schrit_tmacher festival 2024 und Sadler’s Wells zeigen

Breakin‘ Convention im Theater Kerkrade

Von Thomas Linden

Kaum hat Jonzi D die Bühne des Theater Kerkrade betreten, tobt der Saal. Der Moderator schreitet mit ausgreifendem Schritt über die Rampe und feuert die zumeist jugendlichen Besucher noch zusätzlich an. Als künstlerischer Leiter seiner Show „Breakin Convention“ reist er im Auftrag des Londoner Tanzzentrum Sadler’s Wells mit einer Schar exzellenter Hip-Hop-Tänzer und -Tänzerinnen durch Europa. Dass die Stimmung im fast ausverkauften Saal sogleich auf Betriebstemperatur ist, hat seine Gründe. Über den Tag hinweg reihten sich Workshops und kleine Battles im Kulturzentrum Kerkrade aneinander. Hier ließ sich gut beobachten, wie man junge Menschen ins Zentrum einer Stadt lockt. Die städtische Bibliothek und das Theater befinden sich im gleichen Gebäude, dessen großes Foyer mustergültig das Prinzip des Dritten Ortes demonstriert. Ein geschmackvoll gestalteter Raum, in dem sich jeder aufhalten kann ohne den Druck der Kommerzialisierung im Nacken zu spüren. Die Tanzbegeisterung kann hier unter den Kindern und Jugendlichen so richtig aufblühen. Unter dem Label Oxygene sind die Altersgruppen aus Kerkrade im Rahmen einer Tanzakademie organisiert. Schon die jüngsten Grundschulkinder zeigen mit geradezu verbissenem Eifer ihre Hip-Hop-Künste in Ensemble-Formationen. Auch auf der großen Bühne kann ein Quintett von Oxygene überzeugen, das auf nicht mehr als einem Bierdeckel ein temperamentvolles weibliches Dialogspiel entfachte. Auch die Eröffnung gehörte einem lokalen Duo. „Karlyle & Dyka“ sind zwei hochgewachsene Tänzerinnen, die mit geschmeidigen Armbewegungen, eine eigene originelle Körpersprache entwickeln.

Breaking-Convention©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Auf die ein oder andere Weise führen Hip-Hop und Brackdance von den Straßen der westlichen Welt nach Afrika oder umgekehrt. So ist es auch hier mit einer Geschichte aus den sonnendurchfluteten Ebenen Afrikas. Als Schattenriss zeichnen sich die Silhouetten von Antoinette Gomis, der Gründerin des gleichnamigen Ensembles – und ihrer vier Tänzer ab, die kunstvoll mit ihren Händen kommunizieren. Traditionelle afrikanische Tanzphrasen werden ansatzlos in das fließende Bewegungsrepertoire des Hip-Hop übertragen. Dann setzen unter dem Titel „Les Ombres“ die Sandstürme ein, gegen die sich die Körper gleich unsichtbaren Widerständen behaupten müssen. Man spielt mit der Metapher der Mühsal von Flucht und Entbehrung. Darüber geht das Timing verloren, die Choreographie dünnt aus und plötzlich steht der Protagonist am Ende seiner unfreiwilligen Reisen im Autolärm von Paris. Hier offenbart sich ein Problem dieser Nummernrevue, die im Grunde wenig choreographisches Material enthält. Einer Dramaturgie folgt man nur partiell. Das Programm bleibt zumeist ein kurzatmiges Vergnügen. Das mag auch am Wesen von Tanzstilen wie Breakdance und Hip-Hop liegen. Deren Rhythmusbetonung durch ruckartiges Anspannen und Entspannen, sowie den abrupten Stopps und Wechseln stets auf die einzelnen Tänzer ausgerichtet bleibt.

Virtuosität ist gefragt, wie sie das aus Amsterdam stammende Trio Ghetto Funk Collektive denn auch im Finale der Show in aller Breite präsentiert. Mächtige Bläserchöre beherrschen die Szene während die drei lässig fast bis zur Trägheit über die Bühne schlendern. Um dann jedoch explosiv in Aktion zu treten. Auch dort bleibt es immer wieder bei kurzen Soli. Man präsentiert sich. Für einen Moment gehört jedem einzelnen die Aufmerksamkeit aller. Darin kommt ein schöner Gestus des Respekts zum Ausdruck, der den Jugendlichen so wichtig ist. Zugleich vereinzelt die Egozentrik der narzisstischen Zurschaustellung die Akteure. So ergeben sich kaum einmal narrative Passagen. Die Begeisterung kommt mit der sich steigernden Geschwindigkeit und der kühnen Kombination der Tanzfiguren zum Ausdruck.

Breaking-Convention©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Breaking-Convention©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Jonzi D lässt sich den Jubel in seiner stets forcierenden Moderation gleich persönlich vom Publikum einholen. „Großartig“, „phantastisch“ und „traumhaft“ ist das Gebotene. Ja, diese Show hat ihre mitreißenden Momente. So verblüfft etwa der italienische Tanz-Comedian Chri mit Tierdarstellungen, bei denen er seinen Körper auf eine Weise verdreht, wie sie nur die Tanzfiguren eines Hip-Hoppers ermöglichen. Am beeindruckendsten ist die Show jedoch dort, wo für einen Moment dicht und fast verstörend realistisch erzählt wird. Das Duo „Spoken Movement“ zeigt den mitunter verstörenden Dialog eines Paars am Küchentisch. Schon der Titel „Family Honour“ lässt Dunkles erahnen. Gesprochen wird mit rasend schnellen Handbewegungen, die vereinzelt im Gesicht der Frau landen. Ohne dass ein Wort fallen müsste, erzählen die Körper von der Dominanz des Mannes, der die Frau belehrt, einschüchtert, Grenzen überschreitet. So entstehen Traumata der Ohnmacht. Für einen Augenblick macht sich Beklommenheit im Saal breit. Erleben wir hier das verstörende Machtspiel des Patriarchats? Mehr oder weniger unverhohlene Gewalt? Ja, so ist es. Die Erlösung kommt dann mit der letzten Geste, in der die Frau blitzschnell und umso wirkungsvoller antwortet. Das größte Verdienst dieser locker kuratierten Show besteht aber vielleicht nicht so sehr, in dem, was auf der Bühne geschieht, als in der Begeisterung, die sie bei denen auslöst, die in Zukunft die Säle der Tanzkunst füllen können.