Das Phoenix Dance Theatre aus Leeds | UK beschliesst mit seiner dreiteiligen Produktion “Calyx | Beast | Windrush: Movement of the People” das diesjährige schrit_tmacher justDANCE! Festival vor viermal ausverkauftem Haus in der Fabrik Stahlbau Strang und Ovationen des Publikums
Was in dir schlummert
eine Nachtkritik von Laura Brechmann
Im Bereich des Verborgenen beginnt es zu brodeln und bricht dann hervor. Doch das was sich zeigt, könnte in Choreografie und Ästhetik nicht unterschiedlicher sein. Es war Anlass des Aachener Schrit_tmacher Festivals die vielfältigen Facetten der britischen Tanzkompagnie Phoenix Dance Theatre zu präsentieren. An diesem Abend wurden so gleich drei Inszenierungen aus dem Repertoire gezeigt: die beiden Kurzchoreografien „Calyx“ und „Beast“ (je 20 Min.) sowie das von der künstlerischen Leiterin Sharon Watson inszenierte Tanztheaterstück „Windrush: Movement of the People“ (55 Min.). Doch wie bestimmte Pflanzen über ihr Wurzelwerk Stoffe aussenden, um den Pflanzen in ihrer Umgebung zu schaden, ist auch das Arrangement dieses Abends für die Wirkung der Stücke nicht unbedingt zuträglich. Der Abend ist ein Showcase. Doch das Aneinanderreihen geht zu Lasten der Energie. Es fällt schwer sich voll einzulassen auf choreografische Sprachen und sich fallenzulassen in menschliche Abgründe.
Sandrine Monin’s „Calyx“
Separiert betrachtet zeigt sich tänzerische Qualität wie Leidenschaft, Energie und Engagement in jedem der drei Stücke. In „Calyx“ und „Beast“ bekommen mit Sandrine Monin und Douglas Thorpe zwei Phoenix Dance Theatre Tänzer/innen die Gelegenheit auch ihr choreografisches Können zu zeigen. In beiden Stücken bricht es hervor. Etwas, das schwer zu bestimmen ist und aus den Tiefen des menschlichen Seins zu kommen scheint.
Monins Choreografie lebt von den Konstellationen der vier Tänzer/innen auf der Bühne. Zwei männliche und zwei weibliche Tänzer/innen bilden Gruppen und Paare; separieren, isolieren, verbinden sich. Ihr Tanz ist grob. Es wird sich angesprungen, angefasst, aneinandergeklammert. Inspiriert von Charles Baudelaires Gedichtsammlung „Fleurs du Mal“ zeigt sich, dass Eifersucht, sexuelles Verlangen, Sehnsüchte, wenn auch lange unterdrückt, irgendwann an die Oberfläche brechen. Zwar existieren sie, die zärtlichen Momente, doch wird ihnen nur wenig Raum gewährt. Das Streicheln über ein Gesicht wird zu einer technischen Geste. Flüchtig und oberflächlich. Wie tief eine Berührung reichen kann, wird nur angedeutet, obwohl dadurch die düsteren Seiten der Liebe tänzerisch hätten verstärkt werden können. In „Calyx“ wird eine technisch einwandfreie Choreografie präsentiert, doch den Tänzern wird es nur bedingt ermöglicht, sich voll zu entfesseln und Unterdrücktes zum Ausdruck zu bringen.
Douglas Thorpe’s „Beast“
Doch dann transformiert sich die Bühne. In Thrope’s Choreografie „Beast“ entlädt sich Energie mit voller Wucht. Es knallt. Körper gegen Wand. Die Gliedmaßen wirbeln durch die Luft, stocken, Körper beginnen zu zittern. Hier herrscht Gewalt. Ein Kampf gegen das eigene Selbst, gegen den schlummernden Dämon in jedem von uns. Die Tänzer und Tänzerinnen arbeiten sich körperlich aneinander ab. Sie prallen aufeinander, halten sich zurück, kämpfen gegeneinander an. Immer wieder verschiebt sich, wer nun Dämon und wer Opfer sei. Auch wenn, und das sei zu kritisieren, die Tänzer eher den starken Part übernehmen und die Tänzerinnen gegen die Bestien in ihrem Inneren anzukämpfen scheinen. Vor jedem Schrei wird Luft geholt. Sie wird eingezogen, bis tief in den Körper, die Lungenflügel weiten sich, die Hand fasst sich an den Brustkorb. Dass der Organismus lebt wird hier gespürt. Ein kurzes Innehalten und dann: alles was schmerzt drückt sich nach Außen. Dem Körper entflieht ein freudloses Lachen, ein Stöhnen, ein Schrei. Die Tänzerin Carmen Vazques Marfi sticht heraus. Ihr Tanz ist angespannt, voller Körperenergie. Der grässliche Widerhall ihres stöhnenden Schreis lässt die Körper erzittern.
Sharon Watson’s Tanztheaterstück „Windrush: Movement of the People“
Der Abend hätte hier enden sollen. Nicht, weil Watson’s Tanztheaterstück „Windrush: Movement of the People“ keine Unterhaltung bietet. Im Gegenteil, die jazzige Choreografie und die beschwingten Szenen erzählen viel vom Lebensgefühl der 50er und 60er Jahre. Das Engagement von Choreografin und Ensemble ist spürbar. Das Tanztheaterstück erzählt durch leicht zugänglichen Szenen von Ankunft, Leben und Problematiken der ersten Emigranten in der Nachkriegszeit, die als Gastarbeiter und mit Träumen im Gepäck nach Großbritannien kamen. Die Menschen, vorrangig aus Irland und dem karibischen Raum, folgten dem fernen Ruf, der sie einlud. Mit ihrer Ankunft rechnete man, mit ihrem Bleiben nicht. So feiert die Inszenierung zwar vorrangig die Entstehung der britischen multikulturellen Gesellschaft, doch werden auch ernste Momente zugelassen. Eine kluge Choreografie lässt Ablehnung, Hass und Vorurteile gegenüber den Emigranten sichtbar werden; stülpt das Hässliche nach Außen. Das Fremde ist nicht willkommen und das weiße Gesicht gefriert zur Maske. Doch, all das was schön, leidenschaftlich, bunt ist, befindet sich durch die Veränderung, durch das Umstülpen des Landes nun im Inneren Großbritanniens. Und eben dort beginnt es zu wirken. Der Inszenierung gelingt es die Bewegung von Mensch und Land durch Tanz und Musik, die von Stilen der 50er und 60er Jahre inspiriert sind, auszudrücken. „Windrush“ ist unterhaltsames, etwas altmodisches Tanztheater. Doch „Calyx“ und „Beast“ waren starke Inszenierungen und letzteres endete mit mitreißender Kraft. Im Vergleich dazu wirkt „Windrush“ zahm und blass und weniger mitreißend als intendiert.