schrit_tmacher justdance! Festival 2024

Aqua Alta – Ink Black

Adrien M & Claire B zeigen im Theater Kerkrade

Von Thomas Linden

Ein Mann und eine Frau. Stehen sie nebeneinander, gewinnt man den Eindruck, dass sie ein Paar sein könnten. Legt sie ihre Hand auf seine Schulter, kann diese Geste Zuneigung aber auch Besitzanspruch demonstrieren. Schüttelt er ihre Hand ab, scheint es zwischen den beiden offenbar zu kriseln. Mit jeder Bewegung öffnen sich neue Bedeutungen. Ein Lächeln oder eine Drehung lesen wir wie einen imaginären Text, um die Beziehung der beiden auszuloten.

Claire Bordainne und Adrien Mondot sind tatsächlich ein Paar und sie sehen auf den ersten Blick nicht wie ein durchtrainiertes Tanzduo aus. Sie trägt eine Art weites Jeanskleid, unter dem sich viel verstecken lässt und er hat trotz aller Gelenkigkeit vielleicht das ein oder andere Pfund auf den Hüften. Das macht die beiden aber umso glaubwürdiger als Paar. Gerade auch dann, wenn um Haushalt und Saubermachen gezankt wird. Die beiden arbeiten unter dem Label Adrien M & Claire B und haben ihr Produktionsstandort in Lyon. Ein Paar, hinter dem ein 30-köpfiges Team steht. Die meisten davon sind Techniker, aber auch Grafiker und Musiker gehören zur Firma. Produziert wird digitale Kunst, von der Bühnenshow über digitalisierte Erlebniswelten auf dem Headset, bis hin zum Pop-Up Bilderbuch. In Kerkrade hatten sie ihre Produktpalette schon im Laufe des Tages vor interessierten Besuchern entfaltet. Es sollte sich jedoch schnell zeigen das dieses schöne, intelligente Spiel mit den Gesten des Paarlebens, das sich zwischen Verliebtheit und Alltagsroutine seine besonderen Momente sucht, nur die Introduktion zur eigentlichen Show darstellt.

Aqua Alta – Ink Black©TANZweb.org_Klaus Dilger

Aqua Alta – Ink Black©TANZweb.org_Klaus Dilger

Denn die beiden agieren auf der Bühne wie in einem Kubus zwischen zwei Wänden. Transparent wie Gaze wirken diese Flächen, auf denen sich ein visuelles Computerspektakel abspielt. Das Paar entdeckt ein Loch in der Wand, durch das Wasser eindringt. Ist dieses Loch gestopft, entsteht ein neues und bald dringt das Wasser von allen Seiten in das Haus ein. Die Show trägt den Titel „Aqua Alta – Ink Black“ und bezieht sich auf das jeweils im Winter und Frühjahr eintretende Hochwasser in Venedig. Auch bei den beiden auf der Bühne steigt das Wasser unaufhörlich. Die schwarze Tinte bezeichnet hingegen die Grafik, die der Geschichte ihren besonderen Look gibt. Das Wasser wird von unzähligen kleinen, schwarzen Punkten symbolisiert. Bordainne und Mondot sind Meister der Abstraktion. In ihren Computergrafiken entwerfen sie abstrakte Fantasielandschaften, die mitunter auf ein Gefühl hin – wie etwa das Verliebtsein – generiert sind. Hier ist es das Spiel mit dem flüssigen Element, das in immer weiter ausgreifende Dimensionen getrieben wird. Wo zunächst nur ein Rinnsal existierte, steigt bald der Wasserspiegel bis zum Dach an. In Venedig kann man es sich eine solche Situation vorstellen: Das Haus versinkt im Meer. Während es dem Grund entgegen taumelt, wird die Bühne auf ganzer Breite von kleinen Punkten, wie wir sie aus einem Schneegestöber kennen, überflutet. Damit nicht genug, findet die Story unter den Meeresbewohnern ihre Fortsetzung. Die Hauptrolle übernimmt nun eine Qualle mit vielen weißen Tentakeln.

Klar, das ist beeindruckend. Allerdings fragt man sich schon bald: Und was könnt ihr noch? Mit Tanz hat das längst nichts mehr zu tun. Zunächst staunt man noch, wie präzise die Körperbewegungen der Darsteller mit dem Computerprogramm synchronisiert sind. Tatsächlich sprudeln keine Wasserkügelchen mehr aus dem Loch in der Wand, wenn Adrien es zuhält. Aber irgendwann übernimmt dann das losgelassene Programm die Regie. Animation regiert und die Geschichte vom Liebespaar ist vergessen. Wie träge wirken doch analoge Körper im Vergleich zu den in Hochgeschwindigkeit wechselnden Grafikelementen? Auf der Bühne siegen digitale Bilder immer über die Gegenwart menschlicher Körper. Die physiologischen Gesetze unserer Wahrnehmung wollen es nicht anders.

Claire B & Adrien M geben uns schon einmal einen Vorgeschmack auf eine Zukunft mit der KI, wenn die Bilder über die Körper gesiegt haben. Das werden möglicherweise langweilige Zeiten. Denn die Überbietung visueller Effekte führt zu einer Virtuosität, der nach anfänglichem Staunen die Essenz einer Erzählung fehlt, die ein wahres Anliegen besitzt. Vor allem fehlt ihr jenes unbeschreibliche Faszinosum, das Körper aus Fleisch und Blut bei all ihrer Schwere und Ungeschicklichkeit doch besitzen, ohne die es deshalb aber auch keine Erotik gibt. Es ist schon eine Erlösung, wenn gegen Ende – aber leider viel zu kurz – Claire Bordainne und Adrien Mondot wieder leibhaftig auf der Bühne erscheinen. Irgendwie sind sie selbst in diesem visuellen Overkill Opfer ihrer eigenen Computerkunst geworden. Aber ist das Kunst, oder handelt es sich nicht eher um Unterhaltung, die alles auf den visuell überwältigenden Effekt setzt? Das Publikum in Kerkrade zeigte sich jedenfalls begeistert.

Aqua Alta – Ink Black©TANZweb.org_Klaus Dilger

Aqua Alta – Ink Black©TANZweb.org_Klaus Dilger