Jugendprojekt „Veränderung“ – Tanztheater Wuppertal Pina Bausch und Gesamtschule Barmen

 

Ein Kommentar von Klaus Dilger

 

Es ist ein Klischee, aber eines das nicht an der Wirklichkeit vorbeigeht: Wuppertal ist berühmt für seine Schwebebahn und für Pina Bausch und ihr Tanztheater Wuppertal – und in 2020 wird man sich weltweit erinnern, dass Friedrich Engels hier gelebt und gewirkt hat, zeitweise zusammen mit Karl Marx, – und vielleicht wird dann die Eine oder der Andere sagen – Wuppertal scheint ein gutes Pflaster zu sein für Visionäre.

Es geht ein Flair aus von dieser Stadt, das zunehmend spürbar wird und für nicht wenige „Zugereiste“ sorgt und sorgen wird, auf Grund eines, noch immer ein wenig diffusen, kreativen Potentials, weit über die Tanz- und Filmstadt Wuppertal hinaus gehend und wirkend.

Lange (und leider teilweise noch immer) schien und scheint sich das weltberühmte Ensemble unnahbar im „Tal“ zu bewegen und dessen Mitglieder wandeln gelegentlich wie Geister durch die Stadt und ihre Begegnungsorte, nicht selten durch Bürgerinnen und Bürger hindurch blickend, als wären sie gar nicht vorhanden.

Pina Bausch selbst machte sich dann für die Jugendlichen der Stadt einzigartig nahbar, als sie ein Jahr vor ihrem Tod mit 43 Jugendlichen ihren berühmten „Kontakthof“, als „Kontakthof für Jugendliche“ einstudierte, über ein Jahr hinweg, einmal wöchentlich und mit Hilfe von Bénédicte Billet, gemeinsam mit Jo Ann Endicott, die Pina Bausch in 2008 ans Ensemble zurückholte.

Dies war für viele der Jugendlichen ein lebensveränderndes Ereignis und allein die begleitende Filmdokumentation von Anne Linsel und Rainer Hoffmann, mit dem Titel „Tanzträume“, sorgte schon für Furore auf der Berlinale 2010. Pina Bausch hat diesen Film leider nicht mehr gesehen.

Die nach ihrem Tod gegründete „Pina Bausch Stiftung“ nahm diesen Impuls auf und lancierte in 2011 / 12 das sozialpolitische Tanz|Film|Kunst-Projekt „work in progress“ mit der Gesamtschule Vohwinkel, die mittlerweile „Pina Bausch Gesamtschule“ heisst, unter Leitung von Clémentine Deluy, Anna Wehsarg und Safet Mistele (Film) und mit Unterstützung durch Dr. Marc Wagenbach. Dieses Projekt, realisiert in 2013, wurde aus 750 Mitbewerbern mit dem ersten Preis des Wettbewerbs „Kinder zum Olymp“ ausgezeichnet.

Ebenfalls unter der Schirmherrschaft der „Pina Bausch Foundation“ und erneut unter Leitung der in 2013 ausgezeichneten Clémentine Deluy, diesmal gemeinsam mit Pascal Merighi und der Iranischen Filmemacherin Mehrandokht Feizi, feierte in 2016 das Tanz|Kunst|Film-Projekt „Jung und Laut Vol.1“ im Jugendhaus Barmen umjubelte Premiere, erneut mit den Schülerinnen und Schülern der „Pina Bausch Gesamtschule“.

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NICHT JUNG ABER LAUT

Heuer im Jahr 2018, übernahm nun das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch unter der neuen Leitung von Adolphe Binder, und mit viel Spannung erwartet, angesichts des Hintergrundes seiner weitreichenden technischen und logistischen Möglichkeiten, diese wertvolle Initiative direkt.

Entsprechend „muskulös“ denn auch die Ankündigungen:

„Unter der Intendanz und Künstlerischen Leitung von Adolphe Binder und im Rahmen der partizipativen Projektreihe Feuer & Flamme lanciert das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch 2017/2018 ein groß angelegtes Jugendtanzprojekt in Wuppertal, gefördert von der Art Mentor Foundation Lucerne. Das Projekt versteht sich als Plattform für Vermittlung und die aktive Beteiligung an Tanz und Theater und eröffnet ein breit angelegtes Partizipationsprojekt, das auch über die kommenden Jahre einer der Schwerpunkte der Arbeit des Tanztheater Wuppertal sein wird.

Mit dem Jugendtanzprojekt beschreitet das Tanztheater neue Wege. Das Projekt hat den Anspruch, Tanz, Musik und Kunst generell für Kids und Teens, unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkunft aus der ganzen Stadt erlebbar zu machen, sie für verschiedene künstlerische Ausdrucks-, Bewegungs- und Kunstformen zu sensibilisieren, ihnen kreative Räumen zu eröffnen und sie teilhaben zu lassen…. Den Grundstein für die „Jugendarbeit“ in der Stadt legte Pina Bausch selbst bereits im Jahr 2008, als sie sich einen lang gehegten Wunsch erfüllte und ihr 1978 entstandenes Stück „Kontakthof“ mit Teenagern ab 14 besetzte. Ca. 40 Wuppertaler Schüler*innen unterschiedlicher Schulen und Nationalitäten erarbeiteten „Kontakthof“ 1 Jahr lang in intensiven Proben mit Tänzer*innen der Originalbesetzung. „tanz, tanz…“ zitiert ein Roma Mädchen, von dem sich wiederum Pina Bausch inspirieren ließ.“

VIEL IST NICHT IMMER MEHR

Im Gegensatz zu Pina Bausch’s anderen Arbeiten, ebenso wie die Fassung für Damen und Herren ab 65, lässt sich ihre Adaption für Jugendliche, zehn Jahre nach deren Entstehung und Uraufführung, nur schwerlich mit der gleichen Besetzung wieder auf die Bühne bringen.

Wäre dies nicht ein grossartiges Projekt zum 10jährigen Jubiläum gewesen, oder gar für die zehnte Wiederkehr von Pina’s Todestag in 2019? Oder fehlt es hierfür an Rahmenbedingungen, die sich der Kenntnis der Öffentlichkeit entziehen?

Ganz ohne Zweifel hatten die 60 beteiligten Jugendlichen der Gesamtschule Barmen an dem Jugendprojekt „Veränderung“, an dem sie einen Monat lang fast täglich mit Mitgliedern des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch (und Anderen, die von der Dramaturgie leider nicht namentlich benannt wurden) gearbeitet haben, grosse Freude. Die Begegnung mit Kunst, wann immer sie in das Leben der Menschen tritt, kann nachhaltige Veränderung bewirken. Genauso ist es vielleicht im Kleinen, allein mit dem Erlebnis, einmal auf einer Bühne vor grossem Publikum gestanden zu haben. Besonders dann, wenn die Beteiligten ihre „Sache“ so engagiert und im Rahmen der eigenen Möglichkeiten über sich selbst hinauswachsend präsentiert haben. Chapeau!

Aber die Begegnung mit der Bühne ist nicht immer die Begegnung mit Kunst! (Hieran ändert auch der ganze Aufwand des Apparats und der Technik nichts, einschliesslich Videomappings und sonstiger vertaner Möglichkeiten) – Eine Behauptung, die wir in diesem Falle auch wagen, obwohl wir unsere Eindrücke in der Generalprobe gesammelt und in unseren Videoimpressionen festgehalten haben.

Im Falle von Kunst und Bühne bei Pina Bausch’s „Kontakthof für Jugendliche“ mag sich der geneigte Leser selbst ein Bild machen, indem er sich die „Tanzträume“ von Anne Linsel und Rainer Hoffmann noch einmal oder erstmals ansieht. Es lohnt sich!

Wuppertal scheint ein gutes Pflaster zu sein für Visionäre, wurde eingangs behauptet. – Möge es wahr sein!