Grande Finale in Aachen

Vom Winde verweht

Der Abschluss des diesjährigen schrit_tmacher-Festivals in Aachen entlässt mit „Flow“ von Linga & Keda das Publikum zufrieden eingelullt

von Rico Stehfest

Betörend ist hier nicht der Tanz. Es ist die Musik, live äußerst sensibel gespielt von E’Jong-Ju auf einer Geomungo, einer koreanischen Zither, und elektronisch gespiegelt durch Mathias Delplanque. Gemeinsam bilden sie seit 2010 das Duo Keda. In „Flow“, der schweizerischen Compagnie Linga von Katarzyna Gdaniec und Marco Cantalupo, bieten sie die rhythmische Klangfläche für ein Wehen und Treiben einer organischen Einheit aus sieben Tänzerinnen und Tänzern.

Gruppendynamische Beobachtungen aus dem Tierreich sind es offiziell, die hier als Grundlage dienen, Bewegungen von Vogelschwärmen und Tierherden. Genauso gut lassen sich die Bewegungsmuster aber auch als Gras lesen, dass sich geräuschlos im Wind wiegt. Die Assoziationen erschließen sich schnell und unkompliziert, so übersichtlich sind Dramaturgie und Choreografie gefasst. Wie ein Atmen, ein Rauschen wirkt der verzögerte erste Auftritt der Tänzer. Die Natur hat es nicht eilig. Ein bisschen Bewegungsmaterial aus dem Chi Gong oder Tai Chi, später, wenn der Rhythmus anzieht, mag man ein paar Einsprengsel aus der Richtung des Capoeira erkennen.

Linga FLOW©TANZweb.org_Klaus Dilger.016

Linga FLOW©TANZweb.org_Klaus Dilger.016

Diese Organik der Einheit, die Vereinzelung nur als kurze Momente kennt, ist deutlich nach innen gekehrt. Das in seiner Komplexität überschaubare Bewegungsregister funktioniert ganz für sich, ohne sich mitzuteilen. Es braucht nichts weiter, um die Bewegungswechsel und Umkehrungen der Dynamik zu lesen. Das ist entspannt, aber eben auch ohne weitere Aussage, von einer Entwicklung ganz abgesehen. Die Tänzerinnen und Tänzer treiben sich gegenseitig im Kreis über die Bühne, mal jagt die eine den anderen, mal läuft jemand voran. Hebefiguren bringen Abwechslung, aber keine weitere Komponente in der Aussage.

Trotz aller musikalischen Variationen, die neben zarten auch starke Momente voller Unruhe bringen, bleibt alles verhalten und still. Dabei wird irgendwann deutlich, dass die Ruhe eines gemächlich dahinfließenden Flusses auch einförmig sein kann, trotz eventueller Stromschnellen. Es kommt zwar zum Bruch, indem die Gruppe aufgelöst wird und ein einzelner Tänzer ein auffällig expressives Solo bringt, das zum Duo ausgebaut wird. Aber schnell wird deutlich, dass hier Charakterzüge liegen, das Individuum zwar befreien, aber gleichzeitig fordern. Auf Dauer hat das in diesem Konzept keinen Bestand. Die einzelnen Komponenten ziehen dann doch sehr schnell wieder einander an, nur die Masse hat Bestand, die sich hier aber nicht als Gemeinschaft im gesellschaftlichen Sinn versteht. Der Zusammenhalt ist ein intuitiver, kein gewollter. Das Individuum scheint hier nicht auf.

Linga FLOW©TANZweb.org_Klaus Dilger.016

Linga FLOW©TANZweb.org_Klaus Dilger.016

Durch das Ausbleiben einer Entwicklung oder Veränderung verharrt „Flow“ im Aufzeigen eines einzigen Momentes, eines einzigen Gedankens. Für die Dauer einer Stunde erscheint das etwas wenig, zumal sich auch das Bewegungsvokabular recht schnell erschöpft. Erschöpft ist auch das Ensemble, dessen Energie nicht bis zum Ende auf dem nötigen Niveau bleibt. Das enttäuscht etwas. So verrinnt alles in Wiederholungen, die beliebig wirken, und der Fluss versandet. Das Aachener Publikum hat sich trotzdem dankbar und begeistert gezeigt.

Linga FLOW©TANZweb.org_Klaus Dilger.016

Linga FLOW©TANZweb.org_Klaus Dilger.016