Fünfte Festivalwoche bei MOVE!
Verstörender Blick ins Dunkle
Performance von Caner Teker „Grounds For Refusal“ bei „move!“, den 23. Tagen für modernen Tanz in der Fabrik Heeder, Krefeld – HIER geht es zu unseren Video-Impressionen
von Martina Burandt
Mit ihrer 35-minütigen Performance „Grounds For Refusal“ lädt die in Düsseldorf lebende Caner Teker zur gemeinsamen Trauerarbeit, jenseits festgelegter gesellschaftlicher Denkstrukturen ein. Begleitet durch die Livemusik von Nazanin Noori, wird hierbei Gefühlsraum erschaffen, dem man sich nur schwer entziehen kann.
Ein weißer Vorhang hängt zusammengerafft von der hohen Decke. Sein Saum, der bis zum Boden reicht, scheint im roten Licht blutgetränkt. Vor einem langen schmalen Spiegel sitzt mit blankgeschorenem Kopf, Caner Teker, und schminkt sich mit großer Sorgfalt das Gesicht. In der Mitte des Bühnenraums stehen ein paar Cowboystiefel.
Caner Teker lässt sich viel Zeit, bevor sie sich zu immer lauter werdenden Klängen, die wie aus einer Industriehalle zu kommen scheinen, auf allen Vieren vom Spiegel weg bewegt. In einer Hocke hält sie für eine Weile inne, legt das Gesicht in die Hände, bevor sie dann aufsteht und in einer lack-glänzenden, schwarz-weißem Hose in die Stiefel steigt.
Das Bewegungsrepetoir ist reduziert. Ritualisierte Gesten, codierte Zeichen wiederholen sich. Zum Publikum, das rund um den quadratischen Bühnenraum sitzt, nimmt sie(die optisch auch wie „er“gelesen werden könnte) keinen Kontakt auf. Performerin und Musik laufen nun im Kreis, wobei sich Caner Teker abwechselnd in die Hände schaut oder mit ihnen eine abwehrende Haltung nach außen vollzieht.
Diese ständige Wiederholung des Verbergens, des Abwehrens, des Aneinanderschlagens der Hände hat etwas quälend Zwingendes und spitzt sich parallel zur Musik zu.
Die Elektro-Klänge von Nazanin Noori erinnern an Radio-Störungen, an Industriemaschinen, Rasenmäher, Hubschrauber, an Krieg. Ihre sanfte Stimme, die sie im Verlauf des Stückes mit einsetzt, wirkt dazu konträr und erschafft das Bild eines Engels, gefangen in der Mechanik großer Maschinen.
Caner Teker interessiert sich für die Verbindung von Wut und Trauer und bringt auch ihre eigenen, persönlichen Erfahrungen („jenseits von Queerness und postmigrantischer Identität“) mit in ihre Arbeit. Das Gesicht zwischen ihren Händen ist wie ein stummer Schrei. Mit der Tulum, einer türkischen Sackpfeife im Arm, wirkt Teker schutzbedürftig und verletzlich. Ein gestisches Bild reiht sich an das andere und so folgt diese Produktion nicht der gewohnten Dramaturgie eines Tanzstückes. Und nur schwer kann man sich dem Sog dieser anstrengenden Performance entziehen.
So werden die Klänge so laut, dass man eine Trigger-Warnung aussprechen möchte. „Grounds For Refusal“ bedeutet Gründe für Ablehnung. Und hier liegt nur eine Erkenntnis nachdem man dieses Stück erlebt hat: Egal, wie unterschiedlich das Gefühl der Trauer begründet ist und erlebt wird; vor diesem kraftvollen und dunklen Gefühl zu fliehen wäre dumm. Denn so wäre es nie überwunden und käme immer wieder.
Caner Teker studierte an der Kunstakademie Düsseldorf und an der SNDO – School for New Dance Development, Amsterdam und zeigte ihre Performances bereits an renommierten Häusern zwischen Düsseldorf, Wien und Berlin.
„Ground For Refusal“ ist weder leicht aufzunehmen noch gleich zu verstehen. Diese Performance zieht einen, auch körperlich spürbar, ins Dunkle unseres Menschseins und macht deutlich, wie Trauer funktioniert – und mögen ihre Facetten auch noch so unterschiedlich sein – je nachdem ob sie persönlich, politisch oder gesellschaftlich begründet ist.