MOVE! Festival eröffnet

HÄNGEPARTIEN

Anna Konjetzkys Performance „Hope/Less“ eröffnet das Herbstfestival „Move!_extended“ in der Krefelder Fabrik Heeder

Nachtkritik von Bettina Trouwborst

Das Setting ist originell: ein viereckiges, bewegliches Metallgerüst, das mit einem grobmaschigen Netz aus Gurten bespannt ist. Es dient einer vierköpfigen Gruppe als Bühne, Manege und Spielwiese. Hier begeben sich die vier Power-Performer*innen auf die Suche nach der eigenen Identität zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit – Risiko durch Übermut inklusive. In einer schwierigen Zeit, in der Corona, Ukraine-Krieg und Klimawandel sich in die Psyche eingeschrieben haben, sind viele verunsichert oder gar aus der Bahn geworfen. „Hope/Less“ heißt die ungewöhnliche und reflektierte Arbeit der Münchner Choreografin Anna Konjetzky, die die 22. Krefelder Tage für modernen Tanz unter dem Motto „Forms of resistance and being together“ jetzt eröffnete.

HOPEless_Konjetzky©TANZweb.org_Klaus Dilger

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Sprung ohne Fallschirm…

Das Leben als Balance-Akt, als ein Sprung ohne Fallschirm, ein Kampf gegen die Schwerkraft – oder sich selbst, ein Strampeln im Laufrad. Im Verlauf von gut 60 Minuten durchlaufen die Akteur*innen verschiedene Zustände von Hoffnung: „Hope/Less“ spielt mit den beiden englischsprachigen Begriffen. Denn thematisch bewegt sich die Produktion zwischen zwei Polen: Hoffnung als Motor oder aber als Zustand der Passivität des Abwartens. Dabei gelingen beeindruckende Körper-Bilder von Zuversicht, Zweifel und auch Verzagen. Doch so überzeugend das Konzept ist, die Umsetzung enthält zwischendurch immer wieder Leerlauf. Was schade ist, weil die Arbeit zwar ein starkes Potenzial hat, aber keine entsprechende choreographische Handschrift.

Basis der Produktion, die vor einem Jahr in München uraufgeführt wurde, sind Interviews, die Anna Konjetzky und ihr Team über die persönlichen Erwartungen ihrer Gesprächspartner, ihre Zukunftswünsche und Ängste geführt haben. Die englischsprachigen Statements werden eingespielt, eine Übersetzung läuft in Übertiteln im Hintergrund – allerdings nicht von allen Plätzen in der Krefelder Fabrik Heeder gut zu sehen. Die Stimmungen der Interviewpartner werden oft gespiegelt in den Moves der Tänzer-Akrobaten.

HOPEless_Konjetzky©TANZweb.org_Klaus Dilger

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Ebenen…

Ihre stärksten Momente hat die Performance, wenn das Quartett sich als Gemeinschaft verhält. So kommen alle zu Beginn nach und nach auf der beweglichen Spielfläche aus Quadrat-Gurten an. Wie Spinnen krabbeln und hangeln sie, lassen sich in das weiche und doch stabile Netz fallen. Nutzen es als Hängematte, erleben aber auch gefährliche Hängepartien. Es entstehen faszinierende Figuren, wenn sie, teilweise miteinander verbunden, das Netz verlassen. Unter dem Metallgerüst bleibt jeder, mehr und mehr, bei sich selbst. Jede(r) sucht auf seine Weise sein Gleichgewicht. Eine Frau müht sich vorwärts, scheitert aber an einem unsichtbaren Widerstand. Mit geschlossenen Augen bewegen sich einige blind vertrauend durch den Raum. „And I hope“, sagen sie leise. Eine Stimme flüstert: „I believe“. Es gibt auch das: Hoffnung als Verheißung. Mit ausgestreckten Armen und glücklich lächelnd bewegen sich einige zunehmend dynamisch.

Die Spannung steigt, als es dunkler wird, das Metallgerüst zwischen Licht und Schatten bedrohlich geschwenkt wird. Die Gruppe wird unsicher, schöpft aber Mut. Jascha Viehstädt, der einzige Mann, geht über die schwankenden Gurte. Geschickt spielt die Choreografin mit den Ebenen: Eine Künstlerin, die Arme auf zwei parallele Gurte gestemmt, läuft durch die Luft wie im Hamsterrad. Ihr Gesicht spiegelt Verzweiflung. Viehstädt, unter der Matte, legt sich auf den Rücken, drückt die Beine hoch und gibt ihr Halt, indem er mit seinen Füßen ihre stützt. Welch‘ schöne Symbolik.

Hängepartien…

Es folgen – diesmal nicht symbolisch gemeinte – Hängepartien. Das Stück schwächelt, wenn alle sinnierend am Boden sitzen zwischen Hoffen und Bangen zu deprimierender elektronischer Musik von Stavros Gasparatos. Kurz darauf gibt es einen neuen Energieschub der Gemeinschaft, die dann in ein Stöhnen, Ächzen, Lächeln und schließlich Lachen verfällt. Insgesamt: Zu viel Hin und Her von Stimmungen. Wenige, pointierte Höhepunkte wären mehr.

Wenn das Quartett schließlich Gurte von dem Gerüst bis in den Saal verlängert und das metallene Viereck bis zur ersten Zuschauerreihe heranzieht, wird noch einmal deutlich: Ob Künstler oder Publikum, wir sind eine Gesellschaft und sitzen in einem Boot – untergehen will niemand.

HOPEless_Konjetzky©TANZweb.org_Klaus Dilger

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