schrit_tmacher…

…die 29te Ausgabe geht zu Ende – Teil I – Des Rückblicks

Wer den Begriff Festival zu wörtlich nimmt,…

… hat mitunter ein Problem. Schließlich lässt sich seine lateinische Herkunft nicht nur mit „feierlich“ übersetzen, „auch mit „nett“, „heiter“, „angenehm“ und „lustig“. Festivals können jedoch, gottlob, weit mehr sein als das.

Das „schrit_tmacher“-Festival ist ein gutes Beispiel dafür. Auch tiefernst und hammerheftig geht es bei ihm zu, und das ist gut so. Die Welt ist eben nicht nur nett und angenehm, nicht nur ein Fest. Sie hält auch Härten bereit, Düsternisse, Verzweiflungen. Sie fordert auch Widerstand, Aufklärung, Utopien. Alldas bildet „schrit_tmacher“ mit verdienstvoller Offenheit ab.

Die Auftaktwoche des Festivals war ein wilder Ritt. Termine, Termine, Termine. In Deutschland, in Belgien, in der Niederlanden. Und keinen davon mochte man verpassen…

Besonders eindrucksvoll: Es gab nicht nur große Namen dabei, auch große Überraschungen. Intensiv in Erinnerung bleibt Niek Wagenaar’s minimalistische Performance „After All“, eine schonungslose Intervention auf dem Dach eines Parkhauses. Auch der „Pinocchio Effect“ des Scapino Ballets Rotterdam hat diese Qualität. Er richtet sich zwar primär an Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsenen öffnet er die Augen, so beklemmend wie befrei­end. Eine große Produktion, mit der die Festival-Sektion „Generation2“ eindrucksvoll die zweite Reihe verlässt.

Fahrt auf Fahrt, Foyer auf Foyer, Saal auf Saal (oder auch nicht), überall Menschen mit authentischer, positiver Energie: Die erste Woche war herausfordernd, war erfüllend. Ja, es gab Setbacks; Augenblicke, die man besser schnell vergisst. Aber gemessen am Ganzen fallen sie nicht ins Gewicht; das Gute wurde durch sie, gefühlt, nur noch besser.

STARKER AUFTAKT IN HEERLEN…

… dass ein Festival nicht nur unterhaltsame Feierlichkeit bedeutet, sondern, wie Harff-Peter Schönher schreibt: es „Auch tiefernst und hammerheftig“ …bei ihm zugehen kann, zeigte bereits der mutige Auftakt des Festivals mit Imre und Marne van Opstal’s VODOO WALTZ, der in der Qualität der tänzerischen und schauspielerischen Darbietung die Messlatte sehr hoch gelegt hatte. „…und das ist gut so. Die Welt ist eben nicht nur nett und angenehm, nicht nur ein Fest. Sie hält auch Härten bereit, Düsternisse, Verzweiflungen. Sie fordert auch Widerstand, Aufklärung, Utopien. Alldas bildet „schrit_tmacher“ mit verdienstvoller Offenheit ab.“

Sichtbarkeit

Besser werden könnte allerdings die Sichtbarkeit des Festivals, zumindest auf deutscher Seite. In den Niederlanden und Belgien ist es durch Banner im Straßenraum höchst präsent, in Aachen könnte man denken, es fände gar nicht statt. Das CHIO-Pferdeevent, bis zu dem noch Monate vergehen und das 2022 durch den Tod eines seiner lebendigen Sportgeräte die Tierrechtsorganisation PETA auf den Plan rief, ist prominent angekündigt, das „schrit_tmacher“-Festival, zumindest ebenso international und hochkarätig, ist unsichtbar. Das ist schade.

Fünf Wochen der Kultur, der hohen wie der unterhaltenden, teils in erfrischender Durchmischung. Fünf Wochen kritischer Blicke auf das Hier und Jetzt unserer Gesellschaft, auf den Menschen generell. Fünf Wochen inszenatorischer Klugheit und tänzerischer Strahlkraft. Fünf Wochen, die erneut gezeigt haben: Grenzen lassen sich überschreiten, nicht nur physisch, und oft bringt uns genau das voran.

Harff-Peter Schönherr

(Impressionen des Kritikers nach der ersten Woche des Festivals)

Um Leben geht es auch beim Auftakt in Aachen…

Whenua“ bedeutet auf Maorisch „Land“, und das Land, in das die beiden 40-Minüter uns reisen lassen, ist nicht nur Aotearoa, Neuseeland. Am Ende tauchen wir dabei tief in die Welt der indigenen Bevölkerung ein, auch in seelische Landschaften,  spirituelle. Die zentrale Botschaft: Unser Inneres verkümmert, wenn ihm keine Mitmenschlichkeit innewohnt, keine gegenseitige Toleranz, kein gegenseitiger Respekt.

So beginnt der Abend denn auch mit einer hochemotionalen Aufforderung zur Nähe mit dem Gegenüber, mit einer Umarmung aller durch alle, zu schlichtem Klavier und melodischen Streichern. Und so sehnsüchtig er beginnt, so sehnsüchtig endet er auch: In der überindividuellen, überzeitlichen Hoffnung, eins zu sein mit allem, auch mit  seinem Land und seinen Vorfahren, ohne Bedrohung zu leben, in Frieden.

Es ist ein Abend unbändiger Energie, ungeheurer Kraft, und dass beide Choreografien, bei allem eigenen Profil, starke Parallelen aufweisen, von der Bewegungssprache bis zur Musik, von der Thematik bis zur Lichtregie, tut ihm gut. „Imprint“ und „Uku – Behind the Canvas“ vertiefen sich gegenseitig.

Körper gleiten, taumeln und fallen, bäumen sich auf und sinken in sich zusammen, liegen wie tot,  türmen sich aufeinander. Körper wirbeln und zucken, kriechen und stürzen, verharren und erstarren. Körper winden sich umeinander, zerren aneinander. Liebe wird zum Kampf, Kampf zur Liebe.

KLEIN ABER FEIN…EUPEN | B

Auftakt mit Gandini Juggling | UK und ihrem Liebesbrief an Merce Cunningham, LIFE: „…Der Abend macht keine Anstalten, ein Lehrstück zu sein. Vor allem macht er eins: Spaß. Das liegt besonders an Gandini selbst. Wie er vor Beginn die Basics das Jonglierens erklärt, und damit zugleich die Basics der Cunningham-Technik, ist witzig und fesselt. „We love drops!“, schmunzelt er dabei. Und, ja, auch bei den Weltklasse-Jongleuren, die „Gandini Juggling“ versammelt, kommen sie vor. Auch an diesem Abend.…“ HP Schönherr

Und dann folgt in der vorletzten Festival-Woche die Weltpremiere von HOTEL BUENOS AIRES der Pariser Compagnie TANGO EN RED: Ein grandioser Bilderreigen in vier Kapiteln, der (so das Programmheft) die Geschichten von drei Generationen verwebt. Herausgekommen ist ein warmherziger, schmunzelnder Rückblick und eine Feier des Lebens, dessen Höhen, Tiefen, Abgründe und Leidenschaften natürlich nicht besser ausgedrückt werden können, als durch den Tango….

„GIVE ME SOME NOISE…“

…so das Standart-Vokabular des Moderators und künstlerischen Leiters des „BREAKIN‘ CONVENTIONS“-Projekts von Sadler’s Wells, Jonzi D.

Auch wenn Shakespeare manchem Betrachter schon sehr bald in den Sinn kommen mag… Jonzi D bringt mit dem „give me some noise“ auf den Punkt, worum es eben auch gehen kann.: Das Event als Event.

Und so „verkauft“ Sadler’s Wells diese Show seit mehreren Jahren mit einem Mix aus „local Heroes“ und vermeintlichen internationalen Größen der Hip Hop Szene sehr erfolgreich an ein vielköpfiges Publikum.

Sadler’s Wells war allerdings auch Co-Produzent von „The Rite of Spring / common ground[s]“, das ebenfalls im schrit_tmacher festival 2024 zu sehen war und das Publikum dankte mit „standing noise“.

Vielleicht gerade,…

…in Zeiten, in denen die Politik sich und (mit der „Geldkarotte“ Förderungen) die Künstlerinnen und Künstler mit Digitalität in allen Ausformungen zu beschäftigen versucht, kommt dem Tanz der analogen Körper in der realen Begegnung mit dem Publikum eine besondere Bedeutung zu:

Ist es nicht gerade die Tanzkunst, die uns allen, Tänzerinnen wie Nichttänzerinnen und -tänzern, mittels Spiegelneuronen zu vermitteln mag, dass wir real sind, existieren, uns tanzend und spielend, erforschend in einer Gravität bewegen, die unsere Erde ist, – die einzige übrigens, die wir haben?

ALLE BESPRECHUNGEN…

… der 29ten Festivalausgabe finden unsere Besucher und die des Festivals natürlich, auf dieser Plattform in Wort, Bild und Bewegtbild, als Rezensionen, Kommentare, Meinungen, Bildimpressionen zum noch einmal erleben oder neu-sehen.

Teil II des Rückblicks folgt in Kürze