Artmann&Duvoisin gastieren beim Festival Move! in der Fabrik Heeder

Nachrichten sind meistens ungesund…

die Produktion „Umzug in eine vergleichbare Lage“

Von Bettina Trouwborst

Nachrichten sind meistens ungesund für den Konsumenten. Denn sie sind fast immer negativ: Das Aussetzen der Aufnahme von Flüchtlingen während der Coronazeit, die steigenden Infektionszahlen, die düsteren Prognosen für die kommenden Monate. Es sind nicht nur die Inhalte der eingespielten Nachrichtensendung von März 2020, die die vier Performer*innen von Artmann&Duvoisin physisch erschaudern lassen, sondern auch die Verlogenheit, Gleichgültigkeit und Berechnung, die sie hinter den Masken aus Gestik und Sprachakrobatik von Politikern oder Firmenchefs auf beeindruckende Weise freilegen und tänzerisch leise kommentieren.

„Umzug in eine vergleichbare Lage“ lautet der – vermutlich mit Blick auf die Flüchtlingsthematik zynische – Titel der Performance, die das Kölner Künstlerduo im Frühjahr 2020 auf dem Höhepunkt der Coronakrise kreierte. Im Rahmen des Krefelder Festivals Move! gastierte die Kompanie in der Fabrik Heeder. Das Stück hebt sich ab – nicht nur durch die Verbindung von Tanz, gesprochenem Wort, Gesang und den Videos (brillant: Ale Bachlechner). Originell ist vor allem das Sujet: Nachrichten als Rechercheobjekt, Dokumentation von Zeitgeschehen mit den Mitteln der Darstellenden Kunst. Inspiriert hat das Projekt die US-amerikanische Choreografin und Tänzerin Simone Forti. Die 86-jährige Pionierin der Performance-Kunst improvisierte schon vor Jahren über die Bildhaftigkeit von Sprache in Zeitungsartikeln und Nachrichtensendungen.

ArtmannDuvoisin-gastieren-mit-der-Produktion-„Umzug-in-eine-vergleichbare-Lage-©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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„Umzug in eine vergleichbare Lage“ lässt sich schleppend an, gewinnt nach den ersten 30 Minuten aber zunehmend an Schärfe und entwickelt phasenweise einen regelrechten Sog – auch wenn es mitunter nervt, weil es nerven will. Irritationen wie schriller Sprechgesang, der den Nachrichtensprecher fast übertönt, sind so unangenehm für das Ohr wie ein Alarmsignal.

Innenminister Horst Seehofer spricht zu uns. Er bedauert, dass Deutschland nicht allen Menschen helfen kann. Der österreichische Ex-Kanzler Sebastian Kurz betont, dass sein Land ja helfen wolle und vielleicht sogar 100 Kinder aufnehmen werde. Und der Unternehmer Clemens Tönnies sagt, dass er zu der Verantwortung für die Zustände in seinen Schlachtbetrieben stehe. Wir hören diese öffentlichen Personen, doch die Lippen, die ihre Worte formen, gehören zu Elsa Artmann. Ihr gelingt es in dem Video, das auf der niedrig hängenden Leinwand über dem weißen Bühnenquadrat läuft, die gespielte Solidarität und Menschlichkeit offenzulegen. Ohne das (richtige) Gesicht zur Stimme bleiben nur die Worthülsen – ein überraschender Effekt. Auch die Tänzerkörper reagieren. Die Bewegungen kommentieren, meist im wiegenden Rhythmus der Worte, mit unmerklichen Anspielungen die Reden: ein leises Zittern, eine irritierte Kopfbewegung, ein mutloses Niedersinken auf den Boden. Es sind kantige, strenge Formationen mit vielsagenden Akzenten.

Elsa Artmann, Diana Treder, Anne-Lene Nöldner und Samuel Duvoisin, alle vier beeindruckende Performer, tragen Mikroports. Denn sie erzählen, während sie bis zur Erschöpfung tanzen, von Erlebnissen und Beobachtungen. Was zunächst nach einem harmlosen Nachmittag im Köln-Mülheimer Stadtgarten klingt, entwickelt sich zu einem menschlich fragwürdigen Geschehnis. So spiegeln die persönlichen Berichte die Nachrichtenlage. Dazu kommen Sätze, die die Akteure wie Mantras oder Affirmationen wiederholen und dabei einzelne Worte verschieben, so dass diese Glaubenssätze hinterfragt und letztlich ad absurdum geführt werden.

ArtmannDuvoisin-gastieren-mit-der-Produktion-„Umzug-in-eine-vergleichbare-Lage-©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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„Wer loslässt, hat beide Hände frei“, wiederholt Samuel Duvoisin. Je öfter er es sagt, desto ironischer klingt es.

Es ist eine Stärke des Abends, dass seine Botschaften erst durch genaues Hinschauen und Hinhören durchdringen. Das Augenöffnen für allgegenwärtige Manipulation macht vor der eigenen Kunst nicht halt: Auch der trübsinnige Quarantäne-Fensterblick in den Regen ist nichts als Konstruktion, wie eine lange Kamerafahrt aufdeckt: Der Gartenschlauch liefert den Regen und ein Reflektor liefert den melancholischen Schimmer.

Wenn am Ende, gegen 21.15 Uhr, die soeben erst aufgezeichneten 21 Uhr-Deutschlandfunk-Nachrichten eingespielt werden, ist der Bezug zur Tagesaktualität hergestellt. „Umzug in eine vergleichbare Lage“ ist eine intellektuell fordernde, ästhetisch anspruchsvolle Arbeit. Allerdings würde dem Abend eine dramaturgische Straffung gut tun: Es gibt ein Zuviel an Sequenzen, die sich nicht erschließen oder sich inhaltlich einfach nur wiederholen. Dennoch sind Artmann&Duvoisin und ihre gesellschaftspolitischen Analysen unserer Zeit eine Bereicherung für NRWs Performance-Szene.

artman&duvoisin©TANZweb.org_Klaus Dilger

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