First and Further Steps in der Fabrik Heeder Krefeld:
Momente, Effekte und der Rote Faden…
Die Kompanie „Peculiar Man“ tanzt die beiden Stücke „NATUR SCHAU SPIEL“ (Uraufführung) und „The Man“
Nachtkritik von Bettina Trouwborst
NÄHE ZU PINA BAUSCH
Die Bühne ist bedeckt mit Erde. Hier und da stecken kleine Getreidehalme darin. Gießkannen liegen verteilt herum. Ein Mann harkt behutsam den Boden, wässert ihn. Als er einen glitzernden Stein findet, legt er ihn in ein Behältnis. Wer da an die Natur-Bühnenbilder des Tanztheaters Wuppertal denkt, liegt nicht falsch – „Sacre du Printemps“, getanzt auf Torf, oder das berühmte Nelkenfeld. Jan Möllmer und Tsai-Wei Tien, die beiden Köpfe hinter der Kompanie „Peculiar Man“, sind eng mit Pina Bauschs Tanztheater verbunden. So prominent sie auch als Tänzer*in unterwegs sind, zählen sie doch als Choreograf*innen noch zum Nachwuchs: Möllmer erhielt in 2015 den Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen. Mit zwei inspirierenden, kleinen Stücken waren sie zu Gast in der Fabrik Heeder im Rahmen der Reihe „First and Further Steps“.
Möllmer und Tien gründeten das Ensemble 2017 in der Überzeugung, dass Kunst die Welt eines Menschen verändern kann – und wollen mit ihren Arbeiten einen Beitrag dazu leisten. Der Wuppertaler und die Taiwanesin haben viele Gemeinsamkeiten in ihrer Vita: Sie absolvierten eine Tanzausbildung an der Folkwang Universität der Künste, waren beide engagiert im Folkwang Tanzstudio.
Die Nähe zum deutschen Tanztheater könnte kaum stärker sein. Möllmer entschied sich für den Tänzer-Beruf, nachdem er bei dem Jugendprojekt „Kontakthof – mit Teenagern“ von Pina Bausch mitgewirkt hatte. Zudem war er fünf Jahre Gast in dem berühmten Ensemble. Außerdem besorgte er die choreografische Assistenz für Reinhild Hoffmann, eine weitere Ikone, am Theater Bonn. Tien ist seit 2015 festes Mitglied des Tanztheaters Wuppertal. Gleichzeitig kooperieren beide in verschiedenen choreografischen Projekten mit anderen Künstler*innen in NRW, aber auch im Ausland.
NATUR SCHAU SPIEL
Die Uraufführung „NATUR SCHAU SPIEL“ zeigt eine junge Frau (Narumi Saso), die sich in der Natur bewegt, sich auf spielerische und sinnliche Weise mit ihr verbindet, aber auch vereinnahmt wird. Starke Bilder entstehen, wenn Regen oder Sturm sie erfassen. Dass auch der Mensch Teil der Natur ist, wird deutlich, wenn der Mann (Baptiste Bersoux) Lärm erzeugt und und sie vor Angst gezittert – ihre Idylle ist bedroht.
Die Kompanie arbeitet stark mit Bildern, weniger mit choreografischen Sequenzen. Vor allem in „Natur Schau Spiel“ gleitet Narumi Saso von einem Motiv ins nächste. Dabei sind die „Seitenblicke auf Naturdokumentationen, literarische Stoffe, Mythen und Werke der bildenden Künste“, wie es auf der Website von „Peculiar Man“ heißt, nicht so leicht zu erkennen. Wenn die Tänzerin zu Beginn des Stückes eine Bodenluke öffnet, unter der sich ein rechteckiges Wasserbecken befindet, steigt sie hinein und drückt die Tür darüber hoch. Später werden Bersoux und sie durch diese getrennt sein – so sehr sie auch davor gestikulieren und mit den Fäusten dagegen klopfen. Man kann ein Orpheus-und-Eurydike-Motiv darin sehen, aufdrängen tut es sich nicht. Einnehmend sind die Versunkenheit und Sinnlichkeit, mit der die Frau erst Halme in eine dichte Reihe pflanzt, später zwischen ihre Zehen steckt, dann Gesicht und Hände im Wasser wäscht. Es sind Bilder der Ruhe und Harmonie, die Bersoux, Zirkusartist und Bühnenbildner, mit seinem selbst erzeugten Abrisslärm zerstört. Auf die Thematik von Umweltzerstörung oder Klimakrise geht das Stück aber nicht tiefer ein. Es gibt auch humorvolle Momente: Mit dem Biss in einen Apfel vor einem Mikrofon, produziert er beunruhigende Geräusche.
Was fehlt, ist ein roter Faden, eine übergeordnete, weiterführende Idee, die die einzelnen Szenen zusammenhält. Auch tänzerisch und choreografisch hätte man sich deutlich mehr gewünscht. Im Hintergrund agiert Bersoux hinter einer Trennwand. Lange Zeit meint man, und es wird auch suggeriert, dass dahinter das Geheimnis des Stückes verborgen ist. Diese Erwartung wird aber nicht erfüllt.
THE MAN
Ganz anders „The Man“ aus dem Jahr 2015. Die Bühne ist leer bis auf einen kleinen Tisch mit Telefon und einem darunter liegenden Bügeleisen. Eine schräge, weiße Wand begrenzt den Raum nach hinten. Schräg sind auch die beiden Menschen, die sich hier eine Art Duell liefern zwischen Liebe und Hass, Bosheit und Zärtlichkeit. „The Man“ ist eine gut komponierte, so originelle wie gefällige Arbeit zu stimmungsvoller Musik von Maurice Ravel, Clara Rockmore und Janis Joplin. Auch hier vermisst man intensivere, tänzerische Passagen.
Es beginnt und endet mit einer Zigaretten-Szene. Möllmer in schickem Hemd, Weste, Krawatte und Anzughose nimmt sich eine Zigarette aus der Schachtel, führt sie zum Mund, wirft sie zu Boden, tritt sie aus. Das dauert, denn er arbeitet mit verzögerten Bewegungen wie im Comic. Die deutlich kleinere Tien hält sich im langen, schwarzen Mantel erst hinter ihm, dann beginnt ein unterhaltsames, meist ruppiges Duett. Wobei die beiden nicht miteinander tanzen, vielmehr ist ihr Mantel sein Partner. An der Taille oder am Kragen zieht er sie hoch, macht sie zur Schlenkerpuppe. Immer wieder wird der Größenunterschied der beiden zu kreativen Einfällen genutzt. Witzig: Wenn die Tänzerin mit dem Rücken zum Publikum nach vorne geht und dabei langsam in die Knie sinkt. Da der Mantel fast bodenlang ist, entsteht der Effekt, dass sie schrumpft.
Strukturierendes Element ist das immer wieder läutende Telefon. Es löst bei der Frau eine Ohnmacht aus, lässt den Raum bedrohlich vibrieren, haut schließlich auch den Mann um. Die Spuk endet erst, als Tien das Bügeleisen ans Ohr hebt. Das Schlussbild bringt die Beziehung auf den absurden Punkt: Er steht hinter ihr und schließt seinen Mantel um sie. Während er sich wieder, in comicartig verzögerten Bewegungen, eine Zigarette nimmt, ringt sie – ob das engen Knopfes über ihrer Brust – um Luft.
Interessant wäre es zu wissen, ob es eine literarische Vorlage zu dieser theatralen Miniatur gibt. Wenn nicht – schön ausgedacht.
Das Publikum, das zu einem beachtlichen Teil aus Angehörigen der Folkwang Universität, des Folkwang Tanzstudios und des Tanztheaters Wuppertal bestand, feierte die beiden Stücke mit Begeisterung.