Das Nederlands Dans Theater zeigte

The beauty OF IT ALL

Das Finale des schrit_tmacher festivals 2024 im Parkstad Limburg Theater Heerlen

Von Thomas Linden 

Zum Abschluss der 29. Ausgabe hat sich das schrit_tmacher Festival im Theater Heerlen noch einmal selbst ein großes Geschenk bereitet. Schon der Titel „The beauty OF IT ALL“ erinnert an die Schönheit. Es ist jedoch nicht die Schönheit des Gleichmaßes, sondern eine der Energie, Leidenschaft und der Inspiration. Von Perfektion darf man gar nicht sprechen, die demonstrierte das Nederlands Dans Theater (NDT) wieder einmal mit einer unvergleichlichen Selbstverständlichkeit. Hier prunkt Perfektion nicht mit der Glätte eines undurchdringlichen Werkstücks, sondern stellt sich vollkommen in den Dienst einer Kunst, die mehr als virtuos sein will. Es gibt keine Routine, auch nicht angesichts der Tatsache, dass zwei der drei ausgesuchten Choreographien schon seit mehr als 20 Jahren zum Repertoire des NDT gehören.

Nichts hat Jiří Kyliáns Choreographie „27‘52“ – die 2002 uraufgeführt wurde – an schneidender Schärfe verloren. Zum kreischenden Sound, den Dirk Haubrich aus Gustav Mahlers Symphony Nr. 10 extrahierte, sieht man ein Ballett der Abstraktion. Auf einer leeren Bühne verdoppeln sich die Tanzenden im Spiel der Schatten, die ihre Körper auf eine graue Rückwand werfen. Stellenweise senkt sich eine große Blende von der Decke herab, so dass nur die Bewegungen der Körper aber nicht die dazugehörigen Köpfe zu sehen sind. Und dennoch wird in dieser brutalen Nüchternheit eine Liebesgeschichte erzählt. Wobei das Paar stets auf großer Distanz hin agiert. Die Gesten sind jedoch so ausdrucksstark, dass bei aller Sachlichkeit die Melodramatik nicht zu kurz kommt. Die Arme werden wie Schwingen eingesetzt, so wirken die Körper leicht und doch nicht harmlos, denn die Beine verrichten ihr Werk schnell wie blitzende Schwerter. Vor allem das weibliche Personal des NDT brilliert dabei auf ganzer Linie. Selbst wenn man diese Choreographie schon ein Dutzend Mal gesehen hat, bleibt das Finale ein Schock, wenn die Liebenden immer noch weit voneinander entfernt unter der Matte des Tanzbodens vergraben werden.

2752-2024-©-Joris-Jan-Bos

2752-2024-©-Joris-Jan-Bos

Was mag in unserem Bewusstsein vorgehen, wenn wir wissen, dass diese Welt nur noch 15 Minuten existieren wird? In Maxine Doyles Choreographie „Fifteen Minutes“, die vor einer Woche in Den Haag Premiere feierte, ziehen noch einmal die Erinnerungen an eine verrückte Welt in Wolkenschwaden über die Bühne. Die Erzählerin entpuppt sich als großgewachsenes Rotkäppchen, das erschrocken durch ein groteskes Märchen torkelt. Vereinzelte Gestalten in Schutzanzüge, wie man sie nach einem Nuklearunfall trägt, wechseln sich ab mit ausgelassenen Partygängern. Man tanzt im Ringelrein und zerfällt dann doch in Isolation. Fassungslos schauen sich diese Gestalten an, denen jeder innere Sinn und Zusammenhang entglitten zu sein scheint. Zugleich kommt diese Endzeitfantasie mit gewitztem Augenzwinkern daher. Eine Choreographie, die im unerbittlichen Takt des Metronoms überpointierte Bilder liefert und mit der Katastrophe ein kokettes Spiel treibt.

FIFTEEN-MINUTES-©Rahi-Rezvani-2024

FIFTEEN-MINUTES-©Rahi-Rezvani-2024

25 Jahre ist es her, dass Ohad Naharin seine Choreographie „Minus 16“ entwarf, die sich zum Bestseller der internationalen Tanzbühnen entwickelte. Freude sollte den Kern eines Festivals bilden, daher schien gerade dieses Stück gut zum Ausklang der Tanzwochen in der Euregio geeignet. Steigen die Tänzer und Tänzerinnen in ihren schwarzen Anzügen, den weißen Hemden und schwarzen Hüten, die an die Orthodoxie des Judentums erinnern, doch gegen Ende des Stücks in den Saal hinab und laden das Publikum zu sich auf die Bühne ein. Auch diesmal ergab sich daraus ein fröhliches Bild, wenn die schwarzen Gestalten wild gestikulierend mit Teenagern und Rentnerinnen auf der Rampe ausgelassen toben. Und doch scheint in unseren Tagen keine Freude mehr unbeschwert. Angesichts von Massaker und Krieg war es eine mutige und richtige Entscheidung, dieses Stück zu zeigen. Erinnert es doch daran, dass es Traditionen gibt, die älter als die Gewalt der Gegenwart sind. Natürlich geht Naharins Musikauswahl, die israelische mit kubanischen Rhythmen verbindet, sofort ins Blut. „Minus 16“ erzählt vom Kollektiv und seinen religiös anmutenden Ritualen der Wiederholung. Aber zugleich bricht es diese geschlossene Welt auf und das nicht allein mit Naharins alle Konventionen sprengenden Gaga-Bewegungen, über die auch in Heerlen viel und herzlich gelacht wurde. Die einzelnen Ensemble-Mitglieder erzählen auch aus dem Off von sich. Die Frauen von ihren als unzulänglich erlebten Körpern, die Männer von ihrer Herkunft und alle vom Glück der Bewegung. So wird das große vierwöchige Fest am Ende zu einer Würdigung des Individuums und seines jeweils ganz speziellen Schicksals. Ein Statement, das unserer Gegenwart gut zu Gesicht steht.

MINUS-16-©Rahi-Rezvani-2024

MINUS-16-©Rahi-Rezvani-2024