Abschlusswoche schrit_tmacher 2025 in Aachen

Phoenix in der Asche

Zum Abschluss des diesjährigen Schrit_tmacher-Festivals gastierte das Phoenix Dance Theatre aus West Yorkshire mit zwei Stücken unter dem Titel „Belonging“

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von Melanie Suchy

Vor fünf Jahren? Ach ja, Corona. Das Schrit_tmacher-Festival musste abbrechen Anfang März. Auf dem Programm hatte das Phoenix Dance Theatre gestanden mit einem „Frühlingsopfer“. Nun kam sie, die Company aus Leeds, eingeladen als „alte Freunde“ zu dieser Abschieds-Ausgabe des Festivalleiters Rick Takvorian. In den ganz frühen Jahren hatte er sie schon zu Gast. Die Phoenixe wurden einst, 1981, von drei jungen Schwarzen Tänzern gegründet, sie wuchsen rasch, waren anerkannt mit ihrer zeitgenössischen Ausrichtung, gastierten bald nicht nur auf der Insel, sondern bis nach New York und Australien. Alle paar Jahre wechselte die Direktion, der inzwischen neunte Leiter ist seit Oktober 2023 Marcus Jarrell Willis. Geboren 1985 in Houston, Texas, tanzte der Amerikaner lange beim berühmten Alvin Ailey American Dance Theater, mit 23 begann er außerdem zu choreographieren. Sein erstes Werk für Phoenix, „Terms of Agreement“, brachte er nun mit nach Aachen in die Fabrik Stahlbau Strang.

An diesem versprechenden Ort, mit dem rauen Charme der Industriehalle, Säulen, Metallgestänge, während es an den milchglasigen Scheiben seitlich und weit oben dunkelblau dämmert: Doch die Tänzer erobern nicht den Raum auf dem schwarz ausgelegten Boden. Hier wird nicht komponiert mit Distanzen, Wegen, Richtungen, Entwicklungen. Sondern der Choreograph zwängt seine achtköpfige Gruppe ein mit Tischen, die da in U-Form stehen, als sei er mit einem Klassenzimmerstück beauftragt worden.

TERMS-OF-AGREEMENT_PHOENIX©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Aufstehen, hinsetzen!

Dabei dachte man nach dem ersten kurzen Werk des Abends, dem thematisch ehrgeizigen, aber künstlerisch wenig gelungenen 25-Minüter „Cloudburst“ von Miguel Altunaga, es könnte nur besser werden. Was zu loben wäre an diesem enttäuschenden Festival-Abschluss, ist die Treue. Sie ist viel wert in der Kulturwelt, sie ist das Goldstück, das Theaterleiter, Festivalkuratoren und auch die Zuschauer in ihren Herzen tragen und ohne das die (von Menschen gemachte) Kunst schnell im Kalten und Trockenen stünde.

Die Tischplatten leuchteten manchmal, in Weiß oder mal glutrot. Mit dem Rot war wohl emotionale Hitzigkeit gemeint, ansonsten war es hell, wo gerade Action war. So ungefähr. Oder war eine parallele Welt gemeint? Die acht Tänzerinnen und Tänzer, die anfangs und zuweilen später an den Außenseiten der Tische platziert waren, lungerten oder starrten oder taten das, was Kurt Jooss schon 1932 für den „Grünen Tisch“ choreographiert hatte: Sie standen auf wie Möchtegernentscheider mit aufgepflanzten Fingerspitzen an langen Armen oder stellten Ellbogen hin, wischten mit Händen über die Platte. Nur entstand hier überhaupt kein Drive. Diese in Schwarz und Weiß gekleideten Leute, mit ihren storchenhaft roten Socken, waren vielleicht als Arbeitskollegen konzipiert, die Geschäftigkeit zu mimen hatten, auch mal kurz puppenartig die Köpfe schräg stellten, ruckten und Arme winkelten. Die Feierabendparty, bei der sie sich im Inneren der Tisch-Umrandung versammelten, wirkte kaum lebendiger. Man hob die Hände und schüttelte Schultern.

Der Sinn des „Belonging“ – jemandem oder etwas anzugehören – bestand bei Willis‘ „Vereinbarungen“ daraus, dass nie jemand wegging und dass innerhalb dieser Leute-Ansammlung relativ dramatische Beziehungen begannen, kulminierten, endeten, von je zweien oder dreien oder sogar einer Einzelnen. Die meisten Anwesenden hockten stumm rum; nur einzelne mischten sich ein.

TERMS-OF-AGREEMENT_PHOENIX©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Immobilien

Das alles geriet oberflächlich, immerhin nicht mimisch geschauspielert. Aus der Mini-Party sondern sich zwei ab, eine Frau, ein Mann. Kannten einander wahrscheinlich schon. Wirken entspannt, gehen ums Tisch-Eck. Plötzlich haben sie Streit, brüllen über einen Tisch hinweg. Ein Kollege tritt dazwischen. Mit seinen schwarzen Socken ist er anders, vielleicht nur eine Imagination: Als Dreier verhaken sie sich friedlich in der Mitte beim Tanzen mit Anlehnen, Drehen, Schlängeln. Dann geht aber der Pärchen-Mann fremd: Erst ein langer Blick, zu einem Mann, dann Hingehen, softes Turteln, Anlehnen, Lüpfen, Umarmen, später ein paar Sekunden Paartanz, ein Walzer. Die Ex-Freundin ließ ihn ziehen, aber steht noch bereit, auf ihrem Leucht-Tisch, als er sich dann doch nicht zwischen zweien entscheiden kann. Es zieht ihn hierhin und dorthin. Das sieht genauso aus, wie es hier steht.

Weitere Beziehungskisten werden ausgepackt, keusch, zärtlich, eine Tänzerin gibt die verständnisvolle Freundin, eine andere hat plötzlich Welt- oder Herzschmerz ohne sichtbares Objekt, große armeaufreißende Verzweiflung, die man dieser einen Tänzerin sogar glaubt. Alles andere ist mehr Getue, nett miteinander oder beleidigt, einmal bricht kurzes brutales Zerren und Schleppen aus. Zur Auflockerung tanzt die Gruppe im U kurze Unisono-Phrasen mit kraftvoll breit gesetzten Beinen und halb erhobenen Armen. Derweil wird über das ganze 40-minütige Klassenzimmer eine Song-Liste ausgekippt, dazwischen Texte, von unterschiedlichen Stimmen gesprochen, auch ein Gedicht. Über Liebe, übers Vergeben.

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CLOUDBURST_PHOENIX©TANZweb.org_Klaus Dilger

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Drüber und drunter

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Auch das erste Stück des Abends schien lieber bebildern zu wollen als tanzen zu lassen. „Cloudburst“, der Wolkenbruch, dräute in Dunkelheit. Gesichter waren nicht zu unterscheiden, oft zeigten auch die Rücken nach vorn. Alle fünf Tänzerinnen und Tänzer gekleidet in dicke helle Anzüge mit breit-spitzen Schultern, vielleicht eine Andeutung von Afro-Futurismus. Die Düsternis meinte Vergangenheit und tat wichtig, machte Stimmung, wo es an choreographischem Geschick mangelte.

Denn Choreograph Altunaga blätterte nur kurze Sequenzen auf die Bühne. Historienkapitel sollte das wahrscheinlich darstellen, imaginierte und reale. Beginnend bei den alten Ägyptern, Ägypterinnen – der Pulk hebt die Arme neben die Köpfe, als trügen sie da oben etwas – über Kriegs- oder Vertriebenenszenen – Gruppenbild mit Liegender. Wie zum Morden erhobene Hand. Wie zur Abwehr erhobene Arme. Tänzer taumeln, stürzen. Bis zu wuchtigen Kreistänzen, bei denen sich die Oberkörper abwechselnd bücken und strecken. Fäuste nach oben. So wie man es vom britischen Choreographen Hofesh Shechter zur Genüge kennt. Vorn an den Rand wird anfangs eine Art Objekt der Begierde oder der Wahrheit oder Göttlichkeit geschleppt: ein Fass mit Flüssigkeit. Einige – alle? – wollen da hin, immer wieder, strecken sich, streben, erreichen ihn nicht, manche aber doch, zuletzt wird die Gabe sogar friedlich verteilt. Bis alles wieder auf Anfang gestellt wird. Jemand schleppt ein Gefäß rein, vor den Bauch gedrückt, wie eine Schwangere. Lektion gelernt?

CLOUDBURST_PHOENIX©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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