Zweite Festival Woche startet furios
Im lustvollen Überschwang
Company Wayne McGregor zeigt UniVerse: A Dark Crystal Odyssey im Theater Heerlen
Von Thomas Linden
Wir befinden uns in einem Abstellraum der Geschichte, in dem Schiffswerkzeug, alte Symbole und Insignien und auch sonstiger Kram, dem einmal Bedeutung zukam, verrottet. Eine Kamera fährt an den Regalen entlang, zeigt uns Details in Großaufnahme. Eigentlich glaubte man in einem Theater zu sitzen, aber offenbar befindet man sich in einem Kino mit einer riesigen Leinwand. Aus der Rumpelkammer geht es noch tiefer in die Vergangenheit der Menschen zurück. Ist unsere Spezies nicht dem Meer entsprungen? Jedenfalls tauchen wir in das Blau des Ozeans ein, in dem man kleinen bunten Fischen begegnet, deren Flossen bunt und elegant in der Strömung schweben. Und nun sind auch die tanzenden Gestalten unten am Bildrand erkennbar, deren Kostüme mit den Farben des jetzt enorm großen Fischs korrespondieren. Wayne McGregor, den das Tanzfestival schrit_tmacher vor 15 Jahren vorstellte, hat das Versprechen seines Talents eingelöst und bietet mit seiner Hommage an Jim Henson Filmklassikers „Der dunkle Kristall“ – einem Fantasy Abenteuer im Science-Fiction-Gewand aus dem Jahre 1982 – ein bildgewaltiges Tanzspektakel.
Es geht um nicht mehr als die Rettung der Welt angesichts einer allgegenwärtigen Zerstörung der Natur. Deren Blessuren tauchen in der rund 80-minütigen Produktion allerdings nicht auf. Der Titel „UniVerse: A Dark Crrystal Odyssey“ kündigt eine Reise an, die dann auch durch Phantasielandschaften des Meeresgrunds, der Wüste und der Wälder führt. Es wird schnell deutlich, dass die Lichtdesignerin Lucy Carter so etwas wie der Maître de Plaisir des Abends ist. Sie gibt mit einem virtuosen Farbenspiel die Dramaturgie in dieser Fantasy-Reise durch die Herkunft des Homo sapiens vor. Unerhört beeindruckend ist die nahtlose Komposition, mit der hier visuelle und akustische Ideen ineinandergreifen. Der aus Geräuschen amalgamierte Sound von Joel Cadbury findet sein Pendant in den Kostümen von Philip Delamore und Dr. Alex Box. Ganzkörperanzüge, die aus flirrenden Farbmustern bestehen, lassen die Geschlechtszugehörigkeit verschwinden und reagieren sensibel auf die wechselnde Kulisse aus Farben und Tönen.
Im Arsenal der Effekte bedient sich Wayne McGregor mit lustvollem Überschwang. Ravi Deepres liefert ihm dazu das Material. So schwebt etwa minutenlang eine Wolke über den Tänzern, die sich dann später beim Heranzoomen als Wäldchen entpuppt, zwischen dessen schneebedeckten Baumstämmen sich die Kamera verliert. Oder es thront ein struppiger Mond über der Bühne, der dann als großes Auge wiederkehrt, das uns mehr als bloß neugierig im Zuschauerraum beobachtet und dabei gigantisch anwächst. Auch wenn sich all diese Motive und Zitate aus Literatur, Film und Malerei mitunter als eklektische Überwältigungsmaschine ausnehmen, so verlässt einen doch nie der Eindruck, dass Wayne McGregor sein multimediales Reizpotenzial stets im Griff hat.
Gleich mit den majestätischen Bewegungen des Fischs findet McGregor die Bilder zu seinem choreographischen Stil. Mit einem geschmeidigen Fließen, das sich nie dem bloßen Impuls ausliefert, sondern stets als erkennbares Ergebnis einer bewusst entwickelten Ästhetik erkennbar bleibt, durchzieht er die Produktion. Es ist eine wohltemperierte Zurückhaltung in jeder Tanzfigur spürbar, mit der sich diese Körper spreizen und dehnen. Als würden sie sich selbst dabei lustvoll betrachten, zelebrieren die Frauen und Männer ihr fast lasziv anmutendes Selbstbewusstsein. Auch wenn das Bewegungsrepertoire nicht auf neue Gesten ausgelegt ist, so verzaubert es doch durch die Formvollendung, mit der es sich präsentiert. Ein nur achtköpfiges Ensemble, das jedoch eine Bühne auszufüllen versteht, weil es den Raum besser zu beherrschen vermag als manche Truppe, die über das dreifache Volumen verfügt. Auch wenn Wayne McGregor in seinen eingesprochenen Bekenntnissen zum Ringen um eine bessere Welt schon einmal in den Heilungs-Kitsch abgeleitet, der Ausdruck seines Ensembles bleibt jede Sekunde überzeugend authentisch.
Es ist denn auch die große Leistung des Briten, dass es ihm gelingt, das üppige mediale Reservoir perfekt miteinander zu verschränken. Wie aus einem Guss präsentieren sich nicht nur die tanzenden fünf Frauen und drei Männer. Nicht selten scheitern Produktionen im Tanz -aber auch im Theater – wenn sie mit digitalen Elementen agieren, die nur zu oft die Aufmerksamkeit von der körperlichen Präsenz der Akteure ablenken. Es ist ein Wunder, wie geschmeidig in dieser Inszenierung Auf- und Abgänge funktionieren. Die Wechsel zwischen Szenen und Überblendungen von Film und Tanz gelingen wie im Traum. Wayne McGregor vermag Digitales mit Analogem so zu verbinden, dass die ganze Wucht beider Aggregatzustände ihren Ausdruck findet. Er eröffnet damit nicht nur sich selbst neue Perspektiven für die Wirkung der darstellenden Künste. Es versteht sich da schon fast von selbst, das das fachkundige Publikum in Heerlen spontan zur Standing Ovation ansetzte.