„danse macabre“ in der Fabrik Heeder
Abscheu vor der Welt
„Lessons for Cadavers“ von Michelle Moura bei Move! in Krefeld
von Bettina Trouwborst
Horror? Groteske? Absurdes Theater? Die Genres vermischten sich, wenn die lebenden Toten zusammenkommen, um ihre Abscheu vor der Welt zum Ausdruck zu bringen. Ihre Körper sind erstarrt, die Bewegungen minimalistisch und repetitiv. Bevor Michelle Moura, Clarissa Rêgo und Jorge De Hoyos den Tanzteppich in der Fabrik Heeder betreten, hört man bedrohlich Raben krächzen. Auch das Trio hat in seiner Fremdartigkeit etwas Bedrohliches. Ob es die „Lessons for Cadavers“ dem Publikum erteilt, das damit selbst zu lebenden Toten erklärt würde, oder ob die Bühnenfiguren gerade ihre eigenen Lektionen durchleben, ist offen. Vermutlich ist beides gemeint.
Denn: „Wir leben inmitten von Horror und haben uns daran gewöhnt. Die Wälder brennen, die Menschen frieren in ihren Häusern ohne Heizung, Familien flüchten über die Grenzen, während andere shoppen gehen,“ heißt es im Pressetext.
Ursprünglich inspirierte Michelle Mouras Lebensgeschichte ihre jüngste Arbeit „Lessons for Cadavers“. Die Herrschaft der Rechtspopulisten in Brasilien unter Jair Bolsonaro erschwerte die Arbeit viele Künstler*innen, auch ihre eigene. Deshalb verließ die junge Frau 2017 ihre Heimat und zog nach Berlin. Hier gleich ein weiterer Schock: Sie empfand es als „Horror“, wie sie in einem Interview erzählte, dass in Deutschland Demokratie und Meinungsfreiheit in Gefahr sind. Mittlerweile sind Mouras Arbeiten international auf Festivals präsent. „Lessons for Cadavers“ ist eine Koproduktion unter anderem mit den Sophiensälen in Berlin und de Singel in Antwerpen.
Michelle Mouras Sprache ist drastisch. Ihre Grimassen erinnern an Marlene Monteiro Freitas. Die Künstlerin sitzt da, hält die Hände vors kriegerisch geschminkte Gesicht, dann vor die Augen und schüttelt ungläubig den Kopf. Als könnte sie in ihren Handflächen die Zukunft oder wenigstens die Tageszeitung lesen. Sie schiebt die Hände mit kleinen Bewegungen nach links, nach rechts, nach oben, nach unten. Öffnet den Mund, schließt ihn. Immer wieder. Ihre Haare hat sie zu einem starren, schwarzen Zopf gedreht, der absteht wie die Schwanzfeder eines Raben. Clarissa Rêgo kommt hinzu. Sie zieht mit dem Zeigefinger erst den einen Mundwinkel in die Länge, dann den anderen – man befürchtet fast, dass sie einreißen. Später wird sie monoton wiederholen: „Life is too much for me.“ Und immer wieder mit den Augen rollen. Und von Hunger und anderem Elend in kurzen Sätzen sprechen. Die drei werden das Graben mit einem Spaten – vermutlich als Totengräber – andeuten, bis der unsichtbare Spaten zum Gewehr wird.
Sie sind Monster, Zombies, aber eben auch zerbrechliche Wesen voller Sorge um den Planeten. Ihre minimalistische, ästhetische Körpersprache erzählt von Gewalterfahrung und Angst. Und geht dann unter die Haut, wenn sie nicht zu monoton und penetrant wird.
Eine Soundcollage rhythmisiert die Moves anfangs harmonisch, später immer aggressiver. Es wird zunehmend anstrengend, diesem überzeichneten Tun zuzusehen. Nach der Performance von „Urban Arts Ensemble Ruhr“ bei der Eröffnung von Move! ist „Lessons for Cadavers“ erneut eine düstere und perspektivlose Produktion. Ein Ort der Erholung von der beängstigenden Realität ist Move! diesmal bisher nicht. Keine Zuversicht. Man hofft auf Hartmannmueller und „Crash! Deal with it“.
Immerhin lässt Michelle Moura in ihrem „danse macabre“ ein bisschen Humor mittanzen. So trägt Rêgo zwischendurch einen grauen Vollbart und sieht aus wie ein Großväterchen. Und alle drei Barfußtänzer*innen haben die Nägel schwarz, bzw. die Füße blau lackiert – wobei der dicke Zeh jeweils eine lange Kralle ist. Ein Verweis auf etwas Animalisches. Auch die kleine Szene mit De Hoyos, den Rêgo von hinten abtastet, was den zu glückselig rollenden Augen veranlasst, lässt ein bisschen schmunzeln. Immerhin.