bodytalk bei MOVE! Krefeld
Scharfmacher und Traumtänzer
„Koreality – (keine) Geisterbeschwörung“ von Bodytalk war bei MOVE! in Krefeld – Hier noch einmal unsere Premierenbesprechung
von Melanie Suchy
Den Tanztheaterabend mit dem Titel „Koreality“ betrete ich erst zu dem Zeitpunkt, der bei „ality“ läge. Die Deutsche Bahn macht solche Experimente möglich, nein, notwendig. Sie konstruiert ungeplante Realitäten mit einer Mischung aus System und Zufall. Da steckt man (nicht) drin.
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Der Kalauer sei erlaubt, denn bei Kreationen des Teams von Bodytalk, bestehend aus der Choreographin Yoshiko Waki und dem Musiker Rolf Baumgart, gehören Wortspiele zur Ausstattung. Hier: Koreation. Die ist in vollem Gange. Acht Tänzerinnen und Tänzer mit eiligen Armen und Schritten formen einen Kreis, ein Viereck, eine Linie, eine Art musterhafte Choreographie. Aber mit Messern in Händen. Die langen Klingen blitzen, der von Anna Kang am Bühnenrand aufgedrehte Techno wummert und lässt die Sitze vibrieren. Mancher Tänzer beißt fröhlich ins Metall. Einer Tänzerin heben die Kollegen die Haarsträhnen mit den Messerspitzen an, dann ihre Arme. Sie lächelt, posiert. Als bekäme sie Flügel durch Gefahr. Im Modus Show.
Ein Tänzer spielt das noch heftiger aus. Das Messer klemmt zwischen seinen Zehen. Die Spitze ist immerzu gegen ihn gerichtet. Am Boden oder im Stehen, es haut gegen ihn, er fällt, steht auf, humpelt, starrt wie fasziniert auf die Waffe. Es könnte ein Suizidgedanke sein, eine unselige Besessenheit. Oder ist es einfach eine „challenge“: was geht alles mit dem scharfen Ding am Fuß?
Die „Korealität“ in dem Stück ist das Überspielen, das ständige Zurschaustellen, das Überlaute, das menschliche Kleinheit oder Eigentümlichkeiten nicht nur verdeckt, sondern vernichtet. Kurz steht die Tänzerschar mal mit leeren Händen da, zeigt sie, dann beginnt wieder so ein Leistungstanz im Wahnwitztempo, runter, hoch, eine Pose einnehmen, schnell die nächste. Bein in die Luft, Arme geschlängelt. Als scrollte jemand durch eine Fotosammlung auf dem Handy: husch-husch, wisch, wisch. Die Tänzer machen das brillant.
Schneidig
Auch das wiederbelebende Drücken mit Händen auf einen Brustkorb wird zur Spaßnummer, das Händezittern, Aufkniefallen, Geißeln zum Drama mit Heulgesicht. Was wie Fäusteschütteln als Protest bei Demonstrationen aussieht, ist gleichzeitig Tanzjubel bei einem Konzert und beim Konzertgeben. Der Doppelsinn schwindet erst, als die Tänzerinnen und Tänzer sich betont unschön verformen, die Haut rubbeln, den Unterarm rotieren, sich werfen, verlieren, abdrehen, scheinbar die Kontrolle abgeben. Diese Hölle glüht rot.
Ob das Resultate sein könnten von tanzwütiger Begeisterung, Drogen, Erschöpfung, Verzweiflung oder einer Art Trance, bleibt offen. Die Duisburg-ähnliche tödliche Panik im Itaewon-Viertel von Seoul zu Halloween ist nicht lange her, auch nicht das Kentern der koreanischen Fähre mit dutzenden Schulkindern. Das kommt der Zuschauerin hier in den Sinn.
Das Stück taucht ab danach. Anna Kang macht dickes Rauschen, eine Tiefsee, einen Traum. Die dunkle Bühne bevölkern Lichter: grüne Bögen, die Fische, Vögel, Augen bilden, rotierende Farbförmchen, geschleuderte Blinkfäden. Die juxenden Geisterlein sammeln sich an einer sitzenden Frau. Der Zauberin? Oder Schamanin? Im Hightech-Land Korea ist die Kultur der Schamanen und Götterbeschwörungen noch sehr lebendig.
Entgeistern
Nach Durchtauchen der Nacht feiert im Hellen die Tanztradition fröhliche Urständ: Stoffbahnen, weiß, rot, grün, bauschen, Gesang, Klavier, eine Janggu-Doppeltrommel, Solo-Tanz einer Frau in Tracht mit Pluster-Rock, in der Hand einen Fächer. Wenden, Drehen, Knie beugen, Rücken biegen, Lächeln. Eine Parade mit Masken an Gesichtern, ein fast nackter Mann, der mit Glitzerkonfetti beworfen wird und gollumhaft giert nach dem Ruhm, der ihm auf Haut und Zunge klebt.
Ist das Korea? Südkorea? Beide Koreas, deshalb „Ko-„? Ist das da so, sind die so?
Tumbes Verallgemeinern und Betonen von Klischees, die man von Weitem über Leute und Leben in den Koreas im Kopf haben könnte, gefüttert aus Nachrichten, Berichten, Popmusik- und Filmkonsum, wäre schlecht auf der Bühne. Die Bodytalks haben die nahe Klippe im Blick, nehmen die Gefahr in Kauf. Aber sie verzerren, veralbern, vermengen, verfälschen das, was sie in Recherchen am Ort und sonstwo aufgelesen oder auch von den Tänzern erfahren haben mögen. Mit Mehrdeutigkeiten und dem nervös verspielten Duktus werfen sie den Ball zurück ins Publikum. Oder das Messer. Soll Kunst wehtun? Wem? Auf der Schneide tanzen? Es ist Show, als Tanztheater verkleidet. Oder umgekehrt. Oder nackt. Toll und etwas ziellos.
P.S.
Im Nachgang per Videomitschnitt den verpassten Teil des Abends nachgeholt. Eine muntere Parade mit Gröhlgesang an Karre und Besen. Anna Kang stellt sich und einige Tänzer namentlich vor und deren Wettbewerbspreise. Das erste Korea-Klischee „fähige Opernsänger“ triumphiert mit einer singenden Tänzerin. Nur singt sie keine Oper, eher so Nina Hagen. Es folgt K-Pop, als solcher angekündigt, mit Breakdance –und Akrobatikeinlagen. Bis ihn Messer garnieren.
Weit entfernt von Dokumentartanz oder –Theater behauptet die Inszenierung denn auch keine Wahrheit, nicht mal eine doppelte. Sie ist Show.