AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG BEI “MOVE!” -FABRIK HEEDER
Tanzfotografien von Karl Werner Maria Meyer, Köln
“Bewegung greifen”
eine Laudatio von Thomas Linden
Worin besteht die Erotik des Tanzes? In zwei Phänomenen, die auch essenzielle Bestandteile der Fotografie sind. Zum einen handelt es sich um die Zeit und zum anderen um die Geste. Die Geste ist eine Bewegung, die Bedeutung besitzt. Der Begriff der Geste leitet sich aus dem lat. Gesta ab und führt in seiner Verwendung zu zwei aufschlussreichen Wortbedeutungen, dem Erzählen und dem Nähren. Zwei Phänomene, die zusammen gehören. Mit dem Erzählen erklären wir uns die Welt, es enthält Bedeutung, die an uns weitergegeben wird. Bedeutung meint, dass eine Sache auch auf einer zweiten – zunächst nicht immer sichtbaren – Ebene für uns Relevanz besitzt. Deshalb sind Bewegungen auch nicht einfach so in der Welt, sondern sie sprechen zu uns. Sie sind gerichtet auf Begegnungen zwischen Menschen, und eine der zentralen Formen der Begegnung ist die zwischen zwei Menschen, die einander anziehen. Hier kommt etwas zusammen, und wo das geschieht, gibt es ein Vorher und ein Nachher.
Werner Meyer gehört zu den Fotografen, die eine Szene zu „lesen“ verstehen. Die sie dramaturgisch begleiten und denen der Moment, auf den die Situation zu läuft, nicht entgeht. Dazu gehört Erfahrung und Intuition, letztere besitzt er in großem Maße, und das ist wahrlich nicht selbstverständlich. Es gibt Fotografen, die sind Jahrzehnte in diesem Gewerbe unterwegs und trotzdem bleibt ihnen die psychologische Unterströmung einer Situation verborgen.
Eine Tatsache, an der sich die grundsätzliche Bedeutung der Fotografie für den Tanz ermessen lässt. Monate, manchmal Jahre gehen während der Vorbereitung einer Produktion ins Land, die dann in einigen Aufführungen abgespielt ist. Was bleibt von ihr? Das Erlebnis für diejenigen, die sie gesehen haben. Das ist viel, aber zugleich verteufelt wenig, gerade wenn sie einem als Zuschauer unvergleichliche Momente geschenkt hat. Eine Fotografie belebt das, was wir er-innert haben. Denn in der Vergänglichkeit der Bewegung erfüllen sich das Schicksal und die Erotik des Tanzes.
Für Werner Meyer stellt die Flüchtigkeit, die das Wesen der darstellenden Künste ausmacht, eine konkrete Herausforderung dar. Wobei der Tanz mehr handwerkliches Geschick, Fitness und Geistesgegenwart von ihm verlangt als das Theater. Tänzer bewegen sich schneller, komplexer und deshalb unberechenbarer als Schauspieler. Und der Tanz funktioniert anders als das Theater, dort erzählt sich die Geschichte des Stücks in den Gesichtern, beim Tanz übernimmt hingegen der Körper diesen Part. Das heißt aber nicht, dass dem Fotografen nicht die Gesichter und vor allem die Augen der Tänzer entgehen dürfen. Keine leichte Aufgabe, wenn – wie er mir erklärte – gerade eine Pirouette gedreht wird.