schrit_tmacher justDANCE! in Aachen

Trying to outsmart technology

Für die Aachener Eröffnung der diesjährigen schrit_tmacher-Ausgabe blendet die Alexander Whitley Company das Publikum durch ein Übermaß an Ideen, eben einem „Overflow“

von Rico Stehfest

Eins steht schon mal fest: An Ideen mangelt es dem britischen Choreografen Alexander Whitley nicht. Seit 2014 bastelt er gemeinsam mit seiner Company an symbiotischen Ansätzen irgendwo in der Mitte zwischen zeitgenössischem Bewegungsvokabular und digitalen Ansätzen. In der Fabrik Stahlbau Strang hat er dafür mit unzähligen beeindruckenden Lichträumen gespielt, durch die er effektvoll fünf seiner Tänzerinnen und Tänzer schickt, um sie in einer losen Folge von Solos, Duetten und Gruppenszenen ausagieren zu lassen, was die technischen Fortschritte digitaler Kommunikationskanäle und Big Data inzwischen aus uns gemacht haben. Da wird schnell deutlich, dass so viel vom freien Willen nicht mehr übrig geblieben zu sein scheint. Die Technik hat uns überholt. Das lässt sich unvermeidlich an einer kinetischen Lichtskulptur ablesen, die, so zart sie als schlanke, klare Linie über den Köpfen des Ensembles auch schwerelos und stumm in eleganter Reduziertheit gehalten ist, als eigentlicher Protagonist der ganzen Sache auftritt. Da können sich die Tänzerinnen und Tänzer noch so sehr abmühen, sie bleiben Beiwerk, seien sie auch noch so erstaunlich zwischen den Lichtgassen in Szene gesetzt. Sie verschwinden immer wieder im Dunkel eines insgesamt diffusen Raums; ihre schwarzen Kostüme tun dafür ihr Übriges. Es sind nur die Arme und Schultern, die unter den Köpfen immer wieder auftauchen. Entsprechend konzentriert sich zumindest in der optischen Wirkung die Choreografie auf diesen oberen Bereich der Körper. Es liegt zwar in der Natur der Sache, dass die organischen Formen der Tänzer-Körper als deutlicher Kontrast zur geometrischen Geradlinigkeit der Lichträume funktionieren, nur kommen sie nicht gegen deren Gewaltigkeit und Größe an. 

Alexander-Whitley-OVERFLOW©TANZweb.org_Klaus-Dilger5

Alexander-Whitley-OVERFLOW©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Und die ganze Zeit bleibt der Blick hängen an dieser stillen Lichtleiste, die aus der Horizontalen heraus beliebig gedreht wird, ganz ohne sichtbaren Widerstand, bis hin zur Vertikalen, optisch zerstückelt in flackernde Fetzen. Oder wie wäre es mit ein bisschen warmer, sanfter Atmosphäre in Sepia? Ist alles vorprogrammiert und mit einem Klick abrufbar. Und drunter ein hübsches, gefühliges Duo. Dagegen kommt kein Tänzer an. Fraglich ist, ob die Choreografie an sich aber eigentlich dagegen ankommen will? Überlagerte Sprachfetzen stolpern aus den Boxen, Masse steht für Beliebigkeit. Der „Overflow“ ist deutlich. Die Formensprache kann etwas, was die Technik nicht kann: Organik, Rundungen, Wellen. In der gegenseitigen Überlagerung entstehen Bilder, die täuschen, blickt man genauer hin. Sie wollen mehr sein, als sie sind. Hier kommt es zu einer Doppelung: Wenn die kontextuelle Befragung nach Inhalt, wenn nicht gar nach Sinn stattfindet, dabei aber mit Mitteln umgesetzt wird, die bloße Oberfläche sind und als solche blenden, ist fraglich, ob dieser Versuch des „outsmarting“ gelingen kann. KI ist nicht klüger als der Mensch, aber cleverer. Wo Akram Khan von „Outwitting the Devil“ spricht, lassen sich Whitleys Reflexionen als ein Versuch des „outsmarting technology“ verstehen. Es gibt technische Ansätze, Lärm mit Lärm zu bekämpfen. Aber unsere geistige Leere, das um sich greifende Ausbleiben eines differenziert kritischen Einsatzes von Technologie im Alltag, lässt sich nicht mit Leere bekämpfen. Whitley versucht es trotzdem und hängt noch eine Szene dran und noch eine und noch eine. Der User schluckt, was ihm der Algorithmus schon längst vorgekaut hat.

Alexander-Whitley-OVERFLOW©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Es ließe sich bei allem Bombast fast übersehen, dass Whitley choreografisch unentschieden zwischen abstrakten und geradezu konkreten Bewegungsentwürfen pendelt, die in der Gesamtheit kaum ein eigenes Gesicht erkennen lassen. Vielleicht wirft er ja, zu verstehen als Geste, das innere Handtuch: Schlussendlich liegen die Tänzerinnen und Tänzer leblos am Boden, die Lichtskulptur ist nur noch ein einzelnes suchendes Licht, dass emotionslos und kalt, aber trotzdem fast wie ein lebendiges Wesen sorgfältig den Boden sondiert. Der Mensch liegt nicht nur unterm Radar, er liegt unter dem Scanner. Das macht die Technik leider spannender als den Menschen. Da bleibt fraglich, was da am Ende eigentlich so mit Begeisterung beklatscht worden ist.

Alexander-Whitley-Company-OVERFLOW©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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