Unsere Video-Impressionen zum Stück

Es geschieht unmerklich…

Uraufführung der Tanzperformance „Gezeiten“ von Yibu Dance im Rahmen von Move! in town auf dem Rathausvorplatz in Krefeld

Nachtkritik von Bettina Trouwborst

Es geschieht unmerklich, ohne Vorwarnung. Während Kinder auf dem Krefelder Von-der-Leyen-Platz spielen und lachen, Passanten auf Bänken verweilen, bewegen sich zwei Tänzerinnen durch die Torbögen des Rathauses. Ihr Blick ist starr geradeaus gerichtet, ihre zeitlupenartigen, raumgreifenden Bewegungen sind auf einen Punkt in der Ferne fixiert. Langsam schreiten sie vorwärts. Sie verbreiten eine meditative Stimmung, die dafür sorgt, dass die Gespräche der Zuschauer und das Kinderlachen für eine Weile verstummen, um den harmonischen Moves zu folgen. Einige gehen herum und fotografieren, andere kommen näher, setzen sich auf den Boden. Die Vorstellung hat begonnen: Der Von-der-Leyen-Platz wird zur 15.000 Quadratmeter großen Bühne.

„Gezeiten“ heißt diese traumverlorene Tanzperformance der Kompanie Yibu Dance. Choreografiert hat sie Chun Zhang, assistiert von ihrem Partner Kai Strathmann. Die Uraufführung des Velberter Ensembles ehrt gleich zwei Jubiläen: Sie ist die zehnte Produktion des Sommer-Formats „Move! in town“ des Krefelder Kulturbüros. Vor allem aber ist diese Auftragsproduktion ein Programmpunkt in der 650-Jahr-Feier der Stadt. Von der frisch restaurierten Front des historischen Rathausgebäudes anlässlich des stadthistorischen Datums war die Chinesin sofort angetan: „Die Torbögen fanden wir künstlerisch-visuell großartig und hatten spontan die Idee, die Tänzer*innen durch diese Bögen auf den Platz heraustreten zu lassen.“

gezeiten_YIBU-DANCE@TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Es ist ein schöner Effekt geworden, mit dem sich die Tänzerinnen leise und doch wirkungsvoll Raum verschaffen. Wellenartig bewegt sich das Duo zur Mitte des Platzes hin, ein Motiv, das die gesamte Performance hindurch immer wieder auftaucht. Ein Mann, der sich durch seine lilafarbene Kleidung von den in Blautöne kostümierten Frauen abhebt, wird in den kommenden 70 Minuten für Irritationen sorgen, buchstäblich aus der Reihe tanzen, Nerven zeigen. Nach und nach schließen sich vier weitere Tänzerinnen und ein Tänzer an, bilden einen Schwarm, der mal mehr, mal weniger synchron tanzt oder sich in kleinen Gruppen oder lauter Individuen verliert.

Was sich auch verliert, ist die Aufmerksamkeit des Publikums. Was allerdings weniger an der Kunst der Choreografin liegt als am Ort. Die Weite des Rathausplatzes, die zunächst ein Reiz der Outdoor-Veranstaltung zu sein schien, wird zum Problem: Die Intensität der meditativen Stimmung geht auf der gewaltigen Fläche unter freiem Himmel verloren. Die städtische Betriebsamkeit tut ein Übriges. Was schade ist, denn das Gleichnishafte und Anspielungreiche dieser eigentlich intimen Arbeit, die sich auf 650 Jahre Krefelder Stadtgeschichte bezieht, könnte an einem intimen Ort ihren Zauber entwickeln.

„Gezeiten“ täte auch eine stringentere Dramaturgie gut, um die Phasen des im Titel vorgegebenen Naturphänomens klarer herauszuarbeiten. Ob ruhige Wogen, gekräuselte Oberflächen, hohe Wellen, stürmische Fluten – alles spiegelt sich in den Körpern. Und ist zugleich Sinnbild für die Jahre und Ereignisse, die die Seidenstadt durchschritten hat.

Es ist durchaus einfallsreich und vielseitig, wie die Chinesin die acht Akteur*innen ganz entrückt durch die (Ge-)Zeiten tanzen lässt. Das Bewegungsspektrum steigert sich in Tempo und Beweglichkeit vom Schreiten wie auf Wolken bis zum virtuosen Drehsprung. Dabei nutzt Chun Zhang den gesamten Platz aus: Die Längen, das kleine Quadrat in der Mitte, die Himmelsrichtungen inspirieren sie zu immer größerer Dynamik. Viele Zuschauer – in der Spitze waren es bis zu 150 – blieben trotz mancher Längen bis zum Schluss. Was einige enttäuscht äußerten: Das Einbeziehen des Publikums, wie es im Marketing angekündigt war, fand nicht statt. Dennoch: ein originelles Sommerevent.

gezeiten_YIBU-DANCE@TANZweb.org

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