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Rage against the dying of the light

Der letzte Abend des schrit_tmacher-Festivals in Heerlen demonstriert mit Dada Masilos „Sacrifice“ die kommunikative Kraft einer Gemeinschaft, aber auch deren Grenzen

von Rico Stehfest

Sie ist eine singuläre Erscheinung. Diese Frau ist ganz bei sich. Dada Masilo nimmt in der niederländischen Erstaufführung im Theater Heerlen die gesamte, offene Bühne für sich ein. Dieser Charakter, den sie mit expressiven Armbewegungen gibt, braucht niemanden neben sich. Diese Frau wird sich niemals selbst zum Opfer machen. 

Die aus Soweto stammende Choreografin, die hier auch die Titelrolle tanzt, nimmt sich „Le Sacre du Printemps“ für ihr „Sacrifice“ nur als Folie, Strawinsky ist hier noch weniger als eine Nebensache. Von Pina Bauschs „Rite of Spring“ habe sie sich inspirieren lassen, heißt es. Aber Geschlechterkonstruktion ist nicht das, worum es geht. Auch nicht, wie Masilo es selbst formuliert, dass sich eine Frau „einfach zu Tode tanzt“. Was also macht sie draus?

SACRIFICE_Dada-Masilo©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Intensive Verbindung zwischen Musikern und Tänzern

Neu für diese Arbeit ist das Einbinden dreier Live-Musiker und einer Sängerin. Mit Eigenkompositionen, die sich afrikanischer Wurzeln verbunden sehen, lebhaftester Improvisation inklusive, spielen sie neben dem insgesamt zehnköpfigen Tänzer-Ensemble allerdings alles andere als Randfiguren. Sie wirken wie verantwortlich für das Vorantreiben der zügellosen, äußerst lebendigen Dramaturgie. Die Tänzerinnen und Tänzer suchen immer wieder offen den Blick der Musiker, wechseln Worte mit ihnen, wenn sie zwischendurch um ein langsameres Stück bitten, um mal kurz durchatmen zu können. Genau das ist keine Illusionsbrechung, sondern betont stattdessen den intrinsischen Charakter dieser Community. Das ist der Kern. Das Miteinander in der Gruppe, mit der vor Kraft strotzenden einzelnen Frau in deren Mitte und an deren Spitze, als Epizentrum und Leitstern.

SACRIFICE_Dada-Masilo©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Dieses Miteinander zeigt sich nicht in eventueller Präzision von Bewegungsabfolgen oder strenger Synchronizität. Es ist die Unbedingtheit des Ausdrucks, der innere Druck, der für all das steht, das vor dem Tod kommt, kommen muss, will ein Leben nicht ungelebt bleiben. Diese unausweichliche Veräußerung des Ichs reinigt die Seele. Konsequenterweise baut Dada Masilo mit ihren ausgezeichneten Tänzerinnen und Tänzern keine Bilder, die auf optische Wirkung abzielen. Die Wirkung dieser Arbeit ist nicht sichtbar. Sie kann nur empfunden werden.

SACRIFICE_Dada-Masilo©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Unvermeidbares Ende

So stark das Individuum auch in der Gemeinschaft aufgeht, die Sache mit dem Opfer bleibt unausweichlich. Offensichtlich wie folgerichtig ist, dass sich diese Auserkorene nicht wie ein Schaf den Gegebenheiten unterwirft. Um mit dem walisischen Dichter Dylan Thomas zu sprechen, wütet sie nach dem Motto „Do not go gentle into that good night / Rage against the dying of light“. Und das ist ganz allein ihre Entscheidung, wenngleich konsequent. Ihre selbstverständliche Selbstbestimmung ist der Motor ihrer Kraft und ihrer Würde. Nur hat sie eben die Regeln nicht erfunden. Sie schafft es, sich selbst treu zu bleiben. Aber ihr Ende bleibt unausweichlich. Was mit ihr verloren geht, ist das Herz der Gemeinschaft, der Gemeinschaft, die tatenlos zugesehen hat und der jetzt nur noch die laute Klage bleibt. 

Ganz still, als Hintergrund, blickt während all dessen eine Projektion kahler Äste und Zweige schwarz auf die Tänzer. Fast unmerklich verändern sich diese immer weiter, werden stärker, dicker. Eine immer dichter werdende Verästelung. Nur bringen diese Zweige bis zum Schluss kein einziges Blatt hervor. Ein Prozess der Veränderung ohne Wachstum, ohne Leben. Es wird also wohl nicht das letzte Opfer gewesen sein, trotz aller Beispielhaftigkeit. 

SACRIFICE_Dada-Masilo©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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