Tanzen gegen Angst und Hoffnungslosigkeit

Im schönen Theater von Kerkrade, das auf der örtlichen Stadtbibliothek sitzt, gastierte die Via Katlehong Dance Company aus Südafrika mit einer Choreografie von Gregory Maqoma: „Via Kanana“

Nachtkritik von Melanie Suchy

Im Laufe dieser rasanten einen Stunde Tanz aus Südafrika beschleicht einen leise der Verdacht, die Choreografie suche nur lauter Vorwände, um die Virtuosität der sechs Tänzer und zwei Tänzerinnen zur Geltung zu bringen. Ja, sie sind toll. Wenn sie wieder und wieder loslegen mit dem Tanz, Varianten des Pantsula, der die Füße und Beine zu elektrisieren scheint, hochzutreiben, als sei der Boden zu heiß oder als seien die Nerven bis zu den Fersen von einem Störprogramm befeuert; dazu hält der gebeugte oder aufrechte Oberkörper die Balance, und in Schultern und Armen regieren die Flämmchen mit. Die Musik von Samuel Makhathade Khabane liefert den passenden treibenden Beat, Schritt für Schritt, fast Techno, plus hallende Töne aus Jazz und Schmalz. Doch ist dieses Abfeiern, dieses Jubilieren des Tanzkönnens im Supertempo und in fließend wechselnden Gruppenformationen schon auch Teil eines Inhalts, der „Via Kanana“ durchzieht. Diese präzise ausgetickte Erregung steht vermutlich für ein Lebensgefühl in Gemeinschaft, das sowohl vor Freude als auch vor Unzufriedenheit zum Brodeln kommen kann.

Klar, die Choreografie von Gregor Maqoma bezieht sich auf sein Heimatland Südafrika. Auch die Tanzkompanie, für die er „Via Kanana“  geschaffen hat, das Anfang November 2017 in Lyon in Frankreich uraufgeführt wurde, hat ihren Sitz dort, die 1992 als Sozialprojekt gegründete, inzwischen professionelle  Via Katlehong Dance Company. Sie ist spezialisiert auf den Pantsula, eine Art Stepptanz ohne laute Sohlen, manchmal auch in Gummistiefeln, „gumboots“, getanzt, wovon sie hier zeitweilig das Klatschen auf Oberschenkel, Brustkorb, Arme übernehmen. Entwickelt wurde er in Townships zur Zeit der Apartheid. Nun steckt im „Kanana“-Titel das gelobte Land Kanaan der Bibel, und in dem Tanzstück ist, laut einem kaum zu verstehenden, in ein Mikrofon gerufenen Text, von der Hoffnung auf eine junge Generation die Rede, die Dinge besser machen werde. Da aber niemand Zukunft tanzen kann, wendet sich „Via Kanana“, soweit man es in einer Gegend fernab von Südafrika begreifen kann, an eine Vergangenheit, die offenbar die Gegenwart bestimmt. Korrumpiert.

Betrügen, verderben, übervorteilen

Von „corruption“ kündet denn auch zu Beginn das schwarz-weiß spratzelnde Video, ein Werk von Jürgen Meekel, das auf die im sanften Winkel gestellte Rückwand projiziert wird, während dort ein einsamer Tänzer zu Boden fällt.

Dann treten die Kollegen auf, beenden seine Einsamkeit, das Ausgeliefertsein, raufen sich als Gruppe zusammen mit dem, was jeder von ihnen so kann – in kurzen energischen Solo präsentiert. Dass eine solche Gemeinschaft, die sich zur tosend fröhlichen Tanzfeier mit Hutjongliereinlage steigert, das Stürzen nicht jederzeit verhindern kann, zeigt das warnende Schlussbild des choreografisch und dramaturgisch soliden, wenn auch nicht überragenden Stücks. Da hatte sich der tiefe wummernde Herzschlagsound wieder unter die Musik geschlichen wie eine Drohung. Angst.

Vor wem, vor was? Das deuten einige Szenen an. Wenn eine Tänzerin die anderen herumkommandiert und mit herrischen Gesten aus der Distanz zu Boden winkt und zwingt. Wenn sie, in einer anderen Rolle, einem Mann schöne Augen macht, aber ein Menschenarme-Zaun ihn von ihr trennt. Wenn sie, später, mit dem Geliebten herzhaft turtelt im schneidig-wendigen Paartanz und dann aufwacht in einem Bett – Hochkantansicht von einer mobilen Stellwand – neben einem weiteren Mann; sie erschrickt und fragt sich mit herabtauchenden oder säubernden Armkurven, was das war, während der Turtelpartner geschäftsmäßig sein Hemd wieder anzieht. In einer anderen Szene sieht man einen Mann sozusagen im Namen der neben ihm geduckt verharrenden Gruppe per Tanzdialog mit einem Typen von draußen verhandeln, einem mit eleganter schlenzenden Armen. Schließlich wird er von der Gemeinschaft willkommen geheißen, tritt in den Kreis. Aber man weiß nicht recht, ob hier Korruption, ein schmutziger Deal, am Werk war oder Nettigkeit, der möglicherweise später missbraucht wird.

Via Kanana - Via Katlehong Dance Company - South Africa ©Klaus Dilger

Via Kanana – Via Katlehong Dance Company – South Africa ©Klaus Dilger

Vertrauen ist die große Frage –

aber auch Wachsamkeit und Wehrhaftigkeit. Ein anderer Tanzstil, den hier erst jene Kommandofrau, die großartige Julia Burnham als Kompaniegast, dann zeitweise alle anwenden, mit breit gestellten Beinen, zurückstechenden Ellenbogen, mit kräftig-grimmig vorgeschobenen, aufgestellten Händen, lose gewinkelten Armen, die ein Gewehr zu tragen scheinen, und herabschlagenden Füßen, wirkt wie eine Kampfübung und Drohgebärde. Ein Aufstehen gegen die Herabwürdigung und gegen die Resignation. Dann hatte jenes Anherrschen vielleicht ein gutes Ziel: Mobilisieren der Kräfte samt konzentriertem Atmen, wie die Anführerin es vormacht, statt herumzupalavern  und zu trinken, was hier auch zu sehen ist.

Ertüchtigung

Ein guter Kniff des Lichtdesigns viervielfacht die acht Tänzer szenenweise mittels scharfer Schatten, die sie auf die geknickte Rückwand werfen. Sie werden Menge oder signalisieren den Zuschauern der häufig frontal wie in einer Show agierenden Tänzer: Hinter uns stehen viele. Hinter ihnen zeigen in anderen Szenen Schwarzweiß-Fotos traurige Menschen und Wellblechhütten, eng gepferchte Bahnfahrer und eine kalte Satellitenansicht des Landes. Insofern sind die spritzigen, später auch mit Rufen und Pfiffen intensivierten Gruppentanzszenen herangezoomte Ansichten von Hoffnungsnischen. Vielleicht von etwas Gutem, Selbstbestimmten, fair Verhandelndem; die jetzt jungen Südafrikaner haben es in der Hand, es zu verbreiten. Also tatsächlich eine Zukunft. Fragezeichen.

Via Kanana - Via Katlehong Dance Company - South Africa ©Klaus Dilger

Via Kanana – Via Katlehong Dance Company – South Africa ©Klaus Dilger