AUFRUHR IN DER TANZ- UND THEATERSZENE NRW
Am Wochenende kursierten die Meldungen in den Sozialen Medien und Postfächern der Kulturredaktionen über geplante massive Kürzungen im Kulturbereich in NRW. Genauer gesagt, in den Spitzenbereichen der Theaterförderung der Freien Szene, perspektivisch aber wohl auch in der Tanzszene.
Offizielle Meldungen seitens des Ministerium waren nicht auffindbar. Unsere Nachforschungen ergaben:
Das Ministerium für Kultur und Wissenschaften des Landes NRW, vertreten durch Dr. Michael Reitemeyer (Gruppenleitung Kultur im MKW), hat die Informationen zu den geplanten (oder auch beschlossenen) Kürzungen am Freitag in einem Zoom-Termin an die aktuell geförderten Gruppen der Spitzenförderung Theater und Kinder- und Jugendtheater kommuniziert. Eine öffentliche Pressemitteilung des Ministeriums zu den Kürzungen wurde von den Gruppen eingefordert, ist aber bislang nicht erfolgt. Auch andere offizielle öffentlich einsehbare Dokumente dazu gibt es noch nicht.
Nun veröffentlichte das NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste folgende Stellungnahme dazu:
Massive Kürzungen an der Spitze
Die Gesamtförderarchitektur der Freien Szene steht infrage
Die Spitzen- und Exzellenzförderung für die Bereiche Theater und Kinder- und Jugendtheater soll nicht nur drastisch gekürzt werden, sondern auch in der Systematik wesentlich verändert werden. Dies kommt einer Zerschlagung der bisherigen Förderarchitektur gleich.
Dortmund, 10.05.2025
Nach Monaten des Stillstands und des Schweigens gab das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW (MKW NRW) nun Antworten auf die Frage nach der Zukunft der wichtigen dreijährigen Förderprogramme für die Freien Darstellenden Künste.
Konkret gibt es nun zumindest Aussagen zur Exzellenz- und Spitzenförderung Theater und zur Spitzenförderung Kinder- und Jugendtheater, den beiden Förderlinien mit dem größten Zeitdruck, da die aktuelle Förderperiode zum 30.06.2025 ausläuft: Insgesamt soll hier in Zukunft nur noch knapp die Hälfte der bisherigen Summe zur Verfügung stehen. Die grundsätzliche Begründung seitens des Ministeriums ist die unkalkulierbare Haushaltslage für die Jahre 2026 ff.
Diese Nachricht bereits ist katastrophal für die Freie Szene in NRW: Zum einen wird die extreme Kürzung diversen renommierten Theatergruppen, die sich teils seit weit über zehn Jahren in Landesförderung befinden, die Existenzgrundlage nehmen – und das mit einer Kurzfristigkeit, die so gut wie keine Zeit mehr lässt, einen Plan B zu entwickeln. Die Kürzung wird aber vor allem auch dazu führen, dass sowohl dem Publikum in NRW weniger qualitätsvolle Kunst zur Verfügung stehen wird als auch die Strahlkraft NRWs über seine Grenzen hinaus sinken wird.
Absolut nicht nachvollziehbar ist darüber hinaus aber, warum jenseits der Budgetreduktion nun auch noch für zwei Bereiche einer bislang identischen Förderung strukturell unterschiedliche Wege gegangen werden sollen:
Im Bereich des Theaters für erwachsenes Publikums soll die ursprüngliche Systematik erhalten bleiben und „nur“ die Anzahl der geförderten Gruppen und Ensembles um knapp die Hälfte reduziert werden. Statt bislang drei Plätzen in der Exzellenzförderung (je 100.000 Euro/Jahr) und acht Plätzen in der Spitzenförderung (je 80.000 Euro/Jahr) sollen nun nur noch zwei Plätze in der Exzellenzförderung und vier Plätze in der Spitzenförderung vergeben werden.
Das jährliche Gesamtbudget sinkt damit von 940.000 Euro auf 520.000 Euro.
Im Bereich Kinder- und Jugendtheater jedoch soll die Spitzenförderung in der bestehenden Form abgeschafft werden. Stattdessen sollen neue Förderflüsse etabliert werden. Bislang standen hier sechs Plätze mit einer Fördersumme von je 80.000 Euro pro Jahr zur Verfügung, insgesamt also 480.000 Euro. Diese Summe soll nun auf insgesamt nur noch 240.000 Euro jährlich reduziert werden, wovon jedoch nur noch 120.000 Euro an Gruppen der Freien Szene gehen sollen. Die restlichen 120.000 Euro sollen künftig an institutionell geförderte Häuser des Theaters für junges Publikum fließen.
Die 120.000 Euro, die weiterhin den Gruppen der Freien Szene zur Verfügung stehen sollen, werden jedoch auch nicht wie bisher in einem offenen Juryverfahren verteilt werden. Die Mittel sollen als Dauerförderung an vier der sechs aktuell geförderten Gruppen gehen – und zwar an die, die sich am längsten in der bisherigen Spitzenförderung befunden haben. Jede dieser vier Gruppen soll künftig 30.000 Euro statt bislang 80.000 Euro jährlich erhalten.
Eine konzeptionelle Erklärung für diese Neuausrichtung des Bereichs Theater für junges Publikum war bislang aus dem Ministerium nicht zu bekommen. Diese Entscheidung ist aus Sicht eines Fachverbandes nicht nur inhaltlich erstaunlich und zerschlägt die Logik eines etablierten und bundesweit einzigartig geltenden Gesamtfördersystems – sie steht auch im eklatanten Gegensatz zur Aussage von Frau Ministerin Brandes im Ausschuss für Kultur und Medien des Landes vom 16.01.2025 (siehe Protokoll, S. 45). Wie im Wortprotokoll nachzulesen ist, beschrieb die Ministerin zwar bereits zu diesem Zeitpunkt die finanziellen Unwägbarkeiten, beteuerte aber, dass an der Struktur der überjährigen Förderprogramme nichts geändert werden solle.
Zum jetzigen Zeitpunkt ist noch nicht klar, was dies alles konkret für die neuen Ausschreibungsprozesse heißt. Jedoch ist definitiv abzusehen, dass keine lückenlose Anschlussfinanzierung ab Juli 2025 möglich sein wird. Selbst unter normalen Umständen könnte ein seriöses Verfahren vom jetzigen Zeitpunkt aus frühestens zu einer Juryentscheidung ab September 2025 führen. Die verschärfte und veränderte Situation erfordert jedoch, dass auch hier Prozesse neu gedacht werden müssen.
Dass es für die Zeit bis dahin wenigstens eine Art Übergangsfinanzierung für die Gruppen geben könnte, will das MKW NRW zumindest noch nicht gänzlich ausschließen. Eine verbindliche Aussage gibt es jedoch nicht – im Gegenteil wurde bereits verstärkt darauf hingewiesen, dass auch für das Jahr 2025 weniger Geld zur Verfügung stünde als geplant. Eine klare Antwort darauf, warum nicht zumindest die Gelder, die ja eigentlich für die Förderlinien für das zweite Halbjahr 2025 in der ursprünglichen Höhe von 710.000 Euro einkalkuliert sein müssten, für eine solche Zwischenlösung verwendet werden können, war bislang nicht zu bekommen.
WAS BEDEUTET DIES FÜR DEN TANZ?
Auch zur Zukunft der Konzeptionsförderung und der Spitzenförderung Tanz gibt es bislang keine Aussagen. Dabei startet die nächste Förderperiode der Konzeptionsförderung bereits zum 01.01.2026 und müsste auch aktuell ausgeschrieben werden. Durch die massive Kürzung im Bereich der Exzellenz- und Spitzenförderung ist bereits jetzt zu erwarten, dass sich der Druck auf die anderen Förderprogramme deutlich erhöhen wird.
FORDERUNG
Wir fordern das MKW NRW und die Landesregierung auf, diese für die Freie Szene fatalen Entscheidungen finanziell und inhaltlich zurückzunehmen und gemeinsam mit den Fachverbänden und Akteur*innen nach Lösungen zu suchen, wie trotz der angespannten Haushaltslage weiterhin der Blick auf die mittelfristige Gesamtentwicklung einer Szene gelingen kann – ohne dass durch kurzfristige Einzelentscheidungen ein gewachsenes System irreparabel beschädigt wird. Eine Übergangsfinanzierung für die akut betroffenen Gruppen würde hierfür zumindest etwas Zeit und Raum schaffen.
NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste e.V.
Anmerkung und Kommentar der Redaktion:
STEHT DAMIT AUCH DIE IDEE EINES PINA BAUSCH ZENTRUMS VOR DEM AUS?
Schwer vorstellbar, dass das Ministerium für Kunst und Wissenschaft des Landes NRW einerseits die notwendigen und über Jahre gewachsenen Strukturen der Freien Tanz- und Theaterszene des Landes zerstört und andererseits massive Investitionen tätigt in den Bau und anschliessend in den Unterhalt (anteilige Betriebskosten) des geplanten Pina Bausch Zentrums in Wuppertal.
Wer Theater- und Tanzstrukturen zerstört, vernichtet langfristig auch das Publikumsinteresse
Wir erinnern uns: wesentlicher Bestandteil der Machbarkeitsstudie für den Betrieb des geplanten Zentrums war die Revision des sogenannten actori-Papiers, das unter anderem vorsah, dort 436 Bezahl-Veranstaltungen mit Auslastungen über 70 Prozent durchzuführen. Zum heutigen Stand bereits vollkommen unrealistisch und undenkbar in Wuppertal. Der Abbau der Freien Szene, wie nun geplant, bedeutet auch einen weiteren Publikumsabbau, dessen scheinen sich die Verantwortlichen im Ministerium nicht bewusst zu sein. Publikum, das für den Tanz und allgemeiner für den Performance-Bereich verloren geht, lässt sich so schnell nicht zurück gewinnen, das wissen wir spätestens seit den Auswirkungen der (immer zweifelhafter werdenden) damaligen Corona-Politik.
Man muss nicht einverstanden sein mit allen bisher ausgewählten Strukturen, Institutionen und Künstlergruppen und deren Qualität und Bedeutung für die jeweilige Kunstform. Hier aber soll die Axt angelegt werden an die Wurzeln, die im Kunstbereich Perspektiven für eine qualitative Entwicklung, sowohl der Künstlerinnen und Künstler, als auch deren Publikum, als auch der begleitenden Medien bedeuten und somit der Gesamtwirkung, die Kunst in Gesellschaften entwickeln kann.