mediathek präsentieren wird und dass „tanzrauschen e.V.“ den unglaublichen Kraftakt vollbracht hat, und darauf muss auch einmal hingewiesen werden, eine hochwertige und sehr informative Webseite zu schaffen, auf der alle Veranstaltungen und die ausgewählten Filmbeiträge zu finden und weiter zu recherchieren sind.
Was folgt?
Bei soviel Lob muss natürlich kein (graues) Haar in „die Suppe“, wohl aber „das Salz der Kritik“:
Diese haben wir in den vorausgegangenen Artikeln, insbesondere aus unserem „dance&dare“ Laboratorium, bereits sehr umfangreich geäussert. Nicht umsonst leitet sich der Name des Labors auch davon ab, dass sich die Tanzkünstler mit ihrer Fach- und Sachkompetenz getrauen (dare), ihre subjektive aber begründete Meinung zu sagen.
Die meisten Kritikpunkte werden sich vermutlich in einer Sachlage bündeln: dem Mangel an Personal, an Schultern, Händen, Beinen, Köpfen und Lächeln, auf die sich die vielen Aufgaben hätten verteilen können und die ein solch umfangreiches Programm mit Leben und Empathie hätten erfüllen und ausfüllen können.
Auch fehlt dem Festival ein „Dieter Kosslick“ (liebe Wuppertaler „Berlinale-Träumer“), eine charismatische Gestalt, die dem Festival, einem Festival, ein Gesicht verleiht. Denn auch darauf haben wir bereits hingewiesen: „…eine Wiederholung dieser Konstellation ist auf absehbare Zeit nicht vorgesehen, denn das Geschäftsmodell des IMZ beruht unter anderem auf stetig wechselnden Partnern der grossformatigen und gut betuchten Unterhaltungs-Industrie, zu denen eben vor allem die Fernsehanstalten gehören, auch wenn diese eigentlich einen Bildungsauftrag haben, den sie immer weniger wahrnehmen (können), weil sie selbst ein Auslaufmodell sind….“ (Kommentar vom 26.11.2019)
Wenn die Akkus der Veranstalter wieder aufgetankt sind, wird es ans Analysieren gehen (müssen) und dies hoffentlich ohne Scheuklappen und allzu grosse Egoismen.
Die Kernkompetenzen und Potentiale müssen definiert und daraus die richtigen Schlüsse und Weichenstellungen erfolgen.
Das Schauspielhaus und zukünftige Pina Bausch Zentrum hat sich als grossartiger Ort mit viel Ausstrahlung und kreativer Energie erwiesen, ebenso wie das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch und dessen Leiterin, Bettina Wagner-Bergelt. Wäre das Genre des Tanzfilms, seine Erforschung, Diskussion, Präsentation und Produktion nicht eine sinnvolle und notwendige Säule dieses Zentrums?