schrit_tmacher festival 2025

DANCE ROCK CONCERT

420People zeigt: The Watcher in der Fabrik Stahl Bau Strang Aachen

Von Thomas Linden 

Werden wir überwacht? Selbstverständlich befinden wir uns in einem Geflecht aus Beobachtung, Kontrolle und Überwachung. Jede kleinste digitale Reaktion hinterlässt Spuren und es gibt immer mehr davon. Ein Leben außerhalb der digitalen Erfassung scheint gar nicht mehr möglich. Das klingt beklemmend, aber wir akzeptieren diese Situation, im Gegenteil, der Widerstand gegen Beschränkungen digitaler Kommunikation erfolgt stets prompt und heftig. Dass wir mit dem Eintritt in die Welt der Digitalität unsere Seele verkauft haben, darüber lässt sich vielleicht noch diskutieren aber unbestreitbar haben wir darüber unsere Körperlichkeit an der Garderobe abgegeben. Das ist der Punkt, an dem die tschechische Tanzkompagnie 420People ansetzt, die jetzt mit ihrer Produktion „The Watcher“ in der Fabrik Stahlbau Strang in Aachen das Publikum von den Sitzen riss.

420PEOPLE_The-Watcher©TANZweb.org_Klaus-Dilger

420PEOPLE_The-Watcher©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Eigentlich kein neuer Aspekt im medialen Diskurs. Gleich zu Beginn und im Schlussbild zeigt die Prager-Kompagnie ein Schattenspiel, in dem die schwarzen Muster der Maschinen ihre Schatten über die menschlichen Körper werfen. Der Tanz ist das Medium mit dem der Körper an seine Präsenz und Rechte erinnert. Das geschieht hier mit einem akustischen und tänzerischen Nachdruck, der das Thema im Verlauf der Inszenierung schon bald in Vergessenheit geraten lässt. Die Sinne siegen so rückhaltlos, dass sich niemand mehr mit intellektuellen Konflikten weiter abarbeiten muss. Choreograph  Václav Kuneš, der seine Ausbildung beim Nederlands Dans Theater erhielt, installiert mit der Indie-Rock Band Please The Trees zusätzlich einen wuchtigen Player auf der Bühne. Die Synchronität zwischen den Aktionen des fünfköpfigen Ensembles (Francesca Amy Amante, Eliska Jirsova, Simona Machovicova, Veronika Tököly und Filip Stanek) und den drei Musikern funktioniert in präzisem Timing. Tänzerische Momente erhalten zusätzliche Prägnanz, wenn ein Schlagzeug die Takte vorgibt. Mitunter bretterten die Musiker allerdings auch mit einem akustischen Aufwand über die tänzerischen Aktionen hinweg, der in der keinesfalls schallisolierten Industriehalle den Sound des Geschehens auf der Bühne zu erschlagen drohte.

420PEOPLE_The-Watcher©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Dabei ereigneten sich dort durchaus kraftvolle Szenen. Kuneš setzt auf den Frontalangriff. Seine Tänzerinnen agieren immer im Bewusstsein des Auges ihres Publikums. Selbst wenn sie miteinander kommunizieren oder eher selten ein Pas de deux eingestreut wird, bezieht sich jede Bewegung auf die Bühnenrampe. So entsteht eine gewisse Statik, der man mit umso schnelleren Drehungen und vor allem mit exzessiver Kraftanstrengung zu begegnen sucht. Zeitgenössischer Tanz wird von den Pragern als Konglomerat aus Modern Dance und Kampfsport verstanden. Man läuft und springt, es gibt schwungvolle Drehungen, Rädern werden geschlagen und der Kopfstand fehlt ebenso wenig wie die Rollen auf dem Boden. Weibliches Empowerment erhält seinen Ausdruck in Anleihen beim Kickboxen, dem Turnen und den Martial Arts Spielarten. Ästhetisch zaghaft wirkt diese feministische Expressivität jedoch im – sicherlich unfairen – Vergleich zu Florentina Holzingers Ophelia-Spektakel, das vier Tage zuvor ähnliche Sequenzen allerdings mit einer ungeahnt größeren Radikalität in Köln zeigte.

Imponierend wirkt die Verve, mit der die Tänzerinnen von 420People in ihren Bewegungs-Flow einsteigen. Václav  Kuneš spekuliert nicht mit dem feinen Zwischenton, da seine Choreographie auch nicht auf eine Erzählung ausgelegt ist. Er erkennt die Stärken seines Ensembles im Tempo und dem Nachdruck, mit dem die jungen Tänzerinnen jede Geste begleiten. Es sind denn auch eher Begegnungen als Narrationen, die sich zwischen den Soli, die jede von ihnen erhält, im Laufe des Abends ergeben. Das Bekenntnis zur sinnlichen Präsenz des Körpers, seiner Ausdruckskraft und dem vitalen Willen, der von ihm ausgeht, gelingt den Tschechen. Obwohl sie uns etwas beweisen wollen, dass uns nicht verborgen geblieben ist, der menschlichen Körper ist das faszinierendste Medium der Kommunikation, das es gibt. Gerade weil es nicht stromlinienförmige Perfektion besitzt, sondern in seiner Präsenz begeistern kann. Das Publikum in Aachen konnten die Tschechen davon jedenfalls restlos überzeugen.

420PEOPLE_The-Watcher©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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