MOVE! Krefeld tanzt zeitgenössisch
Tanz kann spannend sein, wenn er zur Kunst wird…
RADICAL CHEERLEADING bildet den Abschluss der 22. Ausgabe des MOVE! Festivals in Krefeld
Hier mit unseren Videoimpressionen von Zufit Simon “Radical Cheerleading” in der Fabrik Heeder
von Klaus Dilger
Zufit Simons Protesttanz wirft viele Fragen auf, vermag aber als Ganzes betrachtet nicht zu überzeugen, trotz großer Vorschusslorbeeren und einer Nominierung für den „Choreografie-Faust“ in diesem Jahr. Warum ist das so, zumindest aus Sicht des Rezensenten?
Sport als Wettkampf kann faszinierend und spannend sein…
Jenseits der sich immer wieder ereignenden menschlich anrührenden Geschichten als gelegentliche Begleiterscheinungen, können die Regeln der sportlichen Wettkämpfe relativ simpel gefasst werden: „sport is war minus the shooting“, lautete einmal die Minimalformel, oder auch: es gibt Gewinner und Verlierer im sportlichen Höher, Schneller, Weiter, Mehr und immer gegeneinander. Es sind stets oder oft Stellvertreter-Auseinandersetzungen, bei denen diejenigen, die nicht aktiv teilnehmen, sich mit Sportler_innen oder Mannschaften mehr oder minder stark identifizieren können (und sollen). Im Live-Modus gewünscht in Form von Anfeuerung-Bekundungen, den „cheers“.
Meist junge Frauen in knappen Kostümen wurden und werden im American Football und im Basketball eingesetzt, um diese „cheers“ zu organisieren und um das Publikum hierfür einzupeitschen. Längst schon ist diese Welle, die mittlerweile sogar eine Sportart geworden ist, nach Europa übergeschwappt, auch wenn diese ebenso wenig von Heute zu sein scheint, wie das Frauen- und Geschlechter-Bild, das sie vermittelt.
Fast Folgerichtig entwickelten zunächst die Jennings-Schwestern in den USA in den Neunzigerjahren, aus den Konventionen dieses unzeitgemäßen Sports, eine feministische Ableitung, das “radical cheerleading” als Protest in Form eines analytischen Spiegelbildes aus der Umwandlung dessen frauenfeindlicher Bestandteile.
Zufit Simon verfolgt in ihrer, zum Stück gewordenen, Recherche „radical cheerleading“ einen ähnlichen Ansatz. Aus dem Anfeuern des Publikums für die Unterstützung einer fiktiven Mannschaft, das irgendwann absehbar zum automatisierten „mitwippen“ der Fußspitzen führt, allein schon wegen der simplen beats und ebensolchen moves, entwickeln sich durch De- und Rekonstruktion neue Inhalte, – die Einpeitschenden werden zum Subjekt, ihr nun politisches Anliegen zur eigentlichen Sache…
We cheer. We lead. We know there is a need. – We cheer. We lead. We know there is a need. – Let’s do it. –
Die technische Unterstützung durch Sound und Licht ist handwerklich gut gemacht und tut ihre Wirkung. Selbst der absehbare theatralische Bruch (auch wenn er viel zu spät kommt), gehört zum Repertoire eines jeden Tanztheater-Workshops, wenn dann die Performer_innen ihre „Masken fallen lassen“ und auch dem Voyeurismus, dem ständigen Begleiter des klassischen Cheerleadings, den Spiegel vorhalten. Das tun sie zunächst, indem sie abrupt von rhythmisierenden beats und Schrittfolgen in langsam ausgeführte Bewegungen gleiten. Hierzu tragen sie verschiedene Tiermasken zu shorts und freiem Oberkörper. Aus den zwölf Beleuchtungsstäben des Hintergrunds treten sie heraus, als hätte sich der bisher unbemerkte Käfig geöffnet, in dem sie dann wieder verschwinden, um kurz darauf ohne Masken aber mit entblößten Unterkörpern und ausgerüstet mit ihren Cheerleder-Requisiten wieder herauszutreten.
Sollte das noch den Spiegel vorhalten? Sollte das provozieren? Wollte das „radikal“ sein? Oder einfach nur dem Publikum zeigen, wir sehen aus wie Ihr und nicht wie Tänzer_innen? Oder sollte dies einfach nur die Fallhöhe bestimmen für die schönste Szene des Abends, wenn Cary Shiu in einem Solo die cheer-pumps vom Boden einsammelt und mit ihnen tanzt?
An dieser Stelle hätte die Recherche gerne und stimmig enden können, um in der Phantasie des Publikums eventuell weiter zu klingen.
Stattdessen treten die anderen Performer_innen nach und nach auf, klatschen und drohen:
„Because there is a need. – We resist! We resist! We won’t stop. – We cheer. -usw. – „we will not stop!“
Auch wenn sich die in Folge wiederholten Cheerleading-Muster insofern verändert haben, dass sie persönlicher, vielleicht wütender und dringlicher, geworden sind, auch wenn es noch den einen oder anderen interessanten Einfall gab,… manchmal kann eine Schraube auch so weit gedreht werden, dass sie nicht mehr fest sitzt oder bricht. Oder in einer Theaterperformance: dass es dem Publikum nach und nach langweilig wird.
Dieser Punkt wird zuverlässig erreicht, wenn aus dem Überraschenden, Unvorhersehbaren, längst und wiederholt das Vorhersehbare wird.
„Zufit Simon präsentiert eine Arbeit, die sich mit Tanz als Widerstand beschäftigt“, so das Programmheft.
Eine klare Ankündigung also, dass sich der Tanz mit sich selbst beschäftigt und dass es sich bei dem Gezeigten um die Arbeitsergebnisse einer Recherche handelt. Gegenstand derselben: wie die Ausübung der zur Sportart gewordenen Form des „Cheerleading“ zu einer politischen Aktion oder gar Protestform werden kann und diese wiederum zu einem Tanzstück.
Angesichts einer zweimaligen Recherche-Förderung in Corona-Zeiten erscheint eine solche Beschäftigung mit diesem Thema sogar lohnend, vielleicht sogar berechtigt. Irritierend oder andere Erwartungen erzeugend war allenfalls der Hinweis, dass Zufit Simon mit dieser Präsentation für den „Choreografie-Faust“ nominiert wurde.
Wie Tanz wirkt, wenn er zur Kunst wird…
…davon konnte sich jeder bei dem grossartigen Gastspiel des Hessischen Staatsballetts anderntags in Köln überzeugen, das Ohad Naharins „Last Work“ aufführte. Aber…