Yibu Dance zeigt in der Fabrik Heeder in Krefeld

im Rahmen von TANZ NRW 2023

Whirling Ladder | Upright

Von Thomas Linden

Aus der Dunkelheit sind Knackgeräusche zu vernehmen, später Vogelstimmen. Offenbar befindet man sich in einem Wald. Keinem lieblichen, eher einem, der noch keine ordnende Hand eines Menschen ertragen musste. Eine Ahnung von Ursprünglichkeit durchweht die Schwärze. Gleich einer Lichtung wird ein Gebilde aus fünf Rundungen erkennbar, das an Moose oder große Pilze erinnern könnte. Mit der Bewegung, die in diesem Tableau am Werk ist, werden fünf weibliche Rücken erkennbar, deren Haut sich hell vom dunklen Stoff abhebt, der ihnen über die Hüften fällt. Es ist dieses Bild, aus dem „Whirling Ladder | Upright“ von Chun Zhang besteht, und zu dem Kai Stratmann den Sound in der Fabrik Heeder liefert. Die beiden lernten sich an der Folkwang Universität in Essen kennen und gründeten gemeinsam das Ensemble Yibu Dance. Nicht alle Tage sieht man eine Choreographie wie diese, die im Grunde aus einer einzigen Situation besteht. Und dennoch gibt es viel Bewegung an diesem Abend. Bewegung, die sich ganz aus ihrem Sujet heraus entwickelt, originell, einzigartig, ohne auf bekannte Bewegungsformen des Tanzes zurückgreifen zu müssen.

Die Produktion von Chun Zhang bezieht sich auf einen chinesischen Schöpfungsmythos, der von einer Göttin erzählt, die ihr Spiegelbild im gelben Fluss entdeckte. Begeistert beginnt sie Figuren aus dem Schlamm des Ufers zu formen, die ihr gleichen und denen sie schließlich Leben einhaucht. Das ist es, was man hier sieht. Die entblößten Rücken schaukeln und wiegen sich, gemeinsam im Rhythmus wie Wasserpflanzen oder einzeln in unterschiedlichen Tempi. Es könnte sich aber auch um ein Nest handeln, aus dem Lebewesen ruckartig in kleinen Intervallen an Größe gewinnen. Wir wohnen der Menschwerdung bei.

Whirling Ladder upright_Yibu Dance© Foto-Ursula-Kaufmann

Whirling Ladder upright_Yibu Dance© Foto-Ursula-Kaufmann

Chun Zhang vermag klug mit den Potenzialen des Minimalismus umzugehen. Sie orchestriert aus dem bemessenen Bewegungsrepertoire, dem nur der Oberkörper zur Verfügung steht, da die fünf Tänzerinnen (Ludovica Pinna, Francesca Pavesio, Enora Gemin, Nene Okada, Kyoko Oku) mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden knien, eine pulsierende Abfolge von Varianten und Wiederholungen. Diese kontrollierte Virtuosität erzeugt einen Sog, der das Zeitempfinden beeinflusst. Zeit ist Bewegung, das macht diese Choreographie eindrucksvoll bewusst. Mit dem Verharren bleibt sie stehen, gewinnt an Tiefe, und mit der Beschleunigung gibt sie die Emotionen wieder frei.

Subtil spielt Chun Zhang mit Erwartungen. Neben der Abstraktion ist es die konkrete Visualisierung, mit der sie arbeitet. Der Titel „Whirling Ladder | Upright“ bezieht sich über seinen mataphorischen Gehalt hinaus auf die anatomische Funktion der menschlichen Wirbelsäule, durch die der aufrechte Gang – sozusagen der Nukleus des Tanzes – erst möglich wird. In Zhangs Choreographie stellt sich die Wirbelsäule tatsächlich wie eine Leiter dar, die noch oben strebt. Die fünf Körper richten sich denn auch im Laufe der Performance zu voller Größe auf. Im Begleittext zur Produktion erklärt Chun Zhang, „das Stück feiert die animalische, menschliche, göttliche Schönheit des Rückens der Frauen.“

Whirling Ladder upright_Yibu Dance© Foto-Ursula-Kaufmann

Whirling Ladder upright_Yibu Dance© Foto-Ursula-Kaufmann

So ist die Nacktheit ein zentrales Thema der Choreographie, die elegant die Formen von Kopf, Nacken, Schulter, Taille und Hüfte einsetzt und das Spiel der Rückenmuskulatur zu einer anatomischen Sinfonie erhebt. Erotik als Spiel von Entblößung und Bedeckung zelebriert Chun Zhang mit perfekt abgestimmter Diskretion. Sie versteht es, ihre jungen Akteurinnen zu schützen. Gerade dieses Fingerspitzengefühl, mit dem sie die Blicke lenkt, desavouiert den warnenden Hinweis im Programmheft des Festivals tanz nrw, der ankündigt, dass in dieser Produktion mit Nacktheit zu rechnen sei. Offenbar bestand hier die Befürchtung, die Kunst könnte dem Publikum Erfahrungen bescheren, die uns möglicherweise aus liebgewonnenen Gewissheiten aufschrecken. Chun Zhang spielt hingegen reflektiert mit der Neugierde, aus der sich der Voyeurismus als essenziellem Element der darstellenden Kunst speist, und befriedigt ihn dennoch nicht. So hält sie die Spannung in einer Choreographie, die mit der Schönheit des Körpers von der Erschaffung der Welt erzählt. Das gelingt ihr ohne romantische Verklärung, indem sie allein aus Potenzialen des Körpers schöpft, die die Tanzkunst noch gar nicht für sich entdeckt hat. Darin allein schon liegt eine großartige Innovationskraft, die den erwartungsvollen Blick auf zukünftige Produktionen von Yibu Dance richtet.

Whirling Ladder upright_Yibu Dance© Foto-Ursula-Kaufmann

Whirling Ladder upright_Yibu Dance© Foto-Ursula-Kaufmann