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Until we sleep

Far From the Norm und Botis Seva im Theater Kerkrade

Von Thomas Linden 

Wenn eine Granate einschlägt, dann hört man nach der Detonation, das Geräusch der aufgewühlten Erdbrocken, die wieder auf den Boden fallen. Nach dem ohrenbetäubenden Knall klingt das wie ein zarter Regen. Von diesem akustischen Eindruck erhielt das Publikum in Kerkrade während der Vorstellung von Botis Sevas Produktion „Until we sleep“ reichliche Kostproben. Wieder und wieder prasselten die Donnerschläge durch den dunklen Theatersaal. Der gebürtige Londoner Choreograph und seine schwarze Tanztruppe Far From the Norm positioniert sich mit postkolonialen Themen. Mitunter wirkte seine Inszenierung wie eine Kriegserklärung an das weiße Publikum. Dazu passte die Entscheidung des Ensembles, nach dem Schlussakkord nicht die Ovationen der Zuschauer entgegen zu nehmen. Auf diese Weise entsteht der Eindruck einer in sich geschlossenen Performance, die ihr Statement präsentiert und gleich einem erratischen Kunstwerk nicht mehr in theatralen Einzelleistungen goutiert werden muss.

Botis Seva ist bekannt für seinen multimedialen Umgang mit den Möglichkeiten der Bühne. Oftmals arbeitet er mit Fotografie, Film, Projektionen und installativen Kulissen. „Until we sleep“ schwört allen popkulturellen Verweisen ab und beschränkt sich umso wirkmächtiger allein auf die Möglichkeiten des Lichts, und macht selbst davon nur spärlichsten Gebrauch. Im Halbrund tauchen Lichtstäbe auf, die wie geschliffene Lanzen spitz zulaufen. Licht kommt zumeist von oben, nur durch einen zentrierten Spot, so, als gäbe es dort oben einen Spalt, in den die Helligkeit von draußen eindringen würde. Das siebenköpfige Ensemble scheint sich in einer Art Urzeithöhle zu befinden, eingeschlossen in einer Dunkelheit, die nicht weichen will und auch tatsächlich bis zum Schluss nicht aufbricht. Hoffnung ist nicht angesagt in einer Welt, die über Jahrhunderte von Unterdrückung geprägt war. Dazu passt, dass die Inszenierung fast keine Farben kennt. Außer dem blutigen Rot, in das die Lichtspeere für Momente getaucht sind, gibt es nur ein sandig-müdes Licht, das an die späte Nachmittagssonne der Savanne erinnert.

Until we Sleep_Tom Visser

Until we Sleep_Tom Visser

Dass man sich in Afrika befindet, scheint ausgemacht, denn die Kostüme – irgendwo zwischen Fellen und zotteligen Wollkreationen angesiedelt – korrespondieren mit Elementen afrikanischer Stammestänze. Entweder tanzt das Ensemble in Kreisformationen oder bewegt sich in rasendem Tempo als Horde über die Bühne.  Gesichter sind nicht auszumachen, die Körper erscheinen als anonyme Kreaturen in Bewegung. Auf subtile Weise abgewandt ignoriert man den Blick des Publikums. Was sich hier abspielt, scheint sich hinter der vierten Wand der Bühne zu ereignen. Gerichtet bleibt aller Bewegungsaufwand hinauf zum Licht und dem imaginären Blick einer Gottheit, die sich in einem Draußen befindet, das nur zu erahnen ist.

Botis Seva schlägt eine Art Brücke zwischen einem Afrika der archaischen Dunkelheit und den Straßen eines zornigen 21. Jahrhunderts. Obwohl der Engländer als einer der Könige des Hip-Hop gilt, agiert er hier nur ganz zurückgenommen mit dessen tänzerischen Elementen. Der Schlüssel zu dieser Choreographie liegt im Krumping, jener Unterform des Hip-Hop, die sich nach der Jahrtausendwende in Los Angeles zu entwickeln begann. Mitunter wird sie mit einem getanzten Gebet verglichen. Die Tanzenden sind ganz auf sich konzentriert. Dieses meditative Element, das gleichwohl mit enormer Energie aufgeladen ist, demonstriert Botis Seva in aller Ausführlichkeit. Im Kreisrund wird gestampft, getrippelt und gesprungen. Dann bricht man diese Tableaus durch ein flinkes Rennen in der Dunkelheit auf, oder es folgen urplötzlich angesetzte Sprünge, bei denen sich die Tänzer in der Luft drehen. Schnell, ausdrucksstark und mit einem beeindruckend aggressiven Potenzial an Dynamik entsteht eine tranceähnliche Situation der Anbetung. Aufgelöst wird sie gegen Ende durch einen Jäger, der mit seiner Waffe im Zentrum des Raums anlegt und feuert. Auch er eine schwarze Gestalt. Ein koloniales Setting von Schwarz und Weiß gibt es hier auf der Bühne nicht. Botis Seva spielt keine Stereotypen nach. Der Jäger zielt ins Publikum und er drückt auch ab, die peitschenden Schüsse sind nicht zu überhören. 

Until we Sleep_Tom Visser

Until we Sleep_Tom Visser