„First and Further Steps“
„Synästhesie“
Yibu Dance eröffnete die Reihe „First and Further Steps“ am vergangenen Samstag in der Fabrik Heeder Krefeld
von Bettina Trouwborst
Nur ein kleines Licht blinkt in der Düsternis. Mehr ist auf der Bühne minutenlang nicht zu erleben. Erst als sphärische Musik anschwillt, tritt ein Mensch, rückwärts schreitend, aus der Dunkelheit hervor. Er bewegt sich in einem Viereck aus Licht, abhängig wie eine Marionette von den Stimmungen und Impulsen des Elektrosounds. Orientierungslos wirkt der Tänzer in schwarzem Hemd, weit geschnittener, schwarzer Hose und Turnschuhen, zwischendurch auch verstört, ängstlich, wie ausgeliefert.
Wer Aufschluss sucht in dem Titel von Kai Strathmanns Solo „Synästhesie“, das bei der Eröffnung des Krefelder Nachwuchs-Formats „First and Further Steps“ Premiere feierte, läuft in die Irre: Synästhesie bezeichnet ein wissenschaftlich anerkanntes Phänomen, bei dem die Verbindung von mehreren sinnlichen Wahrnehmungen auftritt – beispielsweise das gleichzeitige Hören eines Tons und das Sehen einer Farbe. Oder die Koppelung einer Farbe mit einem bestimmten Geschmack.
Aber nein, darunter scheint Strathmanns Kunstfigur nicht zu leiden. Ihm geht es, wie durch die hartnäckige Wiederholung des immer gleichen Prinzips von akustischem Reiz und körperlicher, meist zuckender Reaktion – wie etwa nach einem Stromschlag – um die Wechselwirkung von Bewegung und Sound. Auch untersucht er die „Fragen des urbanen Tanzes, indem er die Elemente Tanzunterricht und -Performance zu einer Symbiose verbindet“, wie es im Programmzettel heißt. Dafür tanzt er sich durch die Grooves des Urban Dance. „Synästhesie“ von Yibu Dance aus Velbert präsentiert zwar einen exzellenten Mover mit Pina-Bausch-Vergangenheit, konzeptionell und dramaturgisch überzeugt es leider nicht so recht.
Yibu Dance“ ist ein recht junges Label in der freien zeitgenössischen Tanzszene. Erst 2019 gründeten Chun Zhang und Kai Strathmann ihre eigene Company. „Yibu, Yibu“ bedeutet im Chinesischen „Schritt für Schritt“ – was die Wahl-Velberter bezeichnend für ihre ästhetische Philosophie empfinden. Man kann es – natürlich – wörtlich nehmen. Die beiden
lernten sich 2015 bei ihrem Masterstudium in Choreografie an der Folkwang Universität der Künste kennen. Während die Chinesin zuvor an der Beijing Dance Academy klassisches Ballett und traditionellen Tanz studierte, liegen die tänzerischen Wurzeln ihres Partners beim Urban Dance. Zuvor arbeitete er in der IT-Branche. Seit dem ersten Tag in Essen, wie sie selbst Auskunft geben, sind sie ein künstlerisches und auch längst ein privates Team. Ihrer beider Abschlussarbeiten mit dem Folkwang Tanzstudio wurden nominiert für den Kurt Jooss Preis 2019. Zhang erhielt ihn für „Being far away from“.
In „Whirling „Ladder, between“, ebenfalls bei dem Nachwuchsformat in Krefeld vorgestellt, bewegten sich die beiden in meditativem Minimalismus kaum von der Stelle. „Synästhesie“ dagegen ist ein hochdynamisches Stück. Strathmann nutzt den gesamten Raum, spielt virtuos auf der Klaviatur vor allem des Breakdance und gleitet von akustischer Macht getrieben und von Lichtquellen angezogen von einem Gefühlszustand in den nächsten. Zeitlupen-Bewegung, autistische Zitterattacken, flatternde, isolierte Gliedmaßen, roboterhafter Duktus – Kai Strathmann verfügt über eine enorme Körperbeherrschung. Wie in „Alice im Wunderland“, so assoziiert man mitunter, schreitet er mal staunend, mal furchtsam umher.
In der Tat, Elemente des Tanzunterrichts, wie im Programm notiert, sind erkennbar, die er zu einer Choreografie zusammenfügt. Die Dramatik der Musik, die er selbst komponiert hat, löst seine eindimensionale Performance allerdings nicht ein. Der stumme Schrei gegen Ende, das Pathos des Ausdrucks, es erklärt sich nicht. Der schönste Moment ist das Finale: Strathmann, auf der Seite gekrümmt liegend, läuft im Kreis um die eigene Achse. Ein Sinnbild seiner unerklärlichen Orientierungslosigkeit?