VON WEITERGABEN UND BESETZUNGEN…

…WAK.NTR. rehab reloaded

Zur Premiere von „WAK.NTR Rehab.-reloaded“ im Alten Schauspielhaus – geplantes Pina Bausch Zentrum in Wuppertal

Pascal Merighi und Thusnelda Mercy unternehmen den an sich spannenden Versuch einer Weitergabe des 2016 entstandenen Stückes, dem es zum Zeitpunkt der Entstehung auf faszinierende Weise gelang, in den Zuschauerinnen und Zuschauern Szenen aus sechs Werken von Pina Bausch lebendig werden zu lassen und ihnen dabei eine vollkommen neue Perspektive aus dem Inneren des Tänzers, dem Nachbau des legendären Probeortes, der Lichtburg und aus den Seitengassen der Bühne während der Auftritte zu vermitteln. Doch wie kann es gelingen, solch persönliche Erinnerungen der Co-Kreation mit Pina Bausch und der nachfolgenden Aufführungen mit dem Tanztheater an jemanden weiter zu geben, der diese Prozesse nie durchlaufen durfte?

Wie Ebenen und Dimensionen vermitteln, die in ihrer filigranen Verwebung dem Werk der Tanztheater-Ikone immanent waren?

Hier noch einmal unsere Besprechung der Uraufführung von 2016:

URAUFFÜHRUNG IN DER BUNDESKUNSTHALLE

„WAK.NTR Rehab.“

VON PASCAL MERIGHI

 

Am Sonntag feierte in der Bundeskunsthalle in Bonn Pascal Merighi‘s „WAK.NTR Rehab.“ im vollbesetzten Nachbau des legendären Proben-Ortes des Wuppertaler Tanztheater, dem Lichtburg, Uraufführung.

Pascal Merighi gelang es auf faszinierende Weise, das Bewegungsmaterial von sechs Soli, in deren Entstehungsprozess er involviert war und die er als Teil der Stücke von Pina Bausch getanzt hatte, neu zu interpretieren, indem er das Material isolierte, neu ordnete und aneinanderreihte.

Hierbei handelt es sich um die Stücke „W“iesenland“ (2000), „Á“gua“ (2001), „K“inder („FÜR DIE KINDER VON GESTERN, HEUTE UND MORGEN“) (2002), „N“efes“ (2003), „T“en Chi“ (2004) UND „R“ough Cut“ (2005). Sie alle bilden mit ihren Anfangslettern den Titel dieser überaus interessanten Produktion: „WAK.NTR rehab.“

Was hier spröde, sperrig und sehr konzeptuell klingt, ist in Wahrheit eine überaus kluge und gleichzeitig humorvolle und mitreissende Hommage an Pina Bausch, ihre akribische Methode der Erspürung von etwas, das vielleicht mit Wahrhaftigkeit umschrieben werden kann und an alle Kollegen und das Tanztheater Wuppertal selbst.

Immer wieder unterbricht er kraftvolle und geschmeidig fliessende Tanzpassagen, oft getragen von dem sehr guten Sounddesign von Volker Wurth, um aus den jeweiligen Stücken „herauszutreten“ und Beschreibungen der Kostüme und mehr noch, wie sie zu tragen sind, zu geben oder auch um dem Publikum, quasi aus der Theatergasse heraus zu erklären, wie und wo seine Kollegen  sich gerade bewegen und welchen Ausdruck sie dabei haben oder wie er sich selbst in der Kulisse auf seinen nächsten Auftritt vorbereitet.

Diese Brüche wirken ansteckend komisch, sind in ihrer Verfremdung grotesk und intim zugleich, und bieten einen Einblick und Zugang, so wie noch keiner der (zuschauenden) Anhänger und Bewunderer der grossen Choreografin deren Stücke jemals erleben durfte. Gleichzeitig nimmt Merighi all dem jeden  Anflug von Verzückung und Verklärung, indem er die Präzision der Wiederholungen, auch dies ein Markenzeichen des Oeuvres von Pina Bausch, auf mathematische Folgen und Chiffren, die er an die Wand schreibt, reduziert, zumindest soweit sie die Neuordnung seiner Soli betrifft.

Pascal Merighi gelingt mit WAK.NTRrehab ein wundervoll intimes Portrait einer gemeinsamen Arbeit, das hoffentlich schon bald auf den nationalen und internationalen Bühnen zu sehen sein wird.

Diese Produktion unterstreicht aber auch, dass aus diesem Werk, das hier durch die Bundeskunsthalle und die Pina Bausch Foundation auf grossartig lebendige Weise erlebbar gemacht wird, etwas ganz Starkes und Neues entstehen kann.

Concept, Dance: Pascal Merighi | Dramaturgy, Assistant: Thusnelda Mercy | Sound Design, Assistant: Volker Wurth

WAK.NTR Rehab

A matrix of six soli by Pascal Merighi made for Pina Bausch’s pieces from 2000 to 2005

Videoimpressionen

for TANZweb.org
©2016

Grosse Aufgabe

Pascal Merighi ist als charismatischer Tänzer und als Erscheinung mit einer sehr guten Tanz-Technik und Präsenz in Erinnerung geblieben, zuletzt noch in 2017 in Pina Bausch’s TEN CHI, bei dem jede fokussierte Bewegung und Geste dem Raum Architektur und Zeit zu geben scheint.

Das sind „Grosse Schuhe“, in die nicht viele passen. Aber doch eine „Schuhgrösse“, um im Bild zu bleiben, die es braucht, um mit wenigen dieser Gesten und Bewegungen ein Werk von Pina Bausch, samt Bühnenbild, Licht und Kolleginnen und Kollegen (alles ähnliche „Schuhgrössen“) vor dem inneren Auge des Zuschauenden entstehen zu lassen.

All dies sind auch die Voraussetzungen, um die notwendige Authentizität und Wahrhaftigkeit zu erzeugen, ohne die eine solch intime Produktion nicht mehr wäre, als der Versuch, die Anekdote eines anderen zu erzählen.

Diese „Schuhe“ musste sich nun Jan Möllmer am vergangenen Wochenende im Alten Schauspielhaus anziehen. Keine leichte Aufgabe.

Mutiges Unterfangen…

Es war ein mutiges Unterfangen bei dem man auch scheitern darf und kann. Das wussten auch die Schöpfer des Originals, Pascal Merighi und Thusnelda Mercy und auch Jan Möllmer, wie er im anschliessenden „Künstlergespräch“ einräumt, denn bei Proben-Beginn waren die Dimensionen des Stückes für ihn noch gar nicht absehbar: „…das ist immer mehr geworden und ich lerne heute noch stetig weiter dazu…“. Dieser Realismus, auch wenn die Ursachen vielleicht schmerzen, ehrt ihn.

So versuchten es die Beteiligten auch nicht erst mit dem „Schuhe anziehen“. Herausgekommen ist eine barfüßige Interpretation eines einst faszinierenden kleinen Stückes, vorstellbar etwa mit dem Ergebnis der Weitergabe einer hochkomplexen Geschichte per „stiller Post“.

Das kann interessant, amüsant und unterhaltsam sein – muss es aber nicht.

Weitergabe und Besetzung…

… sind Themen, die das Tanztheater Wuppertal seit dem Tod der genialen Tanztheaterschöpferin im Jahr 2009 mit unterschiedlichem Erfolg und Feingefühl beschäftigen. Dies ist hier, nach der subjektiven Einschätzung des Rezensenten, aus vielerlei Gründen nicht zufriedenstellend gelungen. Zuvorderst aber, weil diese, für das Original, grundlegende Ebene und Dimension, namens Pina Bausch, die das Merighi-Stück einzigartig mach(t)en, nicht entstehen konnte, weil Pascal Merighi nicht glaubhaft und vollumfänglich in den genannten Ausschnitten aus Stücken von Pina Bausch ersetzt werden konnte, um diese lebendig und vorstellbar werden zu lassen.

FAZIT

Vielleicht wird sich Pascal Merighi doch noch entschliessen, WAK.NTRrehab vorerst selbst weiter zu tanzen, bis eine geeignete Nachfolge in Sicht ist? Dann wäre die Wiederaufnahme wirklich lohnend.

Das feine Stück hätte es verdient.

WAK.NTR Rehab-reloaded

Videoimpressionen der Neueinstudierung mit Jan Möllmer 2024

Altes Schauspielhaus Wuppertal – Geplantes Pina Bausch Zentrum

for TANZweb.org
©2024

AFTERTALK…

…im Anschluss an die Aufführung gab es ein Künstlerinnen-Gespräch, moderiert von Bettina Milz, inhaltliche Koordinatorin des geplanten Pina Bausch Zentrums, mit Thusnelda Mercy, Pascal Merighi und Jan Möllmer. Hier unsere Aufzeichnung…

credits

 

Besprechung und Kamera: Klaus Dilger

Editing und Gestaltung: DANSEmedia | berlin

alle Fotos ©TANZweb.org