schrit_tmacher justdance! Festival in Aachen
Fallen, Fliegen und Dunsten
Die zweite Eröffnung des diesjährigen Schrit_tmacher-Festivals präsentierte im ausverkauften Theater Aachen „BACH Reimagined“ der britischen James Wilton Dance. Keine ideale Wahl.
Nachtkritik von Melanie Suchy
War das mau für den feierlichen Abend. Was glänzte auf der Bühne, war das Oberteil der Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen, die enthusiastisch die dreißigste Ausgabe des Festivals begrüßte, seinem Gründer und Leiter Rick Takvorian dankte und ein zweifaches Happy Birthday vom gutgelaunten Publikum gesungen bekam. Es glänzte auch die Ehrenmedaille in Silber, die Takvorian im Kästchen überreicht bekam als Ehrung von der Stadt Heerlen für sein grenzüberschreitendes Engagement; es glitzerte ein Tränchen auf der Wange des Geehrten, vermutlich, und es glänzte der humorvolle Schwung des Beigeordneten Jordy Clemens aus Heerlen: „we make Schrittmacher great again“, auf dass es über die handvoll beteiligter Städte hinauswachse. Mehr Europa.
Das Stehpult abgeräumt, wurde es karg auf der Bühne. Nicht ganz: Ein Nebelwölkchen hing in der Luft. Ganz fein, so allein. Aber nicht lange. Großes Genebel dräute hinfort, strömte von oben und von der Seite, diente der wechselnden Beleuchtung zum Farbenspiel, mal Regenbogen, mal Gelb, Blau, Weiß, hell vorne, hell hinten, Spot, Strahlen wie durch Wald hindurch. Licht an, Licht aus. Wenig kunstvoll. Davor, dazwischen, darin musizierte ein Cellist und tanzten zwei. Mann und Frau. Manchmal nur der Mann, nur die Frau. Manchmal langsam, manchmal schnell. Der Musiker aber war immer da, saß vorn, spielte ein Stück nach dem anderen, wie ein Album.
Eine Suite
Der Kanadier Raphael Weinroth-Browne baute Loops, ließ also eine Strecke Gespieltes per Aufnahme – Schalter neben den Füßen – nochmal abspielen und setzte hierauf eine neue Schicht, dann noch eine drauf, wie ein Lied, lange Töne, plus eine rhythmische drunter, und noch eine oben drauf oder Klopfen ans Cello, pock-pock-pock. Immer dichter werdende Klanggebilde, mit Drive am Grund und darüber Melodien und Melismen, die entfernt an irische Songs erinnerten oder mit dem Fernrohr in den Orient spähten. Das hatte seinen Reiz, war gut gemacht, doch die Effekte ermüdeten irgendwann. Vereinzelt brach der Cellist Akkorde, eilte repetierend auf und ab wie eine typische Cellostimme der Barockmusik. Ein einziges Mal wohl spielte er Bach, Johann Sebastian, auf den der Titel des ganzen Abends verweist und dem weißgott niemand „neues Leben einhauchen“ braucht, wie die Stück-Ankündigung posaunt. Seine Raffinesse, Komplexität, nur mit Bogen, Instrument, Spieler, ohne all die Elektronik, wäre lebendig genug.
Apropos Loop. Auch die Choreographie wiederholte vieles. Zu Beginn nahm sie sich ebenso ein Gerät zur Hilfe: ein Trampolin, Größe Gartenplanschbecken. James Wilton stellte sich hin, hob ein Knie und einen Arm, schien auszuholen – und kippte rückwärts. Nochmal. Er kippte auch seitwärts, titschte zurück, rollte, drehte in der Luft, machte Bauchplatscher. Kam irgendwie nicht voran oder höher, dann aber doch, ein paar saftige Sprünge, dann wieder Kippen. Streben und Scheitern ließen sich drin erkennen, Auf und Ab und viel Kreisbewegung.
Anziehungskräfte
Diese Motive durchzogen die folgenden Szenen auf bloßem Boden. Die Tänzerin Sarah Jane Taylor und der Tänzer-Akrobat Wilton haschten nach Luft und Großsein, bogen sich auf, krümmten sich zu, rollten, kreiselten, wogten. Wie ein Cellist mit dem Bogen auf Saiten streicht, zogen sie ihre Arme und Körper auseinander und zusammen, hin und her. Einmal führte ihre Hand sogar einen realen Bogen, erst quer über ihren Bauch, als sei sie das Instrument, dann durch die Lüfte wie eine Dirigentin. Was Wilton später mit einem Tüchlein an einem Stab wiederholte, das Wirbeln in endlosen Schlaufen durch die Luft. Fliehkräfte zur Schönheit dressiert.
Dazu passte eine Art Höhepunkt. Nachdem die zwei Einzeltänzer die Distanz reduziert, einander wie an unsichtbaren Umhüllungen berührt hatten, dann Handrücken zart an Handrücken legten, flog sie ihm nun mühelos auf die Schulter, rollte dort, wendete, glitt herab, flog wieder, landete kopfüber, er fing, er hob, er schleuderte sie, quergelegt. Rasant und fluffig, bewährte Techniken des zeitgenössischen Tanzes, „Contact Improvisation“ und „Partnering“, nur nicht ganz gleichberechtigt ausgeführt. Doch belebte die Schwung-, Flug- und Teamfreude des Paars das ansonsten zu bedeutungsschwangere und vom Parkett aus nur halb sichtbare Tun. Das Ganze arbeitete sich eben nicht an einer Story ab, sondern an Luftigkeit in Partnerschaft mit Erden- und Körperschwere. Physik. Nur künstlerisch keine Hochleistung.