Urban Arts Ensemble mit EXPOSURE

Rasen verboten

Im Alten Wuppertaler Schauspielhaus, dem geplanten Pina-Bausch-Zentrum, gastierte das Urban Arts Ensemble Ruhr aus Herne mit „Exposure“.  Kein Highlight.

(Anmerkung der Redaktion: Das Programmheft des Veranstalters setzt die Messlatte der Erwartungen hoch: „…Die Aufführung von EXPOSURE ist eine so wahrscheinlich noch nie gesehene Reise zum Menschen, zum Leben an sich.“)

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von Melanie Suchy

Stattdessen: Kunstrasen. Das Wort ist schöner als die grünen Gräser, auf die das Publikum von allen vier Seiten schaute im Foyer des Schauspielhauses. Das war die Plastikwelt, die der großen Tänzerschar zur Verfügung stand und die sie mit bloßen Füßen betrat. Wahrscheinlich sollte es eine fingierte Natur darstellen, ein Fake, aber die Choreographie stellte diesen Boden nie in Frage. Deshalb wirkte er eher wie ein billiger Teppich. Die vierzehn Tänzerinnen und Tänzer hätten Besseres verdient.

Die acht des deutschen Ensembles wurden von sechs aus der Compagnie Danza Contemporánea de Cuba ergänzt. Was für eine großartige Kombi. Aber die zwei Choreographen, der in Kuba geborene Julio César Iglesias Ungo und der Niederländer Hans van den Broeck, gönnten ihnen viel zu wenig Sichtbarkeit. Nebel dunstete auf der Bühne, und diese war nur schummrig beleuchtet. Halbschatten herrschte.

EXPOSURE©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Unsichtbar

Den Anfang machten Handy-Taschenlampen, die von der Galerie oben blinkten. Später strömten und sausten per Lichteffekt Glühpünktchen übern Rasen.

Laut war es außerdem. Das tiefe Brummen, Krächzen, Pochen des Komponisten Ben Frost – live am Soundpult – dröhnte derart aus den Lautsprechern, dass es nicht nur das 50-Minuten-Stück in Szenen strukturierte, sondern sich mit der Dunkelheit verbündete zu einer Dominanz des Unguten. Schlimme Welt. So setzte „Exposure“ titelgemäß („Exponierung, Ausgesetztsein“) auf Überwältigung. Wer sich so etwas ungern aussetzt, dem ging es einfach auf die Nerven. Allerdingss kann es sein, dass die Nähe, Enge, Kleinheit des Aufführungsortes diesen für große Bühnen geschaffenen Effekten nicht gewachsen war.

Bis am Ende dann – Achtung Spoiler – die Tänzer, die lebendigen Menschen, sich Licht und Sound erobert haben. Exposure kann eben auch Aufdecken, Enthüllen heißen. Ihre Gesichter sind endlich zu sehen, und ihre Stimmen, ohne Mikro, zu hören, und zwar im Chor. Rhythmisch, Rufe, die zu fast ekstatischem Gebrüll werden.

„Exposure“ stellt so eine simple Geschichte dar: eine Befreiung, die hart errungen wird mit einer Art physischen Aufbegehrens. Zuvor mussten sich die Figuren erst einmal aus einer Menge brav funktionierender Elemente oder Zombies lösen. Individuen werden. Wie wahr. Dazu hält einer der Tänzer sogar eine Ansprache, fragt „wer bin ich?“ und tut verwirrt, weil er einen Geburts- und einen Spitznamen trägt. Die Mutter rufe ihn Jonas, die Freunde Jonski. Er hält das für ein Problem.

EXPOSURE©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Die Problemfigur des Stückes stellt ein blondierter Tänzer in Anzughose und Hemd dar. Eine Art Bürokrat. Er kann nur langsam gehen, schlurft und ruckelt dabei ein wenig. Seine fiese Freundlichkeit erinnert an einen Hubot in der unvergesslichen Serie „Real Humans“. Sobald er steht, reden seine Hände und Arme allerlei Ecken und Klötzchen. Sein Mund redet davon, dass alle Gedanken aufgenommen werden sollen, „record all your thoughts“. Er ist wohl PichaiZuckerbergBezosMusk oder Der KapitalistKolonisator.

Die anderen Tänzerinnen und Tänzer sind auch erst langsam und spähen von draußen über die Bühne hinweg, treten ein, treten aus, werden schneller, bis sie rasch in geraden Linien hinlaufen, herlaufen auf einem Wege-Kreuz mit Hubot in der Mitte, der buchstäblich im Weg steht, nicht ausweicht und nicht beachtet wird vom Vorbeirauschen. Irgendeine Geschäftigkeit treibt alle an.

Die Tänzer tun alle das Gleiche, aber nicht wirklich gemeinsam, so scheint es. Zuweilen bilden sie einen Klump und absolvieren eine repetitive Choreo mit aufstampfenden Schritten, EINS-zwei-drei, rechts-links, Schenkelklatschen, Wenden. Später kommen Hüpfer dazu, gekreuzte Arme, ausholende, raffende Arme, vorwärtswogende Oberkörper, tieferes Bücken. Alles unisono.

Später gewinnen die Figuren mehr Platz für sich, oder „das System“ gewährt ihnen den. Der Gruppentanz wird vielfältiger, die Knie wedeln, Schritte sinken tiefer, Füße stehen breiter oder hibbeln, die Arme wirken kämpferischer, mit Kanten, Schienen, Schnitten. Phrasen Einzelner wandern in die Gruppe.

Die Choreographie kombiniert Stile aus dem afro-kubanischen Repertoire, dem Breakdance, Krump und Modern Dance. Für Sekunden spratzeln einzelne Tänzerinnen und Tänzer mit ihren Lieblingsstilen, kleine, nur scheinbar wilde Ausbrüche von Sprüngen, Stürzen, Pirouetten, Gliederwerfen, von Salti, Handständen auf Unterarmen oder anderen B-Boy-Tricks in Bodennähe. Sie werden nun nicht übernommen von anderen. Bleiben unangeeignet.

Wenn man im Halbdunkel kaum mehr erkennt, wer auf Beinen, wer auf Armen kobolzt und umherfedert, wird „Exposure“ doch kurz magisch.

Dreibeiner

Die Nummer mit den zu Hunden auf vier Beinen mutierenden Tänzern samt Gebell ist ärgerliche Überdeutlichkeit. Schade auch, dass insgesamt die Männer dominieren in dem Stück, sie exponieren nicht nur akrobatische „Tricks“ und Schulterverrenkungen, sondern am Ende noch ihre muskulösen Oberkörper.

Etwas als bedeutungsvoll zu zeigen, wie diese Befreiungsgeschichte, macht halt noch keine gute Kunst. Doch was hinter „Exposure“ steckt oder unter ihr als Basis, hat wirklich eine große Bedeutung: eine lange, harte Arbeit, der Einsatz für die sogenannten urbanen Künste, HipHop, Urban Dance, den der der Verein Pottporus in Herne und das (bislang projekthafte) Ensemble Renegade leistet, allen voran Zekai Fenerci. Aus Renegade wurde mit dem Neu-Aufstellen 2023 dank größerer, kontinuierlicher NRW-Landes-Förderung das „Urban Arts Ensemble“, in Deutschland (neben Miller De Nobili in Dresden) einzigartig. Das lebt hoffentlich noch lange.

Den Boden entzogen

Denn das entsprechende Ministerium bekleckert sich momentan mit fürchterlichstem Geldkürzungsruhm, gepaart mit Nichtkommunikation, was insbesondere die freie Tanzszene betrifft.

EXPOSURE©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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