Unsere Videoimpressionen

„Whirling Ladder | Between“

live beim Festival “move!” in der Krefelder Fabrik Heeder

Am vergangenen Wochenende fand im Rahmen des Festivals “move!” die Live-Performance statt, die im Frühjahr Corona bedingt nur als aufwändiger Stream gezeigt werden konnte. Da  die YiBu-Dancecompany ein räumlich äusserst konzentriertes Konzept gewählt hatten, das den Raum auf zwei mal zwei Meter reduziert, bot sich den Zuschauern im Bühnenraum nun ein beinahe meditatives Erlebnis. Dort wo im Stream vier Kameras für einen Wechsel der Perspektiven und der Ausschnitte sorgten, blieb nun für eine kleine Stunde der Atem und die Energie von Chun Zhang und Kai Strathmann, um dem Weben dieser künstlerischen DNA zu folgen.

Chun Zhang hatte 2019 den Kurt Jooss Preis für ihr fulminantes wie facettenreiches Gruppenstück “Being far away from” erhalten (HIER geht es zur Besprechung), der die Grundlage bildete für die Gründung ihrer Compagnie, deren letzten beiden Produktionen auf die Form des Duos begrenzt war.

Auf Grund seiner Gültigkeit und genauen Beobachtung veröffentlichen wir an dieser Stelle noch einmal die Nachtkritik von Rico Stehfest, der den Stream besprochen hatte:

Systemisches System

Yibu Dance verlangen ihrem Publikum mit „Whirling Ladder | Between“ viel ab

Nachtkritik von Rico Stehfest

Es braucht nicht viel, die in sich verdrehte Leiter aus dem Titel als die menschliche DNA zu erkennen. Diese stricken Chun Zhang und Kai Strathmann innerhalb von 50 Minuten so sorgfältig wie minimalistisch. Dazu bewegen sie sich im Stream aus der Tanzfabrik Heeder in Krefeld in einem abgedunkelten Raum auf hellem Tanzboden, dessen ausgeleuchtetes Feld wohl kaum zwei Meter auf zwei Meter misst. Dunkle Hosen, dunkle, glitzernde Oberteile, identisch. Sie sind das Basenpaar. Und sie haben ordentlich zu tun. Gänzlich intim agieren sie vereint an einem gemeinsamen Ziel, in sich vertieft, introspektiv. Es sind nur ein paar kleine Schritte, die sie tun, vor, dann wieder zurück. Alles andere, Oberkörper, Arme, bleibt ohne Ausdruck. Egal, welchen Perspektivwechsel die Kamera dabei einnimmt, lange bleiben sie dem Zuschauer abgewandt, begleitet von bruchstückhaften, zurückhaltenden Sounds.

Dieser minimalistische, reduzierte Ansatz, dieses Repetitive ist der Vorgang des „Strickens“ der DNA. Und genau das ist eben nicht abwechslungsreich, also für den Zuschauer nicht spannend. Variationen bewegen sich in einem äußerst begrenzten Set an Möglichkeiten. Das allerdings gleichzusetzen mit einem Mangel an Komplexität hieße, die Sache zu verkennen. Diese Reduktion ist zunächst nichts als eine Tatsache. „Aus-Druck“ ist genau das, worum es hier gerade nicht geht. Stattdessen ist es die Betrachtung, die im Vordergrund steht, das aktive Verfolgen dieses Musters. Die Kamera bewegt sich dafür hauptsächlich im Bereich der Froschperspektive; wechselt sie in eine Zentralperspektive legt sich über den Stream ein Farbfilter, der ein wenig in Richtung Sepia geht. Ganz so, als würde plötzlich ein anderer Blick auf den Prozess geworfen. Trotzdem bleibt dem Publikum nichts als dieser Blick von außen. Das stellt die Aufmerksamkeit auf eine harte Probe. Nichts fällt leichter, als diese vermeintliche Nicht-Aktion als langweilig abzutun. Kommt es unerwartet zu einem Schnitt, dem ein kurzer Fokus auf die Fußarbeit folgt, wirkt das schon fast aufregend, so mager ist Abwechslung gesät.

Das lässt dem Zuschauer viel Raum für Reflexion. Wie lässt sich eine so reduzierte Arbeit in der Abfolge ihrer Schritte für die Performer memorieren? Gibt es ein erkennbares Strickmuster? Wie „lang“ ist eigentlich die menschliche DNA? Kann das jemals ein Ende finden? Ist diese Introspektive Ergebnis des nach innen gekehrten Dauer-Corona-Ichs?

Etwa nach der Hälfte der Performance erfolgt so etwas wie ein Einbruch der oder ein Ausbruch in die dritte Dimension: Die Beine der beiden Performer knicken ein, in den Knien, in den Hüften, wodurch Bewegungen von oben nach unten und zurück erfolgen. Auf ein Innehalten folgt eine Gabelung des Weges. Haben beide Performer bislang „an einem Strang“ gearbeitet, synchron oder zumindest miteinander, werden jetzt Verschiedenheiten, Unterschiede erkennbar, Abweichungen. Genau so minimal, wie alles zuvor, aber trotzdem nicht zu übersehen. Das gleiche Ziel wird über individuelle Wege verfolgt. Dabei kommt es zu einer neuen Art des Miteinanders: Der Eine stützt, unterstützt den Anderen, dient ihm, hilft. Was ist das? Evolution? Individualisierung? Es ist ein Anders-Sein, ein Anders- Werden. Ein Prozess, dessen vermeintliche Simplizität nichts über das schlussendliche Ergebnis preisgibt.

WHIRLING LADDER | BETWEEN©Ursula Kaufmann

WHIRLING LADDER | BETWEEN©Ursula Kaufmann