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Was passiert, wenn Tanz und Realität zusammenstoßen, fragt das Kölner Ensemble bodytalk in seiner neuen Produktion

ZIG LEIBER _ OI DIVISION

das nun im Theater in der Orangerie in Köln Premiere feierte

„So lange im Kreis drehen, bis man alles ganz klar sieht“

Nachtkritik von KLAUS KEIL

Was passiert, wenn Tanz und Realität zusammenstoßen, fragt das Kölner Ensemble bodytalk. Seine Antwort ist das Tanztheater mit Live-Musik „Zig Leiber / Oi Division“, das gestern und heute im Orangerie Theater gespielt wird.
Das Stück ist ein einziger Gewaltakt. Es beginnt und es endet gewalttätig. Musikalisch dröhnt als erstes ein Dauerton ans Ohr. Tänzerisch rennen alle gegen einander an. Zwei Frauen jagen und treten sich gegenseitig. Ein Mann fällt unentwegt vom Stuhl (oder wird er gestoßen?). Ein andrer dreht sich im Breakdance-Stil in atemberaubendem Tempo auf Kopf und Schulter –  bis sich nach einer Weile alle auf dem Boden liegend in einer synchronen Drehbewegung finden. So schnell könnte man also zu etwas Gemeinsamen kommen – doch das war nur der Prolog. In der nächsten Stunde stehen die sechs Tänzer einschließlich der zwei Live-Musiker im Kampf um ihre Selbstbehauptungsstrategie. Mit den laut eingespielten Songs von Joy Division, eine Band der Post-Punk-Szene, und mit einem wilden, überbordenden Tanz, der häufig zu einem heavy Sound  in rhythmischem Stampfen, Wiegen der Körper und Schütteln des Kopfes  endet, dauert es nicht lang und die Bühne des Orangerie Theater wird zum Hexenkessel.

Hat man allerdings vor der Aufführung die Stück-Beschreibung von bodytalk gelesen, steht man vor der Schwierigkeit, den Ankündigungstext mit der Bühnenrealität zu verbinden. Im Text kein Wort von Gewalt. Die Bühne aber quillt über vor Gewaltexzessen. Der Text suggeriert ein Selbsterfahrungs-seminar, bei dem (noch) keiner den Führer kennt. Auf der Bühne ist der Führer in mehrfacher Hinsicht präsent.

In unzähligen Szenen, die dramaturgisch geschickt ineinander übergehen, wird Gewalt durch dekliniert. Von der Gewalt gegen Frauen mit heftigen Vergewaltigungsszenen bis hin zur strukturellen Gewalt, die sich als staatlich legitimierte ausgibt, ist alles dabei. Das Stück ist ein Parcours permanenter Übergriffe. Ständig wird eine der Frauen gegriffen, penetriert, weggeworfen. Der Einsatz von Baseball-Schlägern wird in einem makabren Ensembletanz zu klassischen Ballettschritten eingeübt. Dann heißt es chassé / Wechselschritt und der Schläger landet auf dem (gepolsterten) Körper des grinsenden „Produktionsassistentenpraktikanten“ – Verharmlosung durch Witz und Komik, auch wenn gleich alle ihre Aggressionen an ihm auslassen werden und ihm das Grinsen vergeht. „Das ist nicht mehr lustig“, wendet eine Tänzerin ein und wird prompt geoutet. Die Szene wird noch beklemmender, wenn alle längst von ihm ablassen und das Schlagzeug noch weiter zuschlägt.   Nur als ironische Brechung der alltäglichen Gewalt kann der Einschub einer längeren Interaktions-Sequenz mit dem Publikum verstanden werden. Handmassage, Yogaübungen, Räucherstäbchen werden angeboten. Ein Tänzer referiert über die Vorteile von Pellet-Heizungen und erneuerbaren Energien. Das ist Realsatire pur. Lenkt aber fein ab von den bösen Dingen des Lebens. Dramaturgische Brechungen und knallharte Szenen sind typisch für die Inszenierungen von Yoshiko Waki und Rolf Baumgart. Mit ihrem Tanztheater, das ein explizit politisches ist, wagen sie sich mehr als andere an tabuisierte Themen. Sie befinden sich damit in bester Tradition von Johan Kresniks Choreografischem Theater, das sie allerdings um allgemein gesellschaftliche Fragestellungen erweitern.

Wild sind die Theaterwände mit Filmplakaten bekleistert. Titel darauf: Umbruch. Die fetten Jahre sind vorbei. Mein Kampf. Und vor dem bezeichnenden Titel ` Beziehungsweise´ singt eine Tänzerin vom Scheitern ihrer Beziehung: „die Gemeinsamkeit fehlte“. Man muss also nur hinter die Plakate schauen, um das Davor zu sehen. Die Plakatwände wie Litfaßsäulen sind also nicht Deko, sondern haben dramaturgische Funktion. In den Waki/Baumgart-Inszenierung ist immer mit einer gewissen Doppelbödigkeit zu rechnen. Das gilt auch für die Musik von Joy Division. Ausgerechnet Joy Division. Wer weiß schon, dass sich hinter diesem Namen während des Nationalsozialismus eine angebliche Prostituierten-Riege der Wehrmacht verborgen haben soll. Und so stellen die Frauen in einer heftigen Szene breitbeinig wippend ihre Scham zur Schau. Doch pornographischer als diese Schau ist die Zur-Schau-Stellung einer originalen SS-Uniform mit Hakenkreuzbinde, die sich eine Tänzerin anzieht und dabei die Geschichte ihres persönlichen Scheiterns zu erzählen: Kein Freund, kein Zuhause, keine Arbeit. Kein Wunder! Das Stück ist sicher kein Vergangenheitsbewältigungsstück, auch wenn an vielen Stellen die braune oder SS-schwarze Soße heraus quillt. Wenn am Ende ein Haufen halbnackter Leiber wie übereinander geworfen an Leichenberge aus einem KZ denken lässt, ist das sicher gewollt. Diese „Zig Leiber“ stehen aber nur stellvertretend für eine in unserer Gesellschaft immer mehr um sich greifende Gewaltbereitschaft, die schon bald neue Opfer finden wird. „Zig Leiber“ ist packendes politisches Tanztheater, aktuell und mit vielen historischen Rückbezügen  oder sollte man sagen: Begründungen.

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