im Rahmen von FIRST&FURTHER STEPS:

T(W)O STAND ALONE

Feedback zur Performance ELEVEN | ELEVEN in der Fabrik Heeder in Krefeld

von Klaus Dilger

HIER geht es zu unseren Videoimpressionen

Lange, sehr, sehr lange ist auf der Bühne der Fabrik Heeder kaum etwas zu erkennen, denn der Bühnenraum ist im dichten Kunstnebel verschwunden. Dann ein pochender Sound, ein aufflammender Lichtstrahl eines einzelnen Scheinwerfers aus der hinteren rechten Bühnendiagonale, eine Gestalt in dunklem Mantel, krümmt sich, durchdrungen von diesem Ton und Lichtstrahl rücklings, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Drei Mal wird sie dies wiederholen, bis diese zur Abfolge geworden und keine Überraschung mehr ist.

Ohad Naharin und später Hermann Hesse wird dem Rezensenten dazu in den Sinn kommen…

Der Erste, weil er so klar und bedingungslos Authentizität in allen Bewegungen und Handlungen einfordert und der Zweite wegen seines Gedichts, das im Nebel das Wesen der Einsamkeit formuliert: „Seltsam, Im Nebel zu wandern! – Leben ist Einsamsein. Kein Mensch kennt den andern, Jeder ist allein.“

ELEVENELEVEN©TANZweb.org_Klaus-Dilger

ELEVENELEVEN©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Um Beides sollte es den Performerinnen Lara Pilloni und Julia Monschau, die zusammen das KOLLEKTIV ELEVEN bilden, im ersten Teil ihrer geplanten Trilogie gehen, einer von Dantes „Inferno“ inspirierten tänzerischen Forschungsreise.

„In dieser Vorstellung verweilen Seelen in einem Zustand der Vorhölle – ein Ort, der weder für den Himmel noch für die Hölle bestimmt ist. Der „Limbus“ ist ein Raum des Leidens, der nicht durch körperliche Qualen, sondern durch Unvollständigkeit und unerfülltes Streben geprägt ist.“

Aus einer modernen Perspektive will ELEVEN | ELEVEN zeigen,

„…wie Menschen heute ähnliche Empfindungen erleben, Unsicherheit, passive Akzeptanz, das Fehlen von Perspektiven. Die Diskrepanz zwischen dem, was ist, und dem, was sein könnte, verzerrt oft die Wahrnehmung von Zeit und Raum, während globale Krisen das Bewusstsein für Sterblichkeit und Trauer schärfen. Als erster Teil einer Trilogie thematisiert die Compagnie das Warten und die Dynamik von Erwartung und Ungewissheit – universelle Erfahrungen, die eine individuelle und kollektive Reflexion anregen. Was liegt zwischen Geburt und Tod? Ist der „Limbus“ ein Raum, in dem sich das Leben entfaltet oder ist er seine Essenz?“

…fragt das Programmheft.

Auf dieser Suche erzeugen die Tänzerinnen und Choreografinnen Stimmungen und Bilder, die nicht selten an Samuel Beckett erinnern könnten, an Leere und Warten und die Sinnlosigkeit des Wartens. Doch in letzter Konsequenz wollen sich diese Eindrücke nicht vertiefen, weil es hierzu eines Raumes bedürfte, über dessen Leere wir uns hier im Nebel jedoch nie sicher sein können. Manche Bilder gelingen ihnen dabei dennoch sehr gut, etwa wenn sie mit und auf den beiden zusammengeschraubten Kinosesseln agieren und dabei ihre eigenen inneren Perspektiven zu verschieben scheinen, mit der sie vielleicht das eigene Leben wie im unsichtbaren Film Revue passieren lassen. Doch hieraus, aus einer vergangenen Zeit in multiplen Räumen und Orten dieses „Films“, entsteht in Konsequenz nichts sicht- oder erleb-bares für das Stück und das Publikum, oder eine Antwort auf die Frage: „Ist der „Limbus“ ein Raum, in dem sich das Leben entfaltet oder ist er seine Essenz?“

ELEVENELEVEN©TANZweb.org_Klaus-Dilger

ELEVENELEVEN©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Stattdessen choreografieren sie teils synchrone Bewegungsabläufe, gut gemacht aber ebenso wenig begründet wie aussagekräftig.  Dass sie Beide, dramaturgisch gesehen, gemeinsam in der „Vorhölle“ zu Seelenverwandten werden (müssen), nimmt der oder die Zuschauende  zur Kenntnis ohne weitere Betroffenheit oder Orientierung auszulösen, denn die Inszenierung verfolgt auch diese Konsequenz nicht weiter. Ohnedies kann eine Verortung, weder eine räumliche, noch eine psychologische, in diesem dichten Nebel kaum stattfinden. Der nebelig gewollte Zustand des Schwebens und auch der Orientierungslosigkeit und Unsicherheit, mangels erkennbarer Räume, in denen sich Mensch positionieren kann und muss, kostet seinen Preis:  eine  hierfür notwendige Identifikation mit den Protagonistinnen bräuchte Nähe, die der Nebel trennt. Jede und Jeder ist hier allein, auch zu zweit, auch das Publikum. Doch auch hieraus entsteht kein Erkenntnisgewinn, weil diese inszenierte Isolation, ein „Zuschauen im Nebel“, nicht das wahrhaftige Gefühl und Bewusstsein von Einsamkeit (im Sinne von Hesse) und der Umgang damit, zu erzeugen vermag. Vielleicht wäre die Auflösung des Zuschauerraums hierfür hilfreich gewesen, wenn die Zuschauenden selbst hätten im Nebel wandeln und sich ohne Sitzplatz orientieren müssen?

Zu unentschieden ist die Dramaturgie der Suche über weite Strecken. Innere wie äussere Räume entstehen viel zu selten und wenn, dann werden sie eigentlich fast immer sofort wieder aufgegeben. Das selbstgestellte Thema der Suche verliert sich im choreografieren, Szene an Szene, Musikstück an Musikstück.

Das ist schade, weil man den Künstlerinnen und ihren Mitarbeitenden glaubt, dass sie das Rüstzeug dazu hätten.

Tanzkunst, wenn sie sich nicht mit Behauptungen zufrieden gibt, ist so radikal wie das Leben selbst: wir entscheiden im Bruchteil von Sekunden, ob wir jemandem Glauben schenken oder nicht. So gesehen scheitert das Stück bereits in der eingangs beschriebenen Szene. – Was hier für manche negativ klingen mag, will das Gegenteil: Das ELEVEN Kollektiv mit Lara Pilloni und Julia Monschau hat das Potential gezeigt, dass es für die eigenen „FURTHER STEPS“ und die beabsichtigte Trilogie seine Suche entscheidend verfeinern kann.

ELEVENELEVEN©TANZweb.org_Klaus-Dilger

ELEVENELEVEN©TANZweb.org_Klaus-Dilger