FIRST&FURTHER STEPS in Krefeld
Mord auf dem Golfplatz…?
Überzeugendes Gastspiel von FLIES&TALES aus Köln bei der diesjährigen Ausgabe in der Fabrik Heeder
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Feedback von Klaus Dilger
Im Bühnenhintergrund liegt bäuchlings, den Kopf uns zugewandt, eine nackte Frauenleiche. Dass es eine Leiche ist, suggeriert uns der Titel der Produktion „criminal pleasures“ von FLIES&TALES aus dem Jahr 2024, die nun dankenswerter Weise in Krefelds Fabrik Heeder, im Rahmen von FIRST&FURTHER STEPS, zu sehen ist.
Es muss frühmorgens sein: Im leichten Bühnennebel sehen wir neben ihrem ausgestreckten linken Arm einen Golfball liegen, die rechte Hand liegt am ausgestreckten Arm leblos auf dem Griff eines Golfschlägers, der das Körperensemble zu einem Kreuz erweitert. Vier Wesen in weissen Schutzanzügen, ebenso weissen Imker-Hüten mit einem weiten, schwarzen Schutzschleier, lassen sie beinahe Nonnenhaft wirken. Sie sind damit beschäftigt, mit ihren Smartphones die Spuren zu dokumentieren, eines von ihnen sitzt an einem Tisch mit vielen Geräten darauf, in die es etwas einzuspeisen scheint. Auf einer mittig nach vorne verlaufenden, schmalen Kunst-Rasen-Bahn, liegen drei weitere Golfschläger, die dort vermutlich fein säuberlich platziert wurden. Alles hier ist ruhig und stimmig, bekannt und befremdlich zugleich, gerade so, als hätte uns unser Konsum an einschlägigen Serien und Krimis zu Expert_innen gemacht in der Katalogisierung und Kategorisierung von Leichen und Morden.
Eine natürlich klingende Frauenstimme aus dem Off greift ein in unser Zeitgefüge: „ … es wird tausend Erklärungen dafür geben, Sie werden hören, dass die Menschen egoistisch waren, dass wir in einer Konsumkultur gefangen waren, dass unsere Politiker feige Diener der fossilen Brennstoffe waren, zu sehr mit Tanzwettbewerben, Moden und Trivialitäten beschäftigt…. An all dem ist etwas dran, aber unter der Oberfläche lag eine schreckliche und brutale Wahrheit, von der wir alle so Taten als gäbe es sie nicht…“
POSTHUMANISTISCHE GESELLSCHAFT
Jetzt sind wir noch mehr gespannt: Posthumanismus also, dessen Ursachen nun retrospektiv kriminalistisch beleuchtet werden…?
Der Tat- oder Fundort wird „eingerollt“, mit ihm verschwinden die „KTU-Nonnen“ im Off, nur die Leiche und das Wesen am Tisch bleiben im Nebel zurück. Kurze Zeit später: Wie in einem Flashback kommen die Wesen, die nun drei Frauen in Boxershorts und T-Shirts geworden sind, sich rückwärts bewegend an den Ort zurück.
„… und dieses mal erinnern wir uns an unsere Geschichten, um nach vorne schauen zu können…“ klingt es irgendwann erneut aus dem Off.
Durchdacht, fein dosiert und gut getaktet wird die oder der Zuschauende sechzig Minuten lang immer weiter und wieder in neue Richtungen gelenkt werden, die sie oder ihn dabei immer tiefer in diesen „Fall“ verstricken könnten, an dessen Ende man sich vielleicht sogar in der Leiche wieder erkennen wird…
Wir wollen hier nicht zuviel verraten, sondern empfehlen ganz dringend den Besuch von „Criminal Pleasures“.
Lenah Flaig und Josephine Patzelt sind FLIES&TALES und zusammen mit ihren Tänzerinnen Mihyun Ko und Laura Schönlau, Musik: Eric Eggert, Licht: Thomas Mörl, Kostüm: 1. Szene – Jaqueline Hen, Projektleitung: Ronja Bader und Assistenz: Sara Yussefi Marzi konstruieren und sezieren sie hier das „beinahe perfekte Verbrechen“, um im kriminalistischen Bild zu bleiben.
Viel Text ist eingeflossen in dieses Stück, erzählt von einer KI-generierten Stimme, die erstaunlich echt interpretiert, und keinen Augenblick konkurrieren Tanz, Komposition und Bühne mit den durchaus philosophisch, psychoanalytisch anmutenden Texten, die die beiden Choreografinnen zusammengetragen und mit persönlichen Geschichten erweitert haben.
„Criminal Pleasures“ übersteigt bei Weitem die Erwartungen, die das Krefelder „Nachwuchs-Format“ – „FIRST&FURTHER STEPS“ suggerieren könnte. Für alle, die die beiden Künstlerinnen seit längerem begleiten, keine Überraschung: Immer wieder überzeugen die Bühnenergebnisse ihrer, oft ganz unterschiedlichen, künstlerischen Forschung.
Mit dieser Produktion stellen sie erneut und vielleicht bisher am eindrücklichsten unter Beweis, dass sie ihr „Handwerkszeug“ beherrschen.