MOVE! extended 2023 in der Fabrik Heeder

Meditative Besinnung in choreografischer Klarheit

Lois Alexander/Berlin bei movextended – 22. Krefelder Tage für modernen Tanz

von Bettina Trouwborst

Ein weißer Sarkophag, bedeckt mit weißen Blumen, ist der magische Ort, der die Solotänzerin in Weiß immer wieder anzieht. Gleich zu Beginn kniet Lois Alexander davor, in Anbetung versunken. Dann setzt sie zu einer verschlungenen Arm-Sequenz an. Wer in diesem Sarkophag liegen mag – darüber kann man spekulieren. Denn zum Einen widmet die Kalifornierin mit afroamerikanischen, philippinischen und chinesischen Wurzeln ihr Solo „Yeye“ der Yemaya, Göttin des Meeres und der Mutterschaft in der Religion der Yoruba, verbreitet vor allem in Westafrika. Andererseits könnte es ein Kind sein. Denn die Tanzkünstlerin hat sich in ihrem Solo auch von Büchern der afro-amerikanischen Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison inspirieren lassen, insbesondere dem Roman „Menschenkind“ (1987). Er handelt von der radikalen Tat einer Sklavin: Auf der Flucht tötet sie die eigene Tochter, um sie vor Sklavenfängern zu schützen.

Zu interpretieren gibt es einiges in diesem spirituellen Stück. Auch die metallene, kleine Wanne, aus der die Künstlerin im späteren Verlauf rotes Pulver nimmt und an mehreren Stellen auf dem Bühnenboden in der Fabrik Heeder verteilt, um daraus kreisrunde, rote Stellen zu formen – wie kunstvolle Blutlachen. Ist es Blut – und wenn ja, wessen? Ihrer Vorfahren, des Roman-Kindes, heutiger Opfer von Rassismus … Doch all diese Fragen sind letztlich eher überflüssig. Denn sie lenken vom Wesentlichen ab: dem sinnlichen, vibrierenden Tanz Lois Alexanders. Ihr Körper ist völlig durchlässig, wunderbar beweglich, er strahlt eine ungeheure Energie aus, kraftvolle Weiblichkeit. Die Tänzerin ist Mutter, Göttin, Opfer und trauernde Epigonin zugleich. Oft streicht sie sich fast zärtlich durch das Gesicht, umarmt den eigenen Körper auf verschiedenen Höhen wie zum Trost, aus Selbstliebe und gewonnener Selbstachtung.

YEYE_Lois-Alexander©TANZweb.org_Klaus-Dilger

YEYE_Lois-Alexander©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Es ist die Darstellung schwarzer Mütter, unter anderem in der Mythologie und in der Religion, die Lois Alexander fasziniert. In ihre Erkundungen bezieht sie die Folgen von Kolonialzeit und Sklaverei bis in die heutige Zeit mit ein. Und wenn Alexander mit ihren Fingern entlang ihrer Rippenbögen hinab über das Becken streicht, um dann mit beiden Händen eine nach unten herab weisende Geste zu machen, stilisiert sie auf wunderbar reduzierte Weise den Geburtsvorgang. Man wünschte sich, dass sie diese Art von Reduktion auch auf ihre weiteren ästhetischen Mittel anwenden würde. Denn das Problematische an „Yeye“ ist der Kontrast zwischen dem Tanz und zum Teil an Kitsch grenzende Bilder.

Wie in der verzichtbaren Szene, wenn Alexander im Scheinwerfer steht vor einer projizierten, hellen Sonne und einen nebulösen Text spricht. Auch die Videos mit ästhetisierten Leibern und Körperprismen braucht es nicht.

YEYE_Lois-Alexander©TANZweb.org_Klaus-Dilger

YEYE_Lois-Alexander©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Mitreißend aber sind die immer neuen tänzerischen Impulse und Variationen zu unterschiedlichen musikalischen Kompositionen. Es gibt Sequenzen mit leicht stampfenden Schritten zu hartem Rhythmus, die an Stammestänze erinnern. Sie wippt ganz in sich versunken zu Rap, lässt Jazz-Töne durch ihren Körper tropfen. Dann wieder gleiten Wellen durch sie hindurch. Welch grandiose Bewegungsqualität.

Gegen Ende legt die Feministin sich auf den Boden zu einem Ave Maria. Greift sich den geflochtenen Strang aus türkisfarbenen Stoffbahnen, der von Beginn an den Bühnenraum diagonal teilt. Der Strang, sinnfällige Symbolik für eine Nabelschnur, liegt in ihren Armen wie ein Baby. In der Nähe des Sarkophags legt sie „es“ ab. Und tanzt in einer Atmosphäre spiritueller Sinnlichkeit. Spätestens jetzt denkt man an Anne Teresa de Keersmaekers wunderbares Jazz-Stück „Raga for the rainy season“ ganz in Blütenweiß – meditative Besinnung in choreografischer Klarheit. Man wünschte sich etwas von diesem Purismus für „Yeye“.

YEYE_Lois-Alexander©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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