schrit_tmacher justDANCE! 2023 in Kerkrade

Stotternde Körper

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten – In Kerkrade zeigt Naishi Wang gemeinsam mit Lukas Malkowski, wie komplex und ambivalent Kommunikation ist, wo ihre Ränder liegen und was eigentlich passiert, wenn wir nicht kommunizieren. Dabei zeigen sie die bekannte Prämisse auf, dass das so gar nicht geht.

Von Rico Stehfest

Jedem Geistes- und Kommunikationswissenschaftler ist der Name Paul Watzlawik ein Begriff. Dessen Axiome der Kommunikationstheorie beinhalten die Erkenntnis, dass es uns Menschen unmöglich ist, nicht zu kommunizieren. Man darf annehmen, auch der in Kanada lebende Choreograf und Performer Naishi Wang hat darauf schon mal einen kurzen Blick geworfen, oder einen langen. Was er gemeinsam mit Lukas Malkowski auf der Bühne des Kerkrader Theaters im Rahmen des schrit_tmacher-Festivals mit seiner Arbeit „Face to Face“ gezeigt hat, ist aber bei weitem kein Grundlagenseminar.

Vielmehr beginnt er gleich mit einer Spiegelfunktion und macht Kommunikation somit im Prinzip sichtbar. Die Rückwand der Bühne zeigt eine Video-Projektion, durch die das Publikum sozusagen sich selbst wahrnimmt. Der Blick fällt in die Zuschauerränge, die Plätze sind allerdings leer, nur zwei von ihnen sind belegt, natürlich von den beiden Performern. Sie schauen ins Publikum, schauen uns aber eben nicht tatsächlich an. Denn Fakt ist: Sie sind nicht da. Das ist für dieses Stück alles andere eine Belanglosigkeit. „Face to Face“ bedeutet eben den Blick, stellvertretend für alle Sinne, bedeutet Zugewandtheit im Sinn der Anwesenheit, wenn wir kommunizieren wollen.

Naishi Wang FACE TO FACE©TANZweb.org_Klaus Dilger

Naishi Wang FACE TO FACE©TANZweb.org_Klaus Dilger

Diese Zugewandtheit demonstrieren beide augenblicklich und beginnen mit einer schlichten, innigen Umarmung. Man könnte fast sagen: Besser geht’s kaum. „Dank“ Corona wissen wir diese Geste in ihrer Wirkung mittlerweile mehr als nur zu schätzen. Was folgt, ist eine Vereinzelung der beiden, die sich ganz langsam vollzieht. Millimeter für Millimeter entfernen sich ihre Körper voneinander. Es dauert, bis sichtbar wird, dass beide ihre Augen geschlossen halten. Vereinzelte, befremdliche Sounds führen die beiden in eine exaltierte Performance, die rückwärts abzulaufen scheint. Ihre Körper krümmen und winden sich; die Mimik wirkt immer wieder grotesk überspannt. Emojis sind es hier unter anderem, die als Inspiration gedient haben. Diese Gefühlsregungen massiv vereinfachenden Bildchen sind stellvertretend geworden für ein System des Austauschs, das sich eigentlich auf so winzige Icons auf einem Bildschirm ganz und gar nicht reduzieren lässt. Dann wieder eine Umarmung, dieses mal schnell gelöst. Wenn beide ohne sichtbaren Bezug zueinander performen, kommunizieren sie dann (nicht) miteinander?

Naishi Wang FACE TO FACE©TANZweb.org_Klaus Dilger

Naishi Wang FACE TO FACE©TANZweb.org_Klaus Dilger

Naishi Wang entwickelt wie zum Test vereinzelte Laute mit dem Mund, baut sie aus zu Rhythmus. Sein Gegenüber greift in diesen Rhythmus, greift ihn auf und ergänzt ihn durch Bodypercussion. Und alles mündet in Tanz, in gemeinsamen. Da ist sie also, die Verbindung miteinander, eine deutlich wahrnehmbare Einheit zweier Individuen. Und das ohne erkennbare Sinneinheiten. So sieht wohl die erfolgreiche Umsetzung des Sender-Empfänger-Modells aus. Willkommen im Zentrum für Kommunikation!

Zentral allerdings erscheint immer noch und immer wieder, der Titel verweist darauf, unser Gesicht. Nicht nur, dass unsere Mimik hochkomplex und universal, also kulturübergreifend verstanden werden kann. Bekanntlich verfügen wir am Kopf über die meisten Sinnesorgane. Und ohne die sieht es düster aus mit der Kommunikation. Das sagt schon der Begriff „Barrierefreiheit“.

Fällt es also aus, das Gesicht, wird es schwierig. Wir kennen das vom Telefonieren. Deshalb verbergen die beiden Performer auch immer wieder ihre Gesichter, tanzen dem Publikum abgewandt, weggedreht. Ein Arm vor dem Gesicht löscht es quasi aus. Unsere Sinne sind verletzbar. Wir müssen sie schützen. Beim Weinen schlagen wir intuitiv die Hände vor das Gesicht. Trotzdem kommuniziert damit auch der Mensch auf der Bühne.

Naishi Wang FACE TO FACE©TANZweb.org_Klaus Dilger

Naishi Wang FACE TO FACE©TANZweb.org_Klaus Dilger

Wann aber bricht diese Verbindung weg? Auch das zeigen Naishi Wang und Lukas Malkowski. Eine erneute Video-Projektion, dieses Mal ist die leere Bühne mit dem weißen Tanzboden gedoppelt. Nachdem Wang die Bühne verlassen hat, erscheint er in der Projektion. Er beginnt eine Performance, die Malkowski aufzugreifen versucht. Dabei stimmt dieser entspannt Rick Astley an: „Never gonna give you up / Never gonna let you down / Never gonna run around and desert you.“ Was an dieser Stelle offenbar fehlt, ist der Konsens, denn Wang ist schon längst von der Bühne respektive aus dem Video verschwunden. Da hilft auch kein Rufen.

Im Verlauf des Abends erstarren beide auch immer wieder mitten in ihren Bewegungen und verharren lange reglos. Das wirft die Frage auf, inwiefern sie damit aufhören, sich mitzuteilen. Kann man zu transportierende Inhalte anhalten? Diese spielerische Reflexion ist für den Tanz als Mittel der Kommunikation grundlegend. Und auch hier gilt, dass, wenn überhaupt, Kommunikation allerbestens für einen Moment glücken kann. Und das kann man sich wünschen. Erzwingen lässt es sich aber nicht. Versuch macht klug. Es lohnt sich bekanntlich. Und danach kann man ja wieder getrennte Wege gehen. So wie Wang und Malkowski es am Ende tun.

Naishi Wang FACE TO FACE©TANZweb.org_Klaus Dilger

Naishi Wang FACE TO FACE©TANZweb.org_Klaus Dilger