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Videoimpressionen der Wiederaufnahme von “Wiesenland” beim Tanztheater Wuppertal Pina Bausch

Videoimpressionen “WIESENLAND” in Wuppertal

Im Rahmen des Gedenkjahres zum zehnten Todestag von Pina Bausch wurde das eher selten gezeigte, zur Jahrtausendwende entstandene Stück im fulminanten Bühnenbild von Peter Pabst vom Wuppertaler Publikum und den zahlreich anwesenden internationalen Gästen gefeiert

Momente, im Tanz konserviert

Nachtkritik von Laura Brechmann

Viel ist geschrieben, viel ist gesagt worden über die Stücke von Pina Bausch. Auch dass „Wiesenland“ (2000), dem sich das Tanztheater Wuppertal in der Spielzeit 19/20 widmet, ein eher unbekannteres und schwächeres Stück aus ihrem umfangreichen Repertoire ist. Im Vergleich zu „Palermo, Palermo“, „Vollmond“ oder „Viktor“, um nur einige zu nennen, fehlt diesem Abend die Bausch-typische emotionale Dichte, durch die das Publikum oft gar nicht weiß, wie ihm geschieht; wohin es geht, mit all diesen Gefühlen und sich aufgestaute Emotionen im spontanen Applaus oder in stillen Tränen entladen müssen.

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WIESENLAND_Pina-Bausch_Ensemble©TANZweb.org_Klaus-Dilger

„Wiesenland“ schaut man verhaltener. Das Stück erfreut und insbesondere die tänzerisch hervorragend interpretierten Soli begeistern. Aber die Aneinanderreihung von Szenen, das LP-mäßige Abspielen der Lieder und vor allem der schwächelnde zweite Teil, verhindern, dass der Abend einen vollkommen mitreißt. Doch dies, und das macht den Stil von Pina Bausch auch zehn Jahre nach ihrem Tod herausragend, kann nur auf hohem Niveau kritisiert werden. Denn auch in „Wiesenland“ finden sich die leidenschaftlichen und traurigen Momente, die aufgrund ihrer Ehrlichkeit im Menschen resonieren.

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WIESENLAND_Pina-Bausch_Julie-Anne Stanzak, Ruth Amarante, Héléna Pikon©TANZweb.org_Klaus-Dilger

„Wiesenland“ ist während einer Recherchereise durch Ungarn im Rahmen einer Co-Produktion mit dem Théâtre de la Ville Paris und dem Goethe-Institut Budapest entstanden. Es reiht sich damit in Bauschs „Länder“-Stücke ein. Bausch und ihr Ensemble, so stelle ich es mir vor, lassen sich durch Straßen, Jazzclubs und Cafés der Donaustadt Budapest treiben. Sie suchen nach Rhythmen, Situationen und Bewegungen, so absurd die Begegnungen auch sein mögen. Ich denke dabei an Hühner, die zuerst auf Ungarns Straßen und später zu Jazzmusik auf der Bühne pickten; oder an die stille Café-Szene, in der der Kellner in sich versunken neben einem gedeckten Tisch sitzt und auf Kundschaft wartet. Die Vielzahl der Eindrücke finden sich kumuliert in den Choreografien der Tänzer und Tänzerinnen, von denen einige bereits in der Premiere tanzten. Insbesondere das Leben und die Kultur der Sinti und Roma haben Bausch merklich bewegt. Anklänge und Einflüsse des Lauten, Geselligen und Derben ziehen sich leitmotivisch durch die sehr spielerische Choreografie. Es wird getrunken und geraucht; gespeist und gefeiert und immer wieder gebadet, im Privaten wie öffentlich auf der Straße. Aber vor allem wird leidenschaftlich geliebt, in den Armen des Partners versunken, betastet, angesprungen, verführt. Passion und Offenherzigkeit, ohne je „billig“ zu sein, dominiert die Choreografie. Körper suchen, finden und reiben sich; die Negligés rutschen. Doch eher wird nochmal am Stoff gezerrt, die Entblößung angedeutet, als dass ein Zeigen von „zu viel“ Haut vermieden wird. Dann immer wieder ein plötzlicher Sprint, ein leidenschaftliches sich nach hinten werfen, um von starken Armen in die Höhe gehoben zu werden. Die Tänzer und Tänzerinnen zeigen ihre Verletzlichkeit, ihre Emotionalität und ihre Leidenschaft für Leben, Liebe, Tanz.

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WIESENLAND_Pina-Bausch_Michael Strecker, Azusa Seyama, Michael Carter©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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WIESENLAND_Pina-Bausch_Aida Vainieri, Julie Shanahan, Nayoung Kim, Julie-Anne Stanzak©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Die Dramaturgie ist wellenförmig. Traurigkeit folgt der Lebensfreude, heitere Stunden den Momenten des Stillen. Der Stoff der eleganten Abendroben der Tänzerinnen wird dabei zum Tanzpartner und, wie die langen Haare, wunderbar verletzlich in den Tanz eingeflochten. Sie versinken, winden sich in die Materialität, verdecken sich und ihre Gefühle. „Everything of me is yours“ heißt es in einem der Lieder. Das, was einem bleibt, ist nur die Angst vor dem Verlassen werden. In „Wiesenland“ sind es innere Kämpfe, die die Bewegungssprache prägen. Ausgedrückt durch vorgesenkte Köpfe, einem Ziehen und Reißen am Körper und abrupte Bewegungen. So schleppt sich auch Héléna Pikon gebeugt, mit gesenktem Kopf und den Haaren vor dem Gesicht über die Bühne. Sie kehrt die, einen zerfressende, Einsamkeit nach außen. Aber neben Fragilität und Verletzlichkeit sind auch Willensstärke und Kraft zu erkennen. In den komplexen Bewegungsabläufen sind die verschiedensten Tanzstile miteinander verflochten. Im Solo des virtuos tanzenden Douglas Letheren mischen sich zum Beispiel Breakdance-Elemente mit den fließenden Bewegungen des modernen Tanzes, gefolgt von Daphnis Kokkinos, langjähriger Tänzer in den Choreografien Pina Bauschs, dessen tänzerische Antwort, ganz im Stile eines Hip-Hop-Battles (!), sich doch eher als (unfreiwillige?) komische Nummer entwickelt. Dennoch: Nie werden die Elemente ausgestellt oder zur Gänze „vollführt“, sondern im Verflechten liegt die Kraft von Bauschs Choreografien.

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WIESENLAND_Pina-Bausch_Fernando Suels Mendoza©TANZweb.org_Klaus-Dilger

In der Vergangenheit wurde immer wieder das Bild von Feen bemüht, die anmutig über die gigantische Moosfläche (zeitlos beeindruckendes Bühnenbild: Peter Pabst) tänzeln. Doch auch wenn die sonnigen Tage im „Wiesenland“ erwähnt und die femininen Abendkleider Grazie vermitteln, so löst sich der Vergleich für mich nicht auf. Es verweist zu stark auf slawische Volksromantik und lässt sich mit der Inszenierung, die das Klischee eindeutig verweigert, nicht vereinbaren. Die Assoziation mit gefallenen Engeln, deren Anmut sich im realen Leben hinter dem schwierigen Alltag versteckt, drängt sich eher auf. Eine im Zigarettennebel versunkene Anmut, die der sensitive Blick Pina Bauschs in den Frauen auf den Straßen Ungarns zu entdecken vermochte.

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WIESENLAND_Pina-Bausch_Jonathan Frederickson, Ruth Amarante©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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WIESENLAND_Pina-Bausch_Ensemble©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Der Abend ist weit davon entfernt ein im Tanz manifestiertes Klischee zu sein – und das erfreut. Die Musik reicht von Götz Alsmann, Jose Afonso bis zum Elektrotwist. Anstatt von slawischen Musiken, sind die musikalischen Einflüsse von italienischen Balladen und Jazzkompositionen geprägt. Und bis auf ein paar wenige flüchtige Momente innerhalb der Choreografie sucht man auch Volkstänze (zum Glück!) vergeblich. Anstatt dass Vorannahmen und Klischees konserviert und reproduziert werden, sind auf der Ungarn-Reise vielschichtige Assemblage-Choreografien entstanden, die aus Emotionen, situativen Momenten und sozialen Konstellationen bestehen. Diese auf eigene Weise und vor dem Hintergrund des eigenen Lebens tänzerisch (neu) zu interpretieren, ist die Leistung dieses Tanzensembles. Es ist auch ihnen zu verdanken, dass die Arbeit Pina Bauschs auch in „schwächeren“ Stücken unvergesslich bleibt.

WIESENLAND_Pina-Bausch©TANZweb.org_Klaus-Dilger

WIESENLAND_Pina-Bausch_Ensemble im Vordergrung Douglas Letheren©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Von |2019-11-20T23:56:37+01:0020. November, 2019|

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