ALLE JAHRE WIEDER(?)
DEUTSCHER TANZPREIS 2023
KOMMENTIERT
ALLE JAHRE WIEDER(?)
DEUTSCHER TANZPREIS 2023
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TANZKUNST LEBT VOM TEILEN…
… war dies die Klammer, die alle Preisträgerinnen und Preisträger verbindet? Malou Airaudo, Josephine Ann Endicott, Lutz Förster und Dominique Mercy – vier überragende Persönlichkeiten, (frühere? die tanzen ja immer noch) Tänzer und Tänzerinnen im Ensemble von Pina Bausch, teilen sich den Hauptpreis, der Generationen von Tänzerinnen und Tänzern prägende Ballettmeister, Trainings- und Probenleiter Peter Appel erhielt den Preis für sein Lebenswerk. Die Aktivistin für den Zugang zum Tanz, jenseits sinnlicher und körperlicher Einschränkungen Pia Neises, wurde für herausragende Entwicklungen im Tanz geehrt.
ZUSAMMEN MACHT ES SINN…
… eine Erkenntnis, die sich beim Besprechen des Ereignisses immer wieder, bestärkt auch durch die jeweiligen Laudationen für die Geehrten, einstellt, fast ebenso zuverlässig wie die Frage, ob dies denn wirklich jedes Jahr sein muss, oder ob es nicht besser wäre, diese Preise alle zwei Jahre zu vergeben, zumal die Veranstaltungen der Preisvergabe in den vorausgegangenen Jahren eher mau besucht und die Ehrungs-Vorschläge aus der Tanzszene überschaubar geblieben waren. Dass es diesmal wirklich voll geworden ist, ist erfreulich, lag aber wohl vor allem an den Geehrten und weniger an der Überwindung der Corona-Pandemie und dem allgemeinen Zurückkommen des Publikums. Und sowieso…
…und über allem schwebte Pina Bausch.
Grussworte Stadt und Land:
Oberbürgermeister der Stadt Essen, Thomas Kufen, verkündete, wie in den Jahren zuvor, seinen Stolz über die Tanzlandschaft seiner Stadt, das wirklich schöne Aalto-Theater und natürlich, dass es die Stadt Essen ist, die die Gala für “den herausragendsten Preis, den der Tanz in Deutschland zu vergeben hat…” ausrichten darf.
Ina Brandes, Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, unterstrich erneut die herausragende Bedeutung des Tanzes für das Land. Nicht zuletzt durch das Wirken von Pina Bausch in Wuppertal.
KAUM ZU GLAUBEN…
……dass die Ikone des späteren weltberühmten Tanztheaters fast zeitgleich ein Stück für die Ewigkeit choreografierte, “Le Sacre du Printemps”, und ein Stück eher zum Vergessen. Die Rede ist von “Der zweite Frühling”, das im “KULTURSALON” am Vorabend der Gala, aus welchen Gründen auch immer, auf die Bühne des PACT Zollvereins gebracht wurde. Da wäre Fragepotential gewesen für Elisabeth Nehring, die kompetent charmant wie immer, sehr angenehm den überlangen Abend moderierte…
…vielleicht aber macht ein solcher Widerspruch Genies zu Menschen?
Grussworte Claudia Roth:
Der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien blieb es vorbehalten, sich in einem leidenschaftlichen Plädoyer für Frieden und Menschlichkeit, trotz oder gerade weil die Welt von den Ereignissen im nahen Osten erschüttert wird, für eine starke Kunst und Kultur einzusetzen, die diese Werte zu stiften vermag. All dies für ein paar Stunden zwar nicht zu vergessen, aber sich erlauben, die ausgezeichneten Persönlichkeiten zu feiern, auch dies sei wichtig…
Paukenschlag…
… gleich zu Beginn der Tanzgala feierten fünfzehn junge Tänzer der Staatlichen Ballettschule Berlin mit viel Können, Talent und Freude ihre Lust am Tanz und begeisterten das Publikum mit “Better, faster, stronger” in der klugen, altersgerechten und mitreissenden Choreografie von Giorgio Madia – ganz offensichtlich erfahren sie eine sehr hochkarätige Ausbildung mit allem was auch Peter Appel große Freude bereiten würde!
Weniger spektakulär, aber sauber dargeboten, WANDERING MIND des Folkwang Tanzstudio, in der Choreografie von Renate Grazadei.
PETER APPEL…
„……er war sich nicht sicher, ob sich die Menschen überhaupt an ihn erinnern, beziehungsweise, ihn überhaupt kennen würden. Die Frage ist leider mehr als berechtigt und nicht weniger traurig: In den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts pilgerten die Tänzerinnen und Tänzer der Theater und Compagnien der ganzen Welt, nach Köln, um sich dort, Ende der Sommerpause, wieder fit zu machen, sich einzustimmen und die Körper vorzubereiten auf die Tanzkunst, …
Er prägte das Bewusstsein, dass die Beherrschung des Handwerks die Voraussetzung der Freiheit im Tanz war und damit auch der Kunst
EHRENPREIS FÜR DAS LEBENSWERK
Peter Appel – entgegen genommen von Sabrina Sadowska
Das künstlerische und pädagogische Wirken von Peter Appel (geb. 1933) hat in besonderer Weise die Ballett- und Tanzszene in Deutschland beeinflusst, und wirkt bis heute auf Ausbildung und künstlerische Arbeit im Tanz.…
Seine Arbeitsweise war präzise, minutiös, inspirierend – sowohl die solistische Arbeit als auch die Art mit dem Ensemble zu proben. Er hat das Ideal der Choreografie schnell erfasst und beherrscht. Dem Ensemble die Kompositionen zu vermitteln, war ihm stets ein wichtiges Anliegen.
Sein Wissen und sein Einfühlungsvermögen in die Werke der jeweiligen Choreograf*innen, sein Einsatz und sein Humor haben namhafte Choreograf*innen begleitet und Generationen von Tänzer*innen nachdrücklich geformt und inspiriert. Seine lebenslange Hingabe für den Tanz und sein pädagogisches Talent werden von der Jury mit dem Deutschen Tanzpreis – Lebenswerk ausgezeichnet.
Laudatio Pia Neises:
Die Ehrung von Sophia Neises für ihre herausragende Entwicklung im Tanz soll auch die Bedeutung neuer Zugänge und Handlungsmöglichkeiten in den verschiedenen Bereichen des zeitgenössischen Tanzes unterstreichen, der etwa mit mixed-abled Ensembles, Audiodeskriptionen, haptischen Einführungen, Relaxed Performances und der Verbesserung des Zugangs zu den Künsten außerhalb normativer Maßstäbe und Prozesse zu einer selbstbewussten Entfaltung eines diversen Kulturbegriffs beiträgt.
EHRUNG FÜR HERAUSRAGENDE ENTWICKLUNGEN IM TANZ
SOPHIA NEISES – Laudatio von Dr. Nina Mühlemann
Seit 2015 entwickelt sie verschiedene Formen der Performance im Tanz. Dabei gelingt es ihr, als Tanzpädagogin, Workshopleiterin und Dramaturgin die Notwendigkeit des Handelns zum Abbau von Barrieren zu vermitteln, und die kritische Wahrnehmung der stigmatisierten Rolle von behinderten Menschen sowohl auf der Bühne als auch im Alltag zu schärfen.
BEGRÜNDUNG DER JURY:
„…„Von den ersten Jahren an prägten sie die Arbeit von Pina Bausch und des Tanztheaters Wuppertalkraft ihrer Persönlichkeit und ihres bedingungslosen Mitwirkens an einer Tanzästhetik, die mit bestehenden Konventionen brach und ein neues Denken im und durch den Tanz hervorbrachte. […]
Von Wuppertal aus entfalteten alle Vier ihre Strahlkraft in die Welt hinein und sind nach wie vor gefragte Tanzpersönlichkeiten. […] Der Deutsche Tanzpreis 2023 ehrt ihre Lebensleistung und ihr bis heute unermüdliches, individuelles Engagement für den Tanz.“
Mechthild Grossmann…
… hatte da natürlich ihre ganz persönliche Einschätzung, die sie, wie immer, unnachahmlich in Stimme, Blicken, Pause und Gestik, mit dem Publikum teilte.
Zwischen Klos im Hals und lautem Gelächter changierten die Zuschauerinnen und Zuschauer auf Grossmanns Anekdoten.
Klare Wirkungstreffer…
Dankesrede Malou Airaudo:
… nicht nur die “kämpferische Göttin”, wie Mechthild Grossmann sie bewundernd nannte, zeigte sich überwältigt…
ES WAR EINE WÜRDIGE GALA…
… das war in den vergangenen Jahren nicht immer so, wie wir eingangs bereits erwähnt hatten. Der Gedanke der Weitergabe und des Teilens spiegelte sich auch im Programm des Abends wider: die fulminant tanzenden Schüler der Staatlichen Ballettschule Berlin, ebenso wie die noch zum Nachwuchs zu rechnenden Tänzerinnen und Tänzer des Folkwang Tanzstudio, präsentierten sich prächtig und dies in einer anspruchsvollen Gala.
Choreografien aus der Dresdener Semperoper und dem Essener Aalto-Ballett im mutigen Vergleich zu Ausschnitten aus Pina Bauschs “… como el musguito en la piedra, ay si, si, si…”, getanzt vom Folkwang Tanzstudio, verstärkt um die ehemaligen Pina Bausch Tänzerinnen Thusnelda Mercy und Clémentine Deluy – und “KONTAKTHOF” und “VOLLMOND”, getanzt von den Tänzerinnen und Tänzer des weltberühmten Tanztheater Wuppertal…
Ob die Veranstalter irgendwann auch ein jüngeres Publikum mit einem solchen Format erreichen können, bleibt fraglich.
…man sieht sich wohl im nächsten Jahr in gleicher Runde wieder
Dankesrede Jo Ann Endicott:
…in der sie einmal mehr zeigte, weshalb Rudolf Nurejew sie vermutlich “das verrückte Huhn vom Sidney Ballet” genannt hatte.
… see yourself…
Dankesrede Dominique Mercy:
… all das hätte es nicht gegeben, wenn meine Ballettlehrerin nicht gesagt hätte: “Dominique, Du musst jetzt fortgehen, weil ich Dir nicht mehr helfen kann…” und wenn meine Mutter mich nicht heimlich durch die Küchentür beobachtet hätte, wie ich auf die Mondschein-Sonate getanzt habe…
Dankesrede Lutz Förster:
„…Ich bin platt! – Ich habe meine drei Kollegen noch nie so gut deutsch sprechen hören…”
EIN KOMMENTAR…(aus unserem Portrait im April)
„……dass der Deutsche Tanzpreis 2023 an diese Tänzerpersönlichkeiten geht, deren Credo die Authentizität des tanzenden Körpers ist, darf auch als ein deutliches Signal interpretiert werden: Zum Einen als erfreulicher Kontrast zum Hype einer Digitalität, der oft genug die Schwerkraft abhanden gekommen ist, ohne die Tanz kaum denkbar ist, zum Anderen als Kontrast zur scheinbaren Beliebigkeit, mancher „anything goes“-Vertreter im Tanz und mehr noch, mancher Concept- und NON_DANCE-Anhänger. Die Zukunft des Pina Bausch Zentrums ist in Wuppertal noch längst nicht gesichert. Vieles wird auch davon abhängen, welche Resonanz der neue Intendant mit seinen Arbeiten erreichen wird und in welcher Qualität das nationale Kulturerbe, die Arbeiten von Pina Bausch und ihrer Tänzerinnen und Tänzer, ebenso deren kongenialen Partner_innen wie Borzik, Pabst und Cito in ihren Wiederaufnahmen erfahren werden. „Was bedeutet Ihnen dieser Preis, und wie sehen Sie diesen im aktuellen Kontext mit dem Tanztheater Wuppertal“, wurden die Geehrten von einer Journalistin gefragt…
Es sei nicht der richtige Moment… kam zweimal als Antwort
WAS UND WIE WEITERGEBEN…?
… die Stimmen der Preisträger_innen
credits
Editing und Gestaltung: DANSEmedia | berlin
Bildnachweise:
Seite 12: Peter Appel Deutsches Tanzarchiv
Seite 37: Ursula Kaufmann
alle anderen ©Klaus Dilger
Videomitschnitte Klaus Dilger
im Rahmen der Gala zur Verleihung des Deutschen Tanzpreises
im Aalto Theater Essen am 14.10.2023
PREISVERLEIHUNG AM 14.OKTOBER IN ESSEN | AALTO THEATER