PREMIERE „NEUE STÜCKE 2015“ TANZTHEATER WUPPERTAL PINA BAUSCH

 

©Oliver Lock Titelbild

SIEHT SO DIE ZUKUNFT AUS?

Nachtkritik von Klaus Dilger

Lange mussten Tanzwelt und Medien auf dieses Ereignis warten; entsprechend gross war das Interesse an der Premiere von „NEUE STÜCKE 2015“ des Wuppertaler Tanztheaters, die nun im Opernhaus zur Aufführung gelangte.

Nach dem Tod von Pina Bausch im Jahr 2009 stand zunächst die Frage im Vordergrund, ob es dem Tanztheater Wuppertal ohne seinen künstlerischen und geistigen Mittelpunkt gelingen würde, das phantastische Repertoire seiner genialen Schöpferin, weiterhin und auch in die Zukunft gerichtet, auf Weltniveau präsentieren zu können.

Sorgen dieser Art konnten rasch und überzeugend vertrieben werden: jedes der wieder aufgenommenen Stücke wurde mit einer stupenden Präzision und Authentizität auf die Bühnen der Welt gebracht und begeisterte hierbei das jeweilige Publikum. Behutsam und erfolgreich wurden neue Tänzerinnen und Tänzer in die Arbeiten integriert und so, viel versprechend, auch die Zukunft des Repertoires vorbereitet.

Gute Voraussetzungen also, um sich der Lösung des Rätsels zu widmen, wer denn mit neuen Produktionen die künstlerische Zukunft dieses Ausnahmeensembles gestalten und in die gigantischen Fußstapfen Pina‘s treten könnte, ohne darin zu versinken.

Ob der nun gewählte Zeitpunkt auch der Richtige und Notwendige zur Lösungsfindung gewesen ist, konnte im Vorhinein nur mit sehr viel Kenntnis interner Vorgänge und Planungen beantwortet werden, die im Ergebnis wohl auch dazu geführt haben mögen, dass für die Erarbeitung der neuen Produktion lediglich vier Wochen Zeit für die Proben zur Verfügung standen. Eine Zeitspanne also, in der es, jenseits aller Geniefragen, unmöglich ist, solch profunde, vielschichtige (Gesamt)Kunstwerke zu schaffen, wie sie das Publikum in der sechsunddreissig Jahre währenden Wuppertaler Schaffenszeit einer Pina Bausch und ihrer kongenialen Partner, wie Rolf Borzik, Peter Pabst und Marion Cito erleben, sich daran orientieren und damit natürlich auch deren grossartiges Tänzer Ensemble verknüpfen durfte.

Es kann nur vermutet werden, dass diese zeitlichen Gründe Ausschlag gebend gewesen sein müssen, drei Willige zu suchen, die parallel zueinander mit jeweils einem Teil des Ensembles arbeiten sollten, anstatt der Compagnie und der Tanzwelt nach dieser langen, sechs Jahren dauernden Zeit der Findung, eine Künstlerpersönlichkeit mit hohem Können und einem eigenen künstlerischen Universum anzubieten, das spannend und lohnend genug erscheinen könnte es zu erforschen.

Experimente also an Stelle von Lösungen! Doch können diese unter solchen Versuchsanordnungen überhaupt gelingen? Welche Erkenntnisse sollten und konnten daraus gewonnen werden?

Um es gerade heraus und ohne Schnörkel zu sagen: Keines der drei gezeigten Stücke lohnt auch nur der detaillierten Auseinandersetzung und Beschreibung. Sie sind Annährungsversuche zwischen einem eingespielten Ensemble von Weltruf, das man noch niemals zuvor so schlecht auf einer Bühne gesehen hat und fremdelnden Gästen.

Die wenigen schönen Augenblicke, die in jedem der drei Stücke zu finden sind, werden überlagert und aufgesogen zugleich von übergrossen Mängeln an Authentizität, Timing, Dramaturgie und Architektur in Raum, Licht und Bewegung. Kein Einfall, der auch bei einem zweiten Betrachten noch überraschen und nachdenken lassen könnte. Kein Bild und Zitat aus Pinas Werk, bei dem sich jedes der drei Stücke zumindest einmal bediente, erreichte jemals seine originale Tiefe oder gar neue Bedeutung.

All dies mag sich (auch und wenig überraschend) auf den vorgegebenen Zeitrahmen der Erarbeitungen zurück führen lassen. Wenn dem so ist, dann müssen hieraus dringend Überlegungen und Konsequenzen gezogen werden, um ein weiteres Debakel dieser Art zu vermeiden.

Eine neue Erkenntnis, die gewonnen werden durfte, ist hingegen, dass dieses Ensemble, das so grossartig das Erbe Pina Bausch‘s interpretiert, verwaltet und in die Zukunft führt, allein noch kein Garant ist für Qualität oder gar Tanz- und Performance – Kunst, wenn es wie hier auf derlei Bedingungen und künstlerisches Mittelmaß trifft.
Es braucht herausragende Künstlerpersönlichkeiten, wie etwa einen Romeo Castelucci, Alain Platel oder vielleicht sogar einen Hofesh Schechter, um nur einige Namen und „Farben“ zu nennen, mit dem es auf Augenhöhe ein neues Universum ausloten und erforschen kann.

Nicht nur die Menschen an der Wupper lieben ihr Tanztheater Ensemble und wünschen sich dessen Erfolg und Zukunft so sehr, dass sie selbst einen solchen Abend noch beklatschen wollen. Am 24. September, dem Tag des Aufführungsbesuchs, mischten sich deutlich hörbar und vielstimmig die Buhrufe in den Applaus! Wohl zum ersten Male wieder nach über dreissig Jahren…

Das schmerzt! Nicht nur die Tänzer auf der Bühne!

filmed and edited by Thomas Mau