schrit_tmacher festival 2024 – performances

VIDEO-IMPRESSIONEN von US SWERVE

Anspruch und Wirklichkeit

Kreise, Kreise, Kreise: Das Ludwig Forum Aachen wird zum Austragungsort von „Us Swerve“ von Alex Baczyński-Jenkins. Die Folge ist Ermüdung.

Von Harff-Peter Schönherr

Rollerblade-Fahrer lieben große, glatte Flächen. Das Ludwig Forum für Internationale Kunst in Aachen kann mit einer dienen, mitten in seiner Ausstellung, ein paar Sitzkissen-Stufen tief in den Boden eingelassen. Ideale Bedingungen also für „Us Swerve“ des Künstlers und Choreografen Alex Baczyński-Jenkins.

Drei Fahrer sind hier unterwegs. Ziehen Kreise, Kreise, Kreise. Mal etwas schneller, mal etwas langsamer. Mal etwas enger, mal etwas weiter. Mal etwas näher beieinander, mal mit etwas mehr Abstand. Dazu murmeln, rufen, brüllen sie Satzfetzen, die oft kaum zu verstehen sind, mal von dieser Beiläufigkeits-Geste begleitet, mal von jener. Die Kreise wiederholen sich. Die Satzfetzen wiederholen sich. Die Gesten wiederholen sich. Zwei Stunden lang geht das so.

Die Textfragmente umkreisen, heißt es, das Thema „Begehren“. Ihre Rezitation, in vielfacher Variierung und Wiederholung, setze „die Rollerbladers in Bewegung“, raunt uns die Website des Forums kryptisch zu, und schaffe „ein Tableau, durch das sie sich bewegen“. Auch einen fancy klingenden Genrebegriff hat das Forum dafür: „polyphone choreografische Partitur“.

Wie genau die Texte die Bewegungen der drei Darsteller beeinflussen, oder umgekehrt, und ob überhaupt, bleibt rätselhaft. Auch Baczyński-Jenkins, am Ende der Performance zu einem Gespräch bereit, fällt dazu nichts Konkretes ein.

Kreise also, Kreise, Kreise. Eine Weile sieht man dem gerne zu. Schließlich wirkt das Ganze ja auch ein bisschen meditativ. Außerdem tut in einem Raum schwergewichtiger Bildkunst Spielerisches von Zeit zu Zeit gut. Aber 120 Minuten des mehr oder weniger Gleichen sind schon eine heftige Packung. Zuweilen, sagt Baczyński-Jenkins, sind es sogar 180.

Nicht wenige der eher wenigen Zuschauer gehen zwischendrin dann auch. Oder checken ausführlich ihre Smartphones, schließlich verpasst man nichts. Eine ältere Dame, die sich von irgendwoher einen Stuhl organisiert hat, scheint viertelstundenlang zu schlafen – vielleicht meditiert sie aber auch nur. Viele gehen auch einfach nur dran vorbei. Aber das betont das Forum ja auch: Kommen und Gehen sei „jederzeit möglich“. Gottlob.

Gern wüsste man, was die beiden Kamele von Nancy Graves wohl von dem Ganzen halten, die von ihrem Standplatz aus einen perfekten Blick auf die Kreisenden haben. „Nothing!“ schallt es von den Bühnenfahrern bis zu ihnen her. Und: „Wasted!“ Oft ist auch zu hören: „No end in sight!“ Unfreiwillig trifft es das ganz gut. „Marvellous! ist auch oft zu hören. Das trifft es dann eher nicht.

Darsteller kreisen zu Gedankenfragmenten, die sich zu nichts verbinden? So gefeiert Baczyński-Jenkins‘ Ausweichmanöver weltweit auch sind: Für ein Tanzfestival wie „schrit_tmacher“ ist die hochrepetetive Produktion zu leichtgewichtig.

Es gehe um Queerness, heißt es. Auch nach Viertelstunden des Zuhörens teilt sich das jedoch nicht eindeutig mit. Was sich dagegen mitteilt: Rollerblade-Fahrer brauchen zwischendrin mal Pause. Also steht Mineralwasser bereit, und zum Hinsetzen ist ja genug Platz da. 

Schausspielerisch ist hier nicht viel zu holen, tänzerisch nicht, inszenatorisch nicht, inhaltlich nicht. Das Konzept, die Bedeutungsbehauptung, scheint hier wichtiger zu sein als das Resultat. Auch, dass vereinzelt jemand die Bühnenfläche verlässt und, angedeutet, ein bisschen durch die Ausstellung kurvt, fesselt nicht.

Klammheimlich wünscht man sich, eine Leinwand möge sich in das Amphitheater herabsenken, mit Szenen aus der SciFi-Konzernkritik „Rollerball“ von Norman Jewison aus 1975 oder den Sex-Kriegerinnen aus Donald Jacksons kultigem „Roller Blade“-Splattertrash von 1986. Aber das passiert natürlich nicht. Das hier ist ja Hochkultur.