Uraufführung in der Bühne der Kulturen

Wunschloses Unglück

My Lovely White Dog Dancecompany auf hohem künstlerischen Niveau

Nachtkritik von R.Baumimgarten

Soviel Handke war nie. My lovely white dog, die (noch) in Köln ansässige Tanz-Compagnie um Nathalie Larquet und Klaus Dilger, begibt sich mit der neuesten Produktion INNERouterSPACES auf eine Exkursion in die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt. Die Außenwelt ist der benachbarte Kinderspielplatz, über den die Zuschauer die Bühne der Kulturen quasi durch die Hintertür betreten: Drinnen oder draußen, gehört man dazu oder nicht? Im Theater dann wird man von Bruno Ganz empfangen, der die letzten Zeilen des aus Wim Wenders‘ Film bekannten Gedichts Lied vom Kindsein von Peter Handke als Motto dem Abend voranstellt:
Als das Kind Kind war, 
warf es einen Stock als Lanze gegen den Baum, 
und sie zittert da heute noch.

Soviel Gegensatz war nie: Die Bühne der Kulturen und ihr heruntergekommener Charme als Himmel über Berlin? Und die „Lanze“ ist womöglich der Marterpfahl von besagtem Kinderspielplatz? Und sie zittert dort bis in alle Ewigkeit, so dass das Echo des Wurfes immerfort als Tanz zelebriert wird? Bewegt sie sich also doch, die Tanzszene in Köln, selbst wenn es nur ein Zittern ist?

Aber glücklicherweise kommt alles eine Nummer kleiner. Die Gedicht – Lanze materialisiert sich in der ersten Choreografie, einem rasanten Duett von Lynn  und Nathalie Larquet, als Besenstiel. Es ist ein schmaler Grat, eine falsche Bewegung, dass daraus nicht die Langeweile von zwei Frauen mit  Besenstiel, aha, zwei Hexen, wird. Es ist der Grat, der Kunst von Gefälligkeit trennt. Der Abend bewegt sich auf diesem hohen künstlerischen Niveau.

Das gilt auch für den Soundtrack (Lynn), der Opernarien inklusive Schellack-Rauschen mit einem Text verknüpft, der zunächst vorgibt, von Verpackungskunst zu handeln, bis sich herausstellt, dass es wohl um das aktuelle, akkordhafte Verpacken von Weihnachtsgeschenken geht. Der Reiz des Abends rührt aus dem Wechselspiel von Profanität und deren künstlerischer Überhöhung, der Spiegelung durch die beiden Tänzerinnen, die mit ihren Bewegungen so die Innenwelt der Außenwelt sichtbar machen. Das stilsichere, sparsam eingesetzte Licht (Klaus Dilger) erhöht die Wirkung, besonders in der Szene, in der das Licht aus der nackten Bühneninnenwand eine Außenmauer imaginiert, die echter als echt wirkt.

Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt kommt durch dokumentarische Schwarz-Weiß-Projektionen in die Inszenierung. Besonders tief beeindruckt eine Aufnahme mit Hartmut Misgeld, elder statesman der Tango-Szene in Köln, der erklärt, was für ihn Glück ausmacht, nämlich, dass das Glücksgefühl in der Intensität schwankt. Da ist sie also wieder, die im Baum steckende, zitternde Lanze, diesmal als oszillierendes Glück. Auch das wirkt als gelungene Metapher der künstlerischen Umsetzung des Profanen.

Und die Geschichte des Kindes selbst wird weitergesponnen. Statt einen Stock zu werfen, wirft es dreijährig als Befreiungsakt seine Schmusedecke weg (auf der Bühne als Flokati), mit sieben Jahren dann kommt es ohne Schuhe in die Schule und wird ausgelacht. Dabei schubst Lynn  einen Schuh über die Bühne, als würde der von selbst den Weg (zur Schuhle?) finden, INNERouterSPACES ist in seinen spielerischen Momenten auch ein INNERouterSPASS.

Nathalie Larquet setzt sich in ihrer Bewegungssprache, auch im Ursprungsland Israel, intensiv mit der „Gaga“-Technik auseinander. Dabei wechseln exaltierte Momente mit emotionalen ruhigeren Passagen, unterstützt durch die vom Körper isolierte Bewegung einzelner Körperteile. „Fühlen von Bewegungen“ nennen das die Gagaisten.

INNERouterSPACES ist ein, wenn auch kurzes, Tanz-Erlebnis, Understatement statt aufgemotzte Dutzendware. In Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat, wäre eine Fortsetzung sicher. Das scheint in Köln unwahrscheinlich. So bleibt es eine halbe Stunde der wahren Empfindung, ein kurzer Tanz zum langen Abschied.
„Overnight-Kritik“ von R. B.

Nächste Aufführung: 20.12.; 20 Uhr – BÜHNE DER KULTUREN