schrit_tmacher festival 2024
Zum Schauen in den Keller gehen
Von viel Licht und zweimal Schatten – Tanz und anderes auf der Leinwand, gesehen
von Melanie Suchy
In Heerlen ist noch bis Festivalende am 24. März eine kleine Sammlung von Tanzfilmen zu sehen, eine Auswahl von Cinedans. Kostet nix, man muss sich nur an die Öffnungszeiten des gemütlichen Ladens halten, in dessen überraschend riesigen Untergrund die Leinwände aufgebaut sind, Kopfhörer in Reichweite. Die von außen unscheinbare Buchhandlung van de Velden van Dam findet sich gegenüber dem Theatergebäude in der Fußgängerzone neben dem großen Lehmloch.
Der Keller ist das Gegenteil von Loch. Sauber. Kunstwerke stehen da auch. Die Projektionen laufen in Loops in mit Vorhängen abgetrennten Kabinen. Es macht Vergnügen, die Filme eben nicht in klein auf Laptop zu betrachten. Das entspricht besser der Kunst, die Tanzfilm ist. Insgesamt super sind nur zwei.
Viel Licht…
Ein großartiges Werk ist das kurze, langsame „Forming“. Eve McConnachie und Chloe Rosser aus Großbritannien (2022) drehten es mit Mitgliedern des Scottish Ballet. Der Tanz hier ist buchstäblich in sich gekehrt. Zwei blanke Rücken sind aneinandergerückt, Haut über Wirbelsäulen und Rippen, über Muskeln von Schultern bis Hintern, daran klemmen, nur manchmal sichtbar, Arme, oder ein Bein wächst in die Höhe mit nun freien Zehen, die wie Augen in die Gegend blinzeln. Ein Bauch atmet ein und aus, irgendwo in der Mitte der beiden Leiber. Der Gesamtklumpen behagt sich, schützt sich vielleicht oder trauert in Gesellschaft. Dies aber nicht in einer Ecke, sondern inmitten eines idyllischen Zimmers mit Teppich und alten Möbelchen. Die Kamera von Caroline Bridges wirft einen sanft verwunderten Blick auf das Geschehen.
©Judith Carina Knubben_WO-MAN
„WO_MAN“ der Niederländerin Judith Knubben (2021), will vielleicht nicht in die Falle zu futzeliger Bewegung tappen. Posieren ist ja eh das neue Tanzen, hat man zuweilen den Eindruck auf allerlei Bühnen. Die langsame Kamera hier lädt das Herumstehen und -Sitzen der drei Protagonistinnen in aufwendigen Kleidern in einem palastartigen Ambiente auf. Wozu eigentlich? Vielleicht soll es, samt einer Glaskugel, die vielleicht nur ein Flummi ist, ein Scherz sein oder eine offene Frage. Der Beizettel redet von den „Drei Grazien“ der Mythologien und dem endlich mal nicht „männlichen Blick“ auf sie. Irgendwie wirken sie unfroh. Wahrscheinlich war damals noch Corona.
Einer der zwei in Großformat projizierten Filme folgt einem Mann, der ohne Unterwäsche vom Bett aus in Lederkluft steigt, dann Motorrad fährt, „Leather“ von Thomas Bos und Erik Bos von 2018. Er will eine Geschichte oder eine Fantasie eines Frustrierten darstellen, der gern rast, gerne nachts auf leerem Asphalt, und mitunter Gesellschaft zwischen zwei anderen Fahrern findet, am Tag aber auf dem Bürgersteig Leute belästigt. Am Ende aber tanzen ganz viele Leute ein bisschen HipHop, alle in Kluft (übrigens besonders designt ohne Markenlogos), und sie singen Aaaaaaa. „Zeigst du auf den Mond, sollen die Leute doch nicht auf deinen Finger schauen“, heißt es einmal in dem gesprochenen Text, der durch „Leather“ führt. Meint der Fahrer-Sprecher-Träumer, er sei zu Größerem bestimmt, zu etwas jenseits der Zeigefinger? Ist er jetzt weggeflogen? Noch mehr verschwunden als in der Lederkleidung und unterm Helm? Der Kamerablick schaut von oben und steigt.
Imre und Marna van Opstal auch auf der Leinwand…
Das Fliegen praktizieren auch Imre van Opstal und Marne van Opstal, Tänzerin und Tänzer, Schwester und Bruder. In ihrem Film „Marsèll – Contrasts“ schweben sie, von Seilen gehalten, eingegurtet in ledrige corsagenähnliche Kleidungsstücke. Arme, Beine, Köpfe bleiben frei, geben den Blick frei auf muskulöse Tänzerkörper. Die Kamera von Andras Ladocsi ist immer nah oder ganz dran an, aber selbst recht starr. Die zwei Fliegenden kommen auch nicht von der Stelle, scheinen das auch nicht zu wollen. Ein bisschen Berührung reicht. Die drei Minuten wirken seltsam selbstgefällig. Falls man nicht mitliest, dass es sich um eine Kooperation mit einem Mode-Label handelt, Marsèll, und die SM-Anmutung ausblendet.
Der Hit des Kellers ist „Endurance“. Den Film drehte Imre van Opstal in Israel mit dreizehn ihrer ehemaligen Kolleginnen und Kollegen der Batsheva Dance Company in einem verlassenen Industriegebäude. Wird gern genommen in Tanzfilmen; in einem anderen verlassenen Gebäude drehte Adi Halfin 2013 ihr ungeplant berühmt gewordenes Werbevideo mit und für die Batshevas: „Home Alone“. Man meint Imre van Opstal die Faszination für den Clip anzumerken; sie nimmt sich nur viel mehr Zeit. Was ein bisschen schade ist. Ein Hauch Vandekeybus-Einfluss steckt möglicherweise auch drin in ihren elfeinhalb Minuten. Denn die Tänzerinnen und Tänzer erschöpfen sich, im Rennen, im rennenden Tanzen, im Greifen, Tragen, im Handstand, in einer Überwachheit selbst in Sitzmomenten. Sie scheinen eingesperrt zu sein, eine Corona-Erinnerung. Sie schwitzen, die Kamera zeigt die Tropfen auf den Gesichtern. Eine Tänzerin buddelt in Erde, mitten in dem überall gefliesten Gebäude, immer wieder zeigt der Film die Hockende mit den bloßen Händen in dem Material, als grabe sie nach einem Luft- oder Rettungsloch. Oder nach der Wahrheit. Falls dies bedrückende Umherrauschen ein Alptraum ist. Der großartige Director of Photography, der die Anspannung und Getriebenheit in Film umsetzte, heißt Misha Kaminsky.
Viel Schatten …lang und länger…
Für „The Paper Ensemble #16“ fehlte der Kritikerin nach Betrachten der Rasereien leider die Geduld. Er ist nicht nur langsam, sondern auch lang mit 15:38 Minuten. Was nicht gegen ihn spricht. Das Paper Ensemble alias Jochem van Tol und Ibelisse Guardia Ferragutti filmte mit Regisseur Jiska Rickels, Kameradirektor Martijn van Broekhuizen und Toningenieur Rik Meijer in der Paper Fabriek in Nijmegen. Vier Tänzerinnen, darunter die Choreographin Ferragutti, hantieren dort mit Papier, das seine Flachheit aufgegeben hat, Skulptur wurde. Für die Frauen sind es fragile Mitspielerinnen, die sie betrachten, an deren Atem und Haut sie horchen.
Kein Knopf zum vorspulen…
Wirklich lang ist schließlich „Romance“ mit rund 39 Minuten. An einigen Stellen würde man gern vorspulen. Geht aber nicht im Kleinkino. Das Werk der Amerikanerin Samantha Shay ist ziemlich prätenziös, mit Analogkamera gedreht, aber sie hat aus dem wahrscheinlich stundenlangen Material ein paar schöne Momente rausgeschnitten und zum Film montiert. Er lockt mit Begriffen auf dem Beipackzettel: Lichtburg-Probenstudio, Fiktion und Realität, Tanz und Dokumentation, „fruchtbarer Dialog der Generationen“, unsterbliches Erbe, zudem begleite der Film die Transition der Tänzerin Naomi Brito.
Hier wird aber nichts begleitet. Man merkt nur, dass einige Tänzerinnen des Wuppertaler Tanztheaters, darunter nur zwei von den „Alten“, Julie Shanahan und Julie Anne Stanzak, gern mitspielen bei der losen Inszenierung der Regisseurin, die ihnen mit der Kamera ganz nah rückt.
Viel Gesicht in dem Film: Frauen. Eine Julie mit der Hand an einer Wand im Gang des Kinos findet kleine Risse, hier, ach, da auch, und den naheliegenden Scherz übers Alter lassen die Tänzerin und die Regisseurin am Schnittplatz dann nicht aus.
Die wunderbare, ernsthafte Emily Castelli geistert auch herum und ruft eine Passage auf Italienisch. Es könnte Wut sein. Claudia Ortiz sitzt, spricht brasilianisch-portugiesisch und lächelt. Der Text ist aus der Kurzgeschichte „It was Romance“ der amerikanischen Autorin und Filmemacherin Miranda July von 2012 und beschreibt eine Art Selbsterfahrungs-Workshop, in dem Frauen die Luftzone an ihren Gesichtern zu spüren lernen.
Ganz viel Luft bewegt schließlich Naomi Brito im Bühnenkleidchen, die sich und die nahe Kamera am Schlingern und Schlaufen begeistert, all den Kreisen, die sie mit Körper und Armen auf der Stelle erschaffen kann. Denn es ist irgendwie eng in dem alten Kino, wo im Hintergrund Leute zuschauen und viele Klamotten hängen. Brito spielt mit dem wiederholten Namenrufen, wie es einige Bausch-Stücke zelebrieren. „Sam!“, „Sam!“, „Sam!“. Dazwischen sagt sie auf Englisch unglaublich brutale Sätze. Es sind nur zwei-drei, über ihre Kindheit. Sie lächelt breit. Das ist der pina-bauschigste Moment des Ganzen. Die Schönheit zu verehren und ihr, dem luftigen Tüchlein über der Schmerzerinnerung, nicht zu trauen.
“Romance” hatten wir bereits ausführlich besprochen: als Kritik “TANZ der QUAL und als Kommentar