SOLOABEND ZU ZWEIT
Premiere der aktuellen Tanzperformance des NRWs Erfolgskollektiv
HARTMANNMUELLER im Ringlokschuppen Ruhr in Mülheim
Nachtkritik von Laura Brechmann
Zwei Würmer teilen sich eine Bühne. Sie haben sich ihren Weg durch Schlamm und Dreck des Weltgeschehens gebahnt, um mit uns über die ganz großen Themen zu sprechen. Sie häuten sich vor unseren Augen und offenbaren die Schichten ihres labilen Grenzzustands. Sie haben auf dem ersten Blick nichts gemeinsam, dieser groteske Wurm im pinken Latex und der menschenähnliche Durchschnittswurm, der schwer an seinem geringen Selbstwertgefühl zu tragen hat. Ihre Soli folgen einander und stehen nur in loser Verbindung. Es scheint, als handle es sich nicht um die aktuelle Tanzperformance des NRWs Erfolgskollektiv HARTMANNMUELLER, sondern um ein Performance-Showcase, bei dem sich die Teilnehmer lediglich, die kreative Leistung schätzend, anerkennend zunicken. HARTMANN und MUELLER widmen sich in „Soloabend“ dem Anderssein und fragen nach den Grenzen des gesellschaftlich Akzeptierten. Anstatt sich jedoch kollektiv abzuarbeiten, werden zwei völlig verschiedene Gestalten kreiert, die die darstellerischen Stärken des je Einzelnen besonders hervortreten lassen.
So tritt MUELLER als grotesker Material-Fetischist auf. Seine quietschenden, an Tentakeln und erschlaffte Kondome erinnernde Kostüme leuchten grell im fluoreszierenden Licht und ermöglichen die Transformation von einer Gestalt in die nächste. Doch nie ist es eindeutig, wer er ist. Und ob er überhaupt ein „er“ ist, oder nicht viel eher ein „es“, ein Wurm wie er sagt, im Zwischen. „Ich liebe alles was dazwischen liegt“, ruft Mueller mit aufgerissenen Augen und grotesk verzerrten Mund aus. In seinem Solo ist er Clown, Narr, piepsende und rasselnde Kreatur, rhythmischer Sporttuner. Er wechselt die Rollen im energetischen Tempo. Seine Performance ist grell, erotisierend, schizophren. Mueller thematisiert die Grenzen, in dem er sie verwischt. Der Wurm als Erzähler, der das Bild einer Welt als postapokalyptischen Landschaft entwirft, ist der fremdartige Clou von Mueller’s Solo, doch als Element so typisch für Inszenierungen von HARTMANNMUELLER, die Popkultur, Film, Absurdität auch in vorherigen Produktionen gekonnt miteinander verquicken. Doch in „Soloabend“ folgt der Bruch und das irritiert, zumindest für einen kurzen Moment. HARTMANN’s Performance unterscheidet sich elementar. Die Performance ist nüchtern, der Sprechgestus lapidar und die musikalischen Einlagen am improvisierten Soundboard von komischer Absurdität. Hartmanns Performance zeigt einen durchschnittlichen Mensch, der zwar die ganz großen Themen diskutieren möchte, dann jedoch nicht aufhören kann über sich und seine Lasten, seinen Problemen, seinen Zwängen zu reden bis er sich am Ende in leeren Motivationsphrasen steigert und so alle Selbstzweifel zu zerschlagen hofft. Hartmanns Solo löst die Stimmung im Publikum, da er die unbeholfene Performance-Haltung bis zum Verklingen des letzten schiefen Keyboard-Tons durchzieht. Über die Absurdität der gesamten Situation, die vor allem dadurch wirkt, weil man sich in ihr wiedererkennen kann, wird frei gelacht.
Trotz aller Unterschiede zeigt sich im Nacheinander der beiden Soli, dass „Soloabend“ eine gemeinsame Tanzperformance ist – auch wenn „Tanz“ in diesem Fall sehr weit gefasst werden sollte und das darstellerische Spiel durchaus überwiegt. Beide Soli widmen sich dem gleichen Thema und betrachten, umkreisen, hinterfragen es aus unterschiedlichen Perspektiven. Gerade in der Trennung der Performances treten die Verbindungen im fluoreszierenden Zwischen deutlicher hervor und geben Raum für eigene Gedanken, Antworten und Zusammenhänge.