JÜRGEN SAUERLAND-FREER

30 JAHRE TANZ IN DER FABRIK HEEDER

Heute beginnt das Festival „FIRST and FURTHER STEPS“…

…zum ersten Mal ohne Jürgen Sauerland-Freer, der mit uns im Gespräch auf dreissig Jahre Tanz in der Krefelder Fabrik Heeder  zurückblickt

Mit der freundlichen Erlaubnis des Autors wiederveröffentlichen wir einen Artikel von Jürgen Sauerland-Freer, der in HEIMAT 2007 erschienen ist.

Hier der erste Abschnitt:

Révoltade1 – ein Streifzug durch den zeitgenössischen Tanz in der Fabrik Heeder

I. Früher Beginn /Aufbruch

Die Fabrik Heeder wurde am letzten Aprilwochenende des Jahres 1989 offiziell eröffnet.

Nicht zufällig stand damals am Samstag, dem 29. April, um 20.30 Uhr das Tango-Musical „Como un Tango“ auf dem Programm, das der damalige Kulturamtsleiter Helmut Kauert in das Festprogramm aufgenommen hatte. Damit sollte der mit dem Krefelder Heinrich Band, dem Erfinder des Bandoneons, gegebenen historischen Verbindung Krefelds mit dem südamerikanischen Tango die nötige Reverenz erwiesen werden. „Tänzerisch und spielerisch schlägt der Tango eine Brücke aus der Vergangenheit in die Gegenwart und sprengt schließlich mit der Choreographie ‚Libertango‘ von Gisela Graef-Marino den Bannkreis der bloßen Tango-Nostalgie“, so die damalige Presseankündigung. Nein, das war kein zeitgenössischer Tanz, aber Tanz an sich hatte sich so schon ganz zu Beginn die Studiobühne in der Fabrik Heeder zumindest ein winziges Stück antizipatorisch erobert. In den Folgemonaten war es dann meine Aufgabe, für die Fabrik Heeder ein Programm und damit für das neue städtische Kulturzentrum langfristig ein eigenes Profil zu entwikkeln. Keine leichte Aufgabe, war doch das Krefelder Kulturangebot auch schon zu dieser Zeit sehr differenziert. Dubletten wollten verhindert sein. Der zeitgenössische Tanz der freien professionellen Szene allerdings hatte in Krefeld noch keinen Ort gefunden. Die mir persönlich bekannte Angela Haardt, damals noch Fachbereichsleiterin für Kulturelle Bildung an der VHS Duisburg und später dann von 1990 bis 1997 Leiterin der Kurzfilmtage Oberhausen, war mir eine wertvolle Beraterin, um erste Kontakte in die Tanzszene zu knüpfen. Dass sie eben auch eine ausgewiesene Expertin für den Tanz war, das wusste ich aus unseren früheren Begegnungen. Mit der Produktion „Die Klavierspielerin“ nach Elfriede Jelinek präsentierte die Wuppertaler Compagnie mind the gap am 11. Oktober 1989 erstmalig zeitgenössischen Tanz in der Fabrik Heeder. Das Publikum, das gleichermaßen mit Begeisterung und einer gewissen Verstörung auf die tänzerisch eigenwillige und sperrige Interpretation des Romans reagierte, gab jedoch mit seiner Reaktion insgesamt immerhin den notwendigen Mut, diese Sparte weiter auszubauen. Das Tanztheater Hamburg bot zwei Monate später mit „Augenblicke zwischen den Wirklichkeiten“ hierzu Gelegenheit, nutzte in der Studiobühne den kompletten Bühnenraum zwischen den Säulen, das Publikum ringsherum angeordnet, und hatte damit erstmalig die Situation der Guckkastenbühne aufgebrochen. Zeitgenössischer Tanz war noch relativ neu und „in“, im Licht von Pina Bausch war Raum und Interesse für diese Kunstform entstanden. Nordrhein-Westfalen in seiner Entwicklung zum „Tanzland“ war zu dieser Zeit schon mächtig auf seinem Weg dorthin vorangeschritten. Noch gab es zwar nicht die spätere intensive Dichte an Tanzschaffenden und Tanzproduktionen im Bereich der freien professionellen Szene, doch diese Tendenz wurde ebenso schon deutlich spürbar. So war es ein Glücksfall, dass sich die Möglichkeit eröffnete, mit der Fabrik Heeder am „4. Internationalen Tanzfestival NRW“ teilzunehmen, das unter dem Titel „Aufbrüche“ in insgesamt 19 (!) Städten vom 9. September bis 4. Oktober 1990 unter der künstlerischen Leitung von Jochen Schmidt stattfand. Mit dem Teatro del Cuerpo mit „La Folia“ aus Mexiko City, mit Ivan Angelus mit „The last Solo“ aus Ungarn sowie Rotraud de Neve und Heidrun Vielhauer aus Deutschland mit „Cornelia“, machte die Fabrik Heeder als Tanzspielort erstmalig über.rtlich auf sich aufmerksam.

Nicht eins sein_MIRA6_89°_ Fabrik Heeder Krefeld_First and Further Steps_@TANZweb.org

Nicht eins sein_MIRA6_89°_ Fabrik Heeder Krefeld_First and Further Steps_@TANZweb.org

Es mag nicht ganz wegzudiskutieren sein, dass zu dieser Zeit die technische Ausstattung, vor allem aber das eingesetzte technische (Hilfs-)Personal der Fabrik Heeder trotz persönlich eingebrachten Engagements noch – salopp ausgedrückt – etwas hausbacken war. Improvisation war Tagesgeschäft und die durchaus anspruchsvollen technischen Bühnenpläne der Compagnien sorgten für mancherlei Kopfzerbrechen, das nur durch umso höheren Einsatz wett zu machen war. So geriet auch ich in die glücklicherweise nur einmalige Situation, selbst das „Licht“ zu machen für die Tanzimprovisation „Kami No Mai – Tanz der Götter“ von Tadashi Endo, der in der thematischen Reihe „Schlagfertig – Aus der Welt der Trommel“ auftrat. In dieser frühen Phase gab es für das Publikum auch die erste Begegnung mit Christine Brunel aus Essen mit ihrer strengen und reduzierten Choreographie „Das Erbe der Tiamat“ im April 1991 auf der Heeder-Bühne.

Bereits wenige Monate später war Christine Brunel wieder zu Gast, dieses Mal mit „Stille Faust“, denn diese Produktion gehörte neben „Vertont – Vertanzt“ von Anna Pocher und Liana del Degan aus Bochum sowie der Düsseldorferin Birgit Widowski mit „IO“ zu den ausgewählten Produktionen, die das vom NRW-Kultursekretariat in Wuppertal ausgerichtete landesweite Festival „Meeting Neuer Tanz NRW“ präsentierte. Hierzu zählte ebenfalls Mark Sieczkareks „Wohl ist sie schön, die Welt“ – mit auf der Bühne: der langjährige Pina Bausch-Dramaturg Raimund Hoghe.

Mit „Moderne Zeiten – Kunst und Kultur in der Weimarer Republik“ setzte die Fabrik Heeder die mit „Schlagfertig“ begonnenen thematischen und dabei spartenübergreifenden Reihen fort. Aus dem Bereich Tanz konnten zwei der Tanzgeschichte verpflichtete Produktionen gezeigt werden: das Kölner Padilla Tanzensemble mit „Zeitspanne – Elementarer Tanz nach Maja Lex“ und die Amsterdamer V van Laban Dans Compagnie mit „Ein ewiger Kreis“ – eine Rekonstruktion von und nach Choreographien aus der Anfangszeit des expressionistischen Tanzes. Das „NRW. Japan-Jahr ’93“ bot die Möglichkeit, dem japanischen Butoh-Tanz in seiner aktuellen Ausprägung in der Fabrik Heeder ein Forum zu bieten. Mit Tadashi Endo, der Mamu-Dance-Compagnie und dem Wuppertaler Choreographen und Tänzer Mitsuru Sasaki waren exponierte Künstler dieses Genres vertreten.

Erneut beteiligte sich die Fabrik Heeder 1993 am „Meeting Neuer Tanz NRW“, das in diesem Jahr neben NRW-Produktionen ausgewählte britische Beiträge sowie – im Zuge der deutschen Wiedervereinigung – die Produktion „Die versteinerte Haut“ der Fabrik Potsdam zeigte. Erstmalig geriet die Studiobühne der Fabrik Heeder an die Grenze der von den britischen Compagnien beanspruchten Bühnengr..e, so dass „Make-Make“ und „Wanting to tell Stories“ der Siobhan Davies Dance Company sowie „Solo Configurations“ und „Romance with Footnotes“ der Jeyasingh Shobana Dance Company auf der Bühne des Stadttheaters präsentiert wurden. Diese Probleme gab es mit den ebenfalls aufwändigen Produktionen des Folkwang Tanzstudios Essen sowie dem Gemeinschaftsgastspiel des Tanzforums der Oper der Stadt Köln zusammen mit dem Gelsenkirchener Ballett Schindowski glücklicherweise nicht, so dass auch dieses „Meeting“ sein wesentliches künstlerisches Gesicht in der Fabrik Heeder zeigte. International ging es weiter. Allerdings konnte sich die Fabrik Heeder aus Kostengründen

nur mit Solo-Produktionen erneut am „Internationalen Tanzfestival“ beteiligen. „Von Isadora zu Pina. 100 Jahre Moderner Tanz“ lautete das wiederum von Jochen Schmidt künstlerisch verantwortete Programm dieses vom 27. Mai bis 23. Juni 1994 zum sechsten Mal stattgefundenen Festivals. Jocelyne Montpetit aus Kanada, Maria Cheng aus den USA und Rosa Romero aus Mexiko waren die Protagonistinnen, die globale Tanzatmosphäre auf die Heeder-Bühne brachten. Leider in dieser kompakten Weltläufigkeit zum allerletzten Mal, denn die Ansprüche für eine Beteiligung an den folgenden Internationalen Tanzfestivals zogen im Hinblick auf die erforderliche Mindestabnahme und Eigenbeteiligung derart an, dass das Kulturamt sich dieses finanziell nicht mehr leisten konnte. Ein erstes Kapitel exponierter Tanzpräsentation musste fortan zwangsweise geschlossen werden. Wie zum Trost war die Fabrik Heeder im September 1994 Uraufführungsort für die Produktion „Hurricane“ von Mark Sieczkarek. Erstmalig eine ambitionierte Tanzproduktion, die im „eigenen“ Haus herauskam! Vielleicht eine kleine, dennoch nicht ganz unwichtige Wegbereitung für den schottischen Choreographen, der zwei Jahre später mit dem Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen für junge Künstlerinnen und Künstler in der Gruppe „Theaterregisseure, Schauspieler, Sänger, Tänzer, Bühnenbildner“ ausgezeichnet wurde. Einzelgastspiele, Beteiligungen an Landesfestivals und eine erste Uraufführung. Der zeitgenössische Tanz und die Fabrik Heeder hatten sich in diesen knapp fünf Jahren gefunden. Die Besonderheit der Studiobühne mit ihrer unmittelbaren Nähe zwischen Publikum und Bühne, die den Kontakt zwischen Tanzenden und Publikum – namentlich der ersten Reihe – oftmals gar zu hautnah geraten ließen, schaffte eine besondere Sphäre, ließ eine ganz besondere Form der Authentizität des Kunsterlebens entstehen. Das spürte das Publikum, das spürten die Tänzerinnen und Tänzer. Zudem war die technische Bühnenausstattung Zug um Zug verbessert worden und das Know-How des Personals mittlerweile auf hohem Niveau. Die Fabrik Heeder konnte sich als Tanzspielstätte im Lande sehen lassen! Und der Faszination des Tanztheaters waren wir zwischenzeitlich alle erlegen: das interessierte (Stamm-)Publikum, die Technik, die Veranstalter.

Nicht eins sein_MIRA6_89°_ Fabrik Heeder Krefeld_First and Further Steps_@TANZweb.org

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